Rund 56 Prozent der Stimmenden haben am Sonntag die Änderung des Arbeitsgesetzes angenommen, die bestimmten Tankstellenshops einen Dauerbetrieb ermöglicht. Die Diskussion um Liberalisierungen im Detailhandel und die 24-Stunden-Gesellschaft ist damit aber nicht zu Ende.
Das Resultat fiel etwas weniger knapp aus als nach den Umfragen erwartet worden war. Nein sagten die Stimmenden nur in den Kantonen Jura, Wallis, Uri, Neuenburg und Freiburg. Das Ja des Stimmvolks bedeutet, dass Tankstellenshops an Autobahnen und Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr künftig für den Verkauf sämtlicher Produkte aus ihrem Sortiment nachts Personal beschäftigen dürfen.
Heute darf die Tankstelle nachts Benzin verkaufen, das Tankstellenbistro Produkte wie Kaffee und Sandwiches. Der eigentliche Tankstellenshop in derselben Lokalität bleibt aber zwischen 1 Uhr und 5 Uhr geschlossen. Damit muss ein Teil des Ladens nachts abgesperrt oder abgedeckt werden.
Bagatelle oder Grundsatzentscheid?
Die Bedeutung der Abstimmung war im Vorfeld umstritten. Die bürgerlichen Parteien sprachen von einer Bagatelle, für die nicht das Stimmvolk bemüht werden sollte. Es gehe lediglich darum, einen bürokratischen Unsinn zu beseitigen. Für ein Ja warben sie mit dem Slogan «Bratwürste legalisieren».
Die Gegner - Gewerkschaften, linke Parteien und kirchliche Kreise - warnten ihrerseits, dass mehr Angestellte von Tankstellenshops nachts arbeiten müssten. Vor allem aber bekämpften sie die Gesetzesänderung mit Blick auf weitere geplante Liberalisierungsschritte.
Entwicklung im Auge behalten
Nun haben die Stimmenden die Liberalisierung für die Tankstellenshops gutgeheissen. Rund 44 Prozent sagten jedoch Nein - und setzten damit ein Zeichen im Sinne der Gewerkschaften. Diese wollen die Befürworter auf ihre Aussagen im Vorfeld der Abstimmung behaften, wonach die Änderung nur 20 bis 30 Tankstellen betreffe. Und sie wollen weitere Liberalisierungsschritte bekämpfen.
Auch die Kirchen wollen die Entwicklung im Auge behalten. «Wir glauben nicht recht daran, dass diese Tendenz nicht weitergeht», sagte Markus Büchel, Präsident der Schweizerischen Bischofskonferenz. Die Sieger versuchten ihrerseits, die Verlierer zu beschwichtigten.
Bundesrat gegen generelle Liberalisierung
Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann etwa betonte, dass auch der Bundesrat eine generelle Liberalisierung ablehne. Er erinnerte daran, dass die Regierung sich gegen eine Motion der Grünliberalen ausgesprochen hat. Diese fordern, dass alle kleinen Läden nachts ihre Produkte verkaufen dürfen, damit Quartierläden gegenüber Tankstellenshops nicht benachteiligt werden.
Zwei Vorstössen für Liberalisierungen hat das Parlament indes bereits zugestimmt. Zum einen verlangt es, dass Detailhändler künftig in der ganzen Schweiz ihre Produkte werktags bis 20 Uhr und samstags bis 19 Uhr verkaufen dürfen. Zum anderen sollen die Bestimmungen über die Sonntagsarbeit für Shopping-Center in Tourismusgebieten gelockert werden.
Zustimmung abhängig vom Einkommen
Was das erste Anliegen betrifft, wird über die Umsetzung das Parlament und allenfalls erneut das Volk befinden. Den Auftrag zu den Shopping-Centers dagegen will Schneider-Ammann auf Verordnungsebene umsetzen. Ein Referendum ist damit nicht möglich.
Ob das Volk weitgehenden Liberalisierungen zustimmen würde, ist angesichts des Resultats vom Sonntag offen. Für die Tankstellenshop-Liberalisierung stimmten laut dem Forschungsinstitut gfs.bern tendenziell urbane Regionen und solche mit hohem Durchschnittseinkommen, dagegen ländliche und ärmere Regionen. In früheren Abstimmungen hatte sich das Volk meist gegen Liberalisierungen im Detailhandel ausgesprochen.