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«Milchbauern müssen miteinbezogen werden»

Michael Götz, lid |

 

Wie nahe ist die Forschung an der Praxis? Während die Forschenden die Praxisnähe hervorheben, finden Landwirte, dass ihre Wünsche zu wenig Beachtung finden.

 

Landwirte wünschen sich eine praxisnahe Forschung. Doch nicht alle Wünsche finden in der Forschung Anklang oder die Gesellschaft stellt Forderungen, welche die Landwirtschaft vor neue Probleme stellt.

 

Nachhaltigkeit ist der Massstab, nach dem sich die Forschung ausrichten muss. Sie müsse vor allem unabhängig sein, fordert Hanspeter Kern, Präsident der Schweizer Milchproduzenten (SMP), am Milchforum 2022 in Weinfelden TG. Der Anlass der SMP fand anlässlich des 125-jährigen Jubiläums der Thurgauer Milchproduzenten (TMP) statt. Dazu wurden Referentinnen und Referenten aus der Landwirtschaft, der Forschung und der verarbeitenden Industrie eingeladen.

 

Top down – von oben nach unten

 

Daniel Vetterli ist Landwirt, Präsident der Thurgauer Milchproduzenten und Mitglied des Agroscope-Rates. Dieser befasst sich mit der strategischen Ausrichtung von Agroscope, der landwirtschaftlichen Forschungseinrichtung des Bundes. Die Landwirtschaft ist darin mit vier von zehn stimmberechtigten Personen vertreten. Der Rat hat allerdings nur beratende Funktion. Vetterli nennt ihn das «strategische Gewissen». Trotz dieses beratenden Mitspracherechts beklagt er, dass die Wünsche der Landwirte von der Forschung zu wenig aufgenommen würden.

 

Der Weg gehe oft von oben nach unten – also «top down». Das Parlament beschliesse etwas und via Forschung und Beratung gelangten die Forderungen schliesslich zu den Bauern. «Vieles wird aufgezwungen», hält Vetterli fest und fordert: «Wir wollen einbezogen werden.» Die Forschung müsse interaktiv sein. Auch sollte die Forschung vermehrt «on farm» auf den Landwirtschaftsbetrieben stattfinden. Das gäbe es im Ausland, aber in der Schweiz noch kaum. Nur eine solche könne das gesamte System eines landwirtschaftlichen Betriebs und einer Milchkuh berücksichtigen und anwendbare und wirksame Lösungsansätze hervorbringen. Vetterli wünscht sich eine Forschung auf Augenhöhe mit den Landwirten und näher am Puls der Praxis. Dazu brauche es ein Umdenken auf allen Stufen.

 

Forschung – traditionell und innovativ

 

«Wir haben dieselben Ziele, aber streiten über die Wege», sagt Eva Reinhard. Sie ist Direktorin der Forschungsanstalt Agroscope. «Es ist die Aufgabe der Forschung vorauszugehen», erklärt sie und unterscheidet dabei zwischen traditioneller und innovativer Forschung. Die traditionelle Forschung suche Lösungswege gemeinsam mit der Praxis. Als Beispiele nennt sie, wie sich negative Auswirkungen auf die Umwelt reduzieren oder wie sich die Gesundheit und das Wohlbefinden der Nutztiere verbessern lassen. Praxisreife Lösungen seien das Ziel. Der Wissenstransfer erfolge über Medienmitteilungen, wissenschaftliche Zeitschriften, namentlich die Agrarforschung Schweiz und in der grünen Presse sowie in Tagungen und Arbeitsgruppen.

 

Innovationen hingegen entstünden eher an den Forschungsanstalten selbst. Als Beispiele dafür führt die Agroscope-Forschungsleiterin ein neues Käsereifungsverfahren an, in welchem Käselaibe in Textilien reifen und nicht mehr geschmiert werden müssen. Agroscope-Forschende beschäftigten sich ausserdem mit der Entwicklung von Schutzkulturen, um unerwünschte Keime in Lebensmitteln zu hemmen und das Projekt «On-farm-Produktion von Mikroalgen» habe zum Ziel, Soja als proteinreiches Futtermittel für Rinder und Schweine zu ersetzen und die Umweltbilanz tierischer Lebensmittel zu verbessern.

 

(v.l.): Beat Reidy von der HAFL, Susanne Ulbrich von der ETH, Landwirt Daniel Vetterli, Eva Reinhard von Agroscope, Moderator Matthias Schick und Manuel Hauser von Emmi.
Michael Götz

 

Interaktives Begegnungszentrum als Wunsch

 

Bei der Forschung müssten Wissenschafterinnen und Wissenschafter mit den Landwirtinnen und Landwirten zusammenarbeiten. «Wir müssen es gemeinsam machen», betont Reinhard. Dies setze gegenseitiges Verständnis und Vertrauen voraus: «Ich würde mir nie zutrauen, als Bäuerin zu arbeiten», gesteht die Forschungsleiterin. Umgekehrt erwarte auch sie von ihren Partnern Respekt vor der Arbeit der Forschenden. «Kann man die Bauern nicht ernster nehmen?», fragt umgekehrt ein Landwirt an der Podiumsdiskussion nach den Referaten.

 

Reinhard weist darauf hin, dass nicht alle Wünsche oder Ideen aufgenommen werden könnten, da es viele Restriktionen oder Prioritäten gäbe, die das verunmöglichten. «Wofür würden Sie ein Geschenk von 10 Millionen Franken an Agroscope verwenden?», fragt Matthias Schick, Moderator der Podiumsdiskussion und Bereichsleiter Tierhaltung und Milchwirtschaft am Strickhof, dem landwirtschaftlichen Kompetenzzentrum des Kantons Zürich. Damit würde sie am liebsten ein interaktives Begegnungszentrum an der Agroscope einrichten, meint Reinhard.

 

Grundlagenforschung an der ETH

 

Aufgabe des Institutes für Agrarwissenschaften IAS der Eidgenössischen Technischen Hochschule ETH ist die landwirtschaftliche Grundlagenforschung. Die Ergebnisse lassen sich nicht immer direkt in der Praxis anwenden, aber sie sollen helfen, Zusammenhänge zu verstehen. Susanne Ulbrich ist Professorin für Tierphysiologie am IAS und forscht für die Gesundheit der Nutztiere.

 

Fragestellungen, mit denen sie sich beschäftigt, sind die Ursachen von Mastitis oder welche Rolle extrazelluläre Bläschen in der Milchdrüse spielen. In Zusammenarbeit mit der landwirtschaftlichen Praxis und Studierenden möchte sie das Verständnis für Zusammenhänge fördern und grundlegendes Wissen bereitstellen. Übergeordnetes Ziel ist es, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren und gleichzeitig die knappen natürlichen Ressourcen zu schonen.

 

Gleichzeitig betonte Susanne Ulbrich von der ETH, dass Rindvieh in den Bereichen Landverbrauch, Klimawirksamkeit und Wasserverbrauch auch eine problematische Seite haben kann. Um die positive Seite des Rindviehs nutzen zu können, müsse die Ressourceneffizienz rasch verbessert werden. Dazu brauche es Grundlagenforschung. «Nur damit kann die Basis geschaffen werden, um praxisrelevante Forschungsresultate generieren zu können», so Ulbrich.

 

Die On-Farm-Forschung soll verstärkt werden.
Kanton Freiburg

 

«Wir sind nahe an der Praxis»

 

Beat Reidy ist Dozent für Graslandnutzung der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL. Er und sein Team prüfen die Ergebnisse der Grundlagenforschung auf ihre Praxistauglichkeit. Was in der Theorie funktioniere, heisse aber noch nicht, dass es auch in der Praxis Wirkung zeige, erklärt er. Was wirkungsvoll sei, müsse nicht auch wirtschaftlich sein. Wie die ETH und Agroscope habe auch die HAFL das Gesamtsystem im Auge.

 

Als Beispiel aus seiner Arbeit nennt Reidy das Projekt «KlimaStar-Milch» mit dem Ziel einer klimafreundlichen und standortangepassten Milchproduktion. «Wir sind nahe an der Praxis», betont Reidy. Die HAFL verbinde Lehre, Forschung und Weiterbildung, sodass die Forschungsresultate direkt in die Praxis gelangten. Akute Probleme liessen sich gemeinsam mit der Praxis lösen und zur Anwendung bringen. Ziel der HAFL sei die angewandte Forschung.

 

Milchwirtschaft im Spannungsfeld

 

Die Milchwirtschaft liege nicht nur in den Händen der Landwirte. Auch den Verarbeitern komme eine wichtige Rolle zu. Es gebe aber immer mehr Spannungsfelder, erklärt Manuel Hauser, Mitglied der Geschäftsleitung von Emmi Schweiz und Präsident der Vereinigung der Schweizer Milchindustrie VMI. Solche Spannungsfelder sieht Hauser bei der Milch als gesundes Nahrungsmittel und dem Ausstoss von Treibhausgasen beim Wiederkauen.

 

Auch wenn Milch grundsätzlich hochwertig sei, komme es immer auch darauf an, zu welchem Produkt sie verarbeitet werde, erklärt er. Und es stelle sich dann immer die Frage, wie natürlich die Milch nach der Verarbeitung dann noch sei. Auch die Milchtechnologie und die Vermarktung der Milch sei einem dauernden Wandel unterworfen: «Es geht nur zusammen mit der Forschung», stellt Hauser fest. Wie schon der Landwirt, so fordert auch der Milchverwerter eine anwendungsorientierte Forschung.

 

Die Milchindustrie, welche rund 65% der Milch verarbeitet, brauche im rauen Wind der Megathemen wie Nachhaltigkeit, Klima, Tierwohl, Ernährung, Technologie und der Wirtschaftlichkeit, verlässliche Fakten, nach denen sie sich ausrichten könne, sagte Hauser. Wichtig sei, dass sich nicht nur die staatlichen Agrarforschungseinrichtungen untereinander koordinieren, sondern dass das auch mit der privaten Forschung gemacht wird. «Nur so können Spannungsfelder in der Wertschöpfungskette Milch gefunden und aufgelöst werden», hielt Hauser fest.

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