Im Amazonasgebiet ist nach neuen Erkenntnissen von Forschern wahrscheinlich die Hälfte aller Baumarten bedroht. Damit könnte die Zahl der weltweit gefährdeten Pflanzenarten um mehr als ein Fünftel steigen.
Gestützt auf Daten von mehr als 1500 verschiedenen Bestandesaufnahmen hat ein internationales Team um Hans ter Steege vom Naturalis Biodiversity Center in Leiden (Niederlande) den Zustand des Amazonaswaldes analysiert. Die Ergebnisse werden im Fachjournal «Science Advances» vorgestellt.
36 bis 57 Prozent
Die rund 150 Forscher bestimmten, wie sich die Abholzung seit dem Jahr 1900 auf die Bestände von fast 15'000 Baumarten ausgewirkt hat. Ausserdem schätzten ter Steege und seine Kollegen den weiteren Rückgang der Baumbestände bis ins Jahr 2050 ab.
Ihre Ergebnisse verglichen sie mit den Kriterien der Weltnaturschutzunion (IUCN) für die Rote Liste bedrohter Arten. Demnach können 36 Prozent bis 57 Prozent aller Baumarten im Amazonasgebiet als bedroht gelten.
Darunter finden sich Urwaldriesen wie die bis zu 50 Meter hohen Paranussbäume ebenso wie wichtige wildwachsende Nahrungspflanzen, zum Beispiel Kakaobäume. Die Forscher weisen darauf hin, dass die nun vorliegenden Ergebnisse nicht ausreichten, um eine vollständige Rote Liste der Amazonasbäume zu erstellen. Dazu müsste jede einzelne Baumart von der IUCN geprüft werden. Ihre Ergebnisse unterstrichen allerdings deutlich das Ausmass und die Dringlichkeit dieser Aufgabe.
«Gute Nachrichten», aber keine Entwarnung
Die Resultate sollten unbedingt in die Landnutzungspolitik und Naturschutzplanung Amazoniens einbezogen werden, betonen die Forscher. Schutzgebiete und indigene Territorien sind ihrer Ansicht nach besonders geeignet, das Überleben der am meisten bedrohten Bäumen zu sichern, sofern es dort zu keiner weiteren Abholzung kommt. Oft werden selbst in Naturschutzgebieten Bäume illegal gefällt.
Mehr als die Hälfte des Amazonasbeckens liegt nach Angaben der Forscher mittlerweile in Schutzgebieten, und erhebliche Bestände der meistbedrohten Arten wachsen dort. «Das sind gute Nachrichten aus dem Amazonasgebiet, wie man sie viel zu selten hört», sagt ter Steege. «In den letzten Jahrzehnten haben die Länder Amazoniens grosse Fortschritte gemacht bei Schutzgebieten und indigenen Völkern. Unsere Studie zeigt, dass das der Artenvielfalt sehr nützt.»
Keine Angaben über einzelne Baumarten
Trotzdem nimmt die Walddecke Brasiliens seit vielen Jahrzehnten immer weiter ab. Dammbauten und Bergbau ebenso wie Brände und Trockenheiten stellten eine grosse Bedrohung für die Regenwälder Amazoniens dar, betonen die Forscher.
Doch es gibt nur wenig Information darüber, wie sehr einzelne Baumarten betroffen sind. «Wir sagen nicht, dass die Lage in Amazonien sich plötzlich verschlechtert hat», erklärt Mitautor Nigel Pitman vom Field Museum in Chicago, USA. «Wir liefern vielmehr eine neue Abschätzung darüber, wie Baumarten von der vergangenen und auch der zukünftigen Abholzung betroffen sind und sein werden.»
Pro Jahr verschwindet Wald in der Grösse Griechenlands
Da in allen tropischen Waldgebieten ähnliche Bedingungen und Probleme bestehen, liessen sich die Ergebnisse vermutlich auf die ganzen Tropen übertragen. Demnach könnten weltweit bis zu 40 000 tropische Baumarten bedroht sein. Etwa ein Drittel der Landoberfläche der Erde ist von Wäldern bedeckt. Jedes Jahr verschwinden 13 Millionen Hektar Wald - das entspricht in etwa der Fläche Griechenlands. Dieser Waldverlust spielt sich nahezu ausschliesslich in den Tropen ab.
Der Amazonas-Regenwald wird beispielsweise in Sojaplantagen und Rinderweiden umgewandelt, das Holz häufig exportiert. Besonders gross ist die Zerstörung aktuell in Indonesien, wo infolge illegaler Brandrodungen für Palmölplantagen dieses Jahr schon etwa 17 000 Quadratkilometer Regenwald abgebrannt sind. Das Klima, die Artenvielfalt ebenso wie die Lebensgrundlage zahlreicher Menschen sind dadurch in Gefahr.