Die künftige Rolle der Ukraine als Getreideexporteur ist nicht absehbar (Symbolbild).
pixabay
Einen erheblichen Rückgang im ukrainischen Anbau von Getreide und Ölsaaten erwartet der Geschäftsführende Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), Prof. Alfons Balmann. Sowohl die aktuelle als auch die kommende Aussaat würden durch die Folgen des Krieges massiv eingeschränkt, sagte Balmann bei der Herbsttagung der Agrarsozialen Gesellschaft (ASG) am vergangenen Mittwoch in Göttingen.
Balmanns Angaben zufolge waren bis Ende Oktober erst rund 3,5 Mio ha Winterweizen ausgesät, gegenüber einer Vorjahresfläche von 6,1 Mio ha. Entsprechend unsicher sei auch die Bestellung der Sommerkulturen. Aufgrund der Erschwernisse und Unsicherheiten infolge des Krieges veranschlagt Balmann die diesjährigen Produktionsmengen auf etwa 30 % bis 40 % unter dem Vorjahresniveau. Ob die Ukraine künftig wieder eine maßgebliche Rolle auf den internationalen Agrarmärkten spielen könne, werde zum einen vom Fortgang des Krieges abhängen. Zum anderen sei entscheidend, inwieweit sich die ukrainischen Agrarunternehmen finanziell erholten und internationale Kreditzugänge dies unterstützten.
Tiefgreifender Strukturwandel
Der Wissenschaftler bescheinigte der ukrainischen Landwirtschaft während der vergangenen 15 Jahre einen enormen Aufstieg, der mit einem tiefgreifenden Strukturwandel einhergegangen sei. Viele unrentable Betriebe seien von zumeist wesentlich größeren, konzernartig organisierten Agrarunternehmen mit oft weit mehr als 10 000 ha Fläche übernommen worden. Mindestens ein Dutzend dieser Agroholdings bewirtschafte heute mehr als 100 000 ha, das größte Unternehmen sogar mehr als 500 000 ha. Die größten Agroholdings seien nicht selten im Ausland registriert und an internationalen Börsen notiert, wenngleich die Haupteigentümer zumeist Ukrainer seien, berichtete Balmann.
Die Börsengänge und der Zugang zu internationalen Finanzmärkten ermöglichten neben dem Flächenwachstum hohe Produktivitätssteigerungen. Die politische und wirtschaftliche Krise infolge der russischen Annexion der Krim 2014 und des von Russland entfachten Krieges im Donbass hat die ukrainische Landwirtschaft laut dem IAMO-Direktor gezwungen, ihre Produktion auf Effizienz und Rentabilität auszurichten. Das sei durch modernste westliche Technik und verbesserte Exportmöglichkeiten befördert worden.
Erhebliche Erschwernisse
Insbesondere Agroholdings hätten hierbei eine Vorreiterrolle eingenommen, viele kleinere selbständige Unternehmen seien nachgezogen. Während die Ukraine bis 2007 in kaum einem Jahr 30 Mio t an Weizen, Mais und Sonnenblumen geerntet habe, seien es 2014 bereits 64 Mio t und 2021 sogar 92 Mio t gewesen. Seit Kriegsbeginn hat sich die Lage der ukrainischen Landwirtschaft nach Balmanns Angaben allerdings drastisch verschlechtert.
In den Kriegsgebieten sei kaum eine Produktion möglich. Die im Februar und März besetzten Gebiete im Norden des Landes hätten nach ihrer Befreiung im Frühjahr und Sommer unter erheblichen Erschwernissen durch Minen und Schäden an Infrastrukturen gelitten. Ein Teil der Arbeitskräfte sei traumatisiert. Hinzu gekommen seien landesweit die Knappheit und Verteuerung von Betriebsmitteln sowie die Unsicherheit, ob vorhandene Vorräte und die kommende Ernte überhaupt verkauft werden könnten.