Welche Rolle nimmt die abtretende Generation ein, und wie erlebt sie ihre neue Situation? Die Hafl fragte bei Alt-Bauern und -Bäuerinnen nach. Eines scheint klar:Die neue Konstellation fordert Weitsicht und Verständnis von Jung und Alt.
Die Hofübergabe findet oft kurz vor oder parallel zur Pensionierung statt. Für die meisten Personen bedeutet die Pensionierung den Abschied aus dem Erwerbsleben und den Eintritt in einen neuen Lebensabschnitt. Dieser enthält viel Freiraum und muss neu gestaltet werden. Doch trifft das auch für pensionierte Bäuerinnen und Bauern zu? Wissenschaftlerinnen der Hochschule für Agrar-, Forst und Lebensmittelwissenschaften (Hafl) und des Instituts Alter der Berner Fachhochschule sind dieser und weiteren Fragen in einem Forschungsprojekt nachgegangen.
Vom Chef zum «Knecht»
Auf den ersten Blick hat sich wenig Erstaunliches gezeigt: Anstatt das Leben neu zu erfinden, arbeiten die meisten pensionierten Bäuerinnen und Bauern nach der Hofübergabe weiterhin auf dem Betrieb mit. Aus ihrer Optik ändert sich deshalb auch nicht viel, wie ein Bauer den Forscherinnen verraten hat: «Das geht genau gleich weiter, ausser, dass man hier keine riesige Verantwortung mehr tragen muss.»
Wird genauer hingeschaut, zeigt sich, dass sich doch einiges ändert, zwar nicht erst bei der Pensionierung, sondern bei der Hofübergabe: Die alte Generation hat der jungen im Bauernhaus Platz gemacht und ist ins Stöckli gezogen. Der ehemalige Chef ist nun der «Knecht» und hat auf dem Betrieb «nichts mehr zu sagen», wie ein anderer Altbauer meinte. Und etwas mehr Freiraum steht doch zur Verfügung: «Ich werde einfach hier arbeiten kommen, aber ich habe dann auch ein bisschen mehr Freiheit. Dass ich sagen kann, heute habe ich Besuch, ich komme dann erst später», wie eine abtretende Betriebsleiterin sagte.
Verantwortung abgeben
Die grosse Erleichterung der Hofübergabe ist für die abgetretene Generation vor allem, dass sie die finanzielle und administrative Verantwortung für den Betrieb abgeben konnte: «Ich bin froh, dass ich diese Verantwortung nicht mehr habe», wie ein Altbauer sagte, «nicht mehr die Verantwortung zu haben, die Entscheidungen zu treffen», wie ein anderer meinte.
Doch hat die Altengeneration wirklich alle Verantwortung abgegeben? Emotional ist sie noch stark im Betriebsalltag eingebunden und unterstützt die junge Generation, wo sie nur kann. So kann sie die emotionale Verantwortung auch nur schwer loslassen, wie ein weiterer Alt-Bauer erzählte: «Manchmal fragen wir uns, wie die zwei es schaffen, das alles abzuzahlen. Aber wir dürfen ihnen nicht zu merken geben, dass wir uns Sorgen um sie machen.»
Altwerden macht Angst
Aus Dankbarkeit der jüngeren Generation gegenüber, dass sie den Betrieb weiterführt, und aus Sorge um deren Wohlergehen, unterstützen die abgetretenen Bäuerinnen und Bauern die junge Generation manchmal finanziell und arbeiten teilweise mehr mit, als sie eigentlich wollen: «Ich möchte schon noch etwas weniger machen. Aber ob ich das kann, das weiss ich nicht», sagte ein Bauer.
Das Altwerden und die eigenen körperlichen Grenzen zu spüren, macht deshalb Angst: «Ja, die Gesundheit… woran du nicht daran denken darfst, dass man älter wird. Wie ist es, darfst nicht daran denken, wie es kommt. Musst eben einfach jeden Tag positiv sehen. Darfst nicht beginnen nachzudenken, dass du jetzt älter bist», erzählte eine Altbäuerin.
Die Altbäuerinnen und Bauern scheinen dem Älterwerden eher passiv zu begegnen. Wo sie im hohen Alter einmal leben werden und wer sich um sie kümmert, wird nicht geplant und auch nicht diskutiert. Die Hoffnung besteht aber, dass sie so lange wie möglich mitarbeiten und auf dem Hof leben können.
Wertschätzung erfahren
Trotz der anhaltenden Einbindung im Betrieb und der emotionalen Verantwortung, die teilweise belastet, hat die Pensionierung als Bauer oder Bäuerin durchaus Vorteile: Einen Pensionierungsschock, wie ihn Personen anderer Berufsgruppen kennen, erleben sie nicht. Die Pensionierung stellt für sie kein punktuelles Ereignis dar – von einem Tag auf den anderen nicht mehr arbeiten zu müssen oder dürfen – sondern einen gleitenden Übergang. Weiterhin auf dem Betrieb mitarbeiten zu können, aber ohne (grosse) Verantwortung, ist für viele ideal.
Denn dies gibt eine Tagesstruktur. «Wir müssen nicht das Gefühl haben, wir fallen in ein Loch», wie eine abtretende Betriebsleiterin sagte. Die grosse Erfahrung kann eingebracht und weitergegeben werden oder wie ein Alt-Bauer sagte: «Was ich darf, ist beraten. Ich kann ihm sagen: Ich würde. Aber mein Sohn hat da nichts zu hören. Aber wenn es eine gute Sache ist, dann sagt er: Wir machen das.» So erfährt die alte Generation Wertschätzung und sieht einen Sinn im Leben, ohne es neu erfinden zu müssen.
Familien gesucht
Das Projekt «Hofübergabe360» der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (Hafl) untersucht, wie Bauernfamilien den Hofübergabeprozess angehen und erleben. Im Fokus steht dessen frühzeitige und ganzheitliche Planung. Für die Mitarbeit in einer Arbeitsgruppe und für Interviews werden Bauernfamilien gesucht, die sich jetzt oder bald im Hofübergabeprozess befinden. Interessiert? Bitte melden bei: Sandra Contzen, [email protected]; Tel. 031 910 22 03