Eine Kontroverse ist entbrannt darüber, ob und warum der Preisüberwacher daran gehindert wurde, einen Bericht zu angeblich überhöhten Preisen bei Bio-Produkten zu veröffentlichen. Laut «Insidern» steht die Migros dahinter. Sie störte sich am Begriff «Marktmacht». Der Tierschutz sieht Handlungsbedarf.
«Aufgrund von rechtlichen Abklärungen» blieb die entsprechende Seite im Preisüberwacher-Newsletter vom Mittwoch leer.
Produzentenpreise: -35 Prozent
Ihren Anfang nahm die Geschichte mit einem Bericht der Nachrichtensendung «10 vor 10» auf SRF vom 16. Dezember 2022. Die TV-Macher thematisierten den ins Ungleichgewicht geratenen Schweinemarkt. Dabei kamen auch ein Schweinezüchter und ein Mäster sowie der Preisüberwacher zu Wort.
In der Sendung wurde der Preissturz beim Schweinepreis hervorgehoben. Seit Juni 2021 kennen die Produzentenpreise nur eine Richtung – jene gegen unten. Seit August 2022 verharrt der Preis bei sehr tiefen 3 Franken pro Kilo Schlachtgewicht (SG). Das sind 35 Prozent weniger als zu den besten Zeiten während der Pandemie. Für die Mäster sind solche Preise weit weg von kostendeckend.
Im Supermarkt: -12 Prozent
Obwohl die Bauern für ihre Schweine also seit Monaten einen deutlichen tieferen Preis erhalten, spüren die Konsumentinnen und Konsumenten in den Läden nur wenig davon. Gemäss dem Marktbericht des Bundesamts für Landwirtschaf Bundesamts für Landwirtschaft zeigt: Die Konsumentenpreise des Warenkorbs an konventionellen Schweinefleischprodukten sind seit Juni 2021 nur um 12 Prozent gesunken.
Die Aktionen sind hier miteinberechnet. Coop und Migros begründeten die Differenz von über 20 Prozent gegenüber SRF mit höheren Energie- und Transportkosten, die die Verarbeitung des Schweinefleisches verteuern würden.
«Handel muss tiefere Preise weitergeben»
«10vor10» liess auch Preisüberwacher Stefan Meierhans zu Wort kommen. Dieser war mit den Antworten der beiden Detailhändler nicht zufrieden. Wenn der Unterschied zwischen Produzenten- und Konsumentenpreis so gross ist, müsse man sich fragen, ob der Konsument zu seinem Recht kommt: «Ich erwarte vom Detailhandel, dass er diese Preissenkungen weitergibt», so die Forderung des Preisüberwachers. Man müsse sich fragen, ob hier der Wettbewerb noch spiele.
In der Woche vor Weihnachten publizierte der Preisüberwacher seinen Newsletter. Und hier hätte eigentlich eine Vorabklärung zu den Margen und Preise des Detailhandels publiziert werden sollen. «Der an dieser Stelle vorgesehene Newsletter-Beitrag zur Vorabklärung des Preisüberwachers zu Preisen und Margen im (Bio-)Detailhandel entfällt vorderhand aufgrund von rechtlichen Abklärungen», hiess es aber dann im Newsletter.
Fragen unbeantwortet
schweizerbauer.ch stellte dazu dem Preisüberwacher mehrere Fragen, unter anderem «Welche Preise und Marge wollte der Preisüberwacher genauer anschauen? Die Fleischpreise oder spezifisch den Schweinefleischpreis?», «Hat der Preisüberwacher eine solche Überprüfung bereits vor der Ausstrahlung des «10vor10»-Beitrages angeordnet?» oder «Was genau heisst rechtliche Abklärungen?».
Doch der Preisüberwacher beantwortete die Fragen nicht. «Ihre Fragen können wir momentan nicht beantworten. Ich muss sie diesbezüglich auf unseren Hinweis dazu im heutigen Newsletter verweisen», sagte Rudolf Lanz, Rechtsanwalt und Leiter Recht und Information Preisüberwachung, gegenüber schweizerbauer.ch. Er bedaure das, sagte Preisüberwacher Stefan Meierhans in der Sendung «10vor10» vom 23. Dezember 2022.
Studie: Marktmacht verhindert Wettbewerb
Der Schweizer Tierschutz (STS) hat bereits mehrmals die Margen von Coop und Migros beim Label- und Biofleisch kritisiert. Die jüngste STS-Studie zum Label-Fleischmarkt von Mitte November kommt zum Schluss, dass die Marktmacht im Detailhandel im Label-Fleischmarkt zu fehlendem Wettbewerb führt. Es seien in erster Linie ökonomische Gründe, weshalb der Anteil von Tierwohlprodukten im Laden bei 12 Prozent stagniert.
Die Studie kritisiert die ausserordentlich hohen Preisunterschiede zwischen Label- bzw. Bio-Fleischprodukten und Fleisch-Standardprodukten. Bei den Schweinefleischprodukten kosten beispielsweise im Laden Bioprodukte zum Teil mehr als das Doppelte eines entsprechenden konventionellen Produktes. «Unter solchen Marktbedingungen haben Konsumentinnen und Konsumenten keinen Anreiz, mehr Label- und Biofleisch zu kaufen – die «Tierwohlkrise» im Fleischabsatz kann bei dieser Preisschere nicht beseitigt werden», heisst es weiter.
«Machtkampf hinter den Kulissen»
Stefan Flückiger, stellvertretender Geschäftsführer des Schweizer Tierschutzes, schrieb auf Twitter zur fehlenden Vorabklärung des Preisüberwachers: «Weiss Migros oder Coop mehr dazu?» Geht Flückiger also davon aus, dass die Migros und Coop beim Preisüberwacher interveniert haben? «Wir gehen davon aus, dass nun im Hintergrund ein Machtkampf stattfindet zwischen mächtigen Marktakteuren, die keine Transparenz wollen, und dem Preisüberwacher. Da dürfte massiv Druck ausgeübt werden», so Flückiger zu schweizerbauer.ch.
Der Tierschutz liege mit seiner Studie zu den Preisen und Margen im Schweinemarkt also nicht völlig daneben, führt er weiter aus. Der STS habe mit mehreren Studien mehr Transparenz geschaffen und so bestätigt, dass der Labelmarkt schlecht funktioniere. «Und das zu Lasten der Bauern. Dies hat nun auch die Politik realisiert», so Flückiger. Der Ständerat nahm im Dezember das Postulat «Wettbewerbssituation im Lebensmittelmarkt» an und will damit mehr Transparenz schaffen.
«Handlungsbedarf gross»
«Vor dem Hintergrund der starken Konzentration im Schweizer Agrar- und Lebensmittelmarkt - insbesondere im Detailhandel - wird der Bundesrat beauftragt, in einem Bericht die Wettbewerbssituation in diesem Markt zu analysieren und zu bewerten, heisst es im Postulat. Der Bericht soll darlegen, ob zusätzliche Instrumente notwendig sind, um mögliche negative Auswirkungen dieser Konzentration zu dämpfen. Für Flückiger ist klar: «Der Handlungsbedarf ist gross; die rechtlichen Abklärungen werden entscheiden, wie es nun weiter geht.»
Der Bericht des Preisüberwachers habe «vermutlich hochbrisante Informationen, die nicht an die Öffentlichkeit dürfen», sagte Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS), zu «10vor10».
Migros
Insider: Migros übte Druck aus
Was sagen die beiden Detailhändler Coop und Migros zum Fall? Haben sie Druck ausgeübt? Coop winkt ab. «Wir warens nicht», sagt Coop zu SRF. Man habe sich nicht gegen diese Publikation gewehrt. Die Migros bestätigt, dass sie mit dem Preisüberwacher gesprochen habe. Mehr will das Unternehmen dazu nicht sagen. Recherchen von «10vor10» haben aber ergeben, dass die Detailhändlerin sehr wohl Druck ausgeübt. Sie habe dem Preisüberwacher mit rechtlichen Schritten gedroht, falls er seine Studie publiziert, sagte ein Insider gegenüber den TV-Machern. Die Migros stört sich am Begriff «Marktmacht». Da es auch Aldi, Lidl und Volg gebe, spiele der Markt, so die Detailhändlerin.
Gemäss Stefan Flückiger hatten Migros und Coop im vergangene Jahr 85 Prozent Marktanteil beim Schweinefleisch mit Labelauszeichnung wie Bio. Bei den Kälbern seien es sogar über 90 Prozent – wobei Migros allein einen Anteil von 53.7 Prozent halte. Volg und Aldi haben einen Marktanteil von unter einem Prozent. Für Wettbewerbsrechtler sind ein Marktanteil von über 50 Prozent und schwache Konkurrenten Indizien für eine marktbeherrschende Position.
Weko: Kein fehlender Wettbewerb
Die Wettbewerbskommission (Weko) bestätigte gegenüber «10vor10», dass die Margen von konventionellen und Labelfleisch bereits einmal Thema waren, aber dass es keine Hinweise auf Preisabsprachen oder fehlenden Wettbewerb gegeben habe. Die Preise für Bio-Fleisch seien wohl Ausdruck der «höheren Zahlungsbereitschaft der Konsumentinnen und Konsumenten».
Die Weko hat seit 2022 auch die Möglichkeit, eine Untersuchung wegen relativer Marktmacht einzuleiten. Gemäss SRF wäre sie gegeben, wenn ein Bauer abhängig von Migros oder Coop ist, weil er wenig Ausweichmöglichkeiten hat und der Konzern seine relative Marktmacht ausnützen würde, um den Bauern zu benachteiligen.
Die Weko argumentiert, dass sie über zu wenig Kenntnisse über die Geschäftsverhältnisse zwischen Landwirten und Detailhändler verfüge. «Die Weko ist auf konkrete Anzeigen angewiesen, um tätig zu werden», verteidigt sich die Behörde.
Aus der Region für die Region....
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