Barbara Meijerink aus Mattwil TG war traurig, dass sie die Caramels aus ihrer Kindheit nirgends kaufen konnte – nun macht sie sie selbst. Dafür nutzt sie Milch von ihrem Nachbarsbauern Thomas Langenegger.
Plötzlich war alles wieder da: Als sich der süsse Geschmack, das perfekte Aroma, die zarte, aber zugleich krümelige Konsistenz in ihrem Mund ausbreitete, war Barbara Meijerink wieder ein kleines Mädchen. Sie wurde zurückversetzt auf einen Jahrmarkt, hörte die Klänge einer Drehorgel und sah regelrecht die Wagen eines Rösslispiels vor sich.
Doch sie stand nicht auf einem Jahrmarkt und war kein Kind mehr. Sie war als erwachsene Frau in England. Mit Schülerinnen war die Sprachlehrerin auf die britische Insel gereist und kostete dort einen Fudge, die englische Version unserer Niidletäfeli. Und es ging ihr wie dem Erzähler aus Marcel Prousts Jahrhundertroman «Auf der Suche nach der verlorenen Zeit». Dieser wurde durch den Biss in ein Madeleine in seine Kindheit zurückversetzt. Nach dieser Szene entspinnt sich eine Geschichte, die sich über sieben Bände erstreckt.
Nachhaltig beeindruckt
Meijerink schrieb nach der Erfahrung mit dem Fudge keinen 5000-seitigen Roman. Sie handelte aber auch. Denn sie war nachhaltig beeindruckt. Wie lange hatte sie nach diesem Geschmack und diesem Gefühl gesucht. Als kleines Mädchen waren die Niidletäfeli immer der Höhepunkt an der «Chilbi». Als erwachsene Frau fand sie diese nie mehr. Die Caramels im Laden schmeckten fad, und auch sonst konnte sie die Täfeli nirgends kaufen. Als sie in England den Fudge probierte, wusste sie: Es gibt sie noch. Wenn auch nicht bei uns. Sie war überzeugt, dass nicht nur sie, sondern auch andere Leute diesen Geschmack von früher vermissten.
Also entschied die heute 49-Jährige, selbst Carameltäfeli zu machen. Sie und ihr Mann begannen damit, Zucker zu caramellisieren und Rahm einzukochen. Das dauerte lange und die Konsistenz wurde uneinheitlich und geschmacklich und von der Konsistenz her unbefriedigend. Nach langem Ausprobieren und Recherchieren kam Meijerink darauf, dass sie es so machen musste wie die Engländer beim Fudge.
Diese lassen nicht den Zucker braun werden, sondern den Milchzucker in Milch und Kondensmilch. Das ergibt ebenfalls einen caramelligen Geschmack durch die sogenannte Maillard-Reaktion. Diese bewirkt, dass chemische Verbindungen unter Hitzeeinwirkung zu neuen Verbindungen werden. Das passiert etwa auch beim Fleisch-Anbraten und gibt ihm die Röstaromen.
Als sie mit der Rezeptur zufrieden waren, gingen Barbara Meijerink und ihr Mann Niels an ihren ersten Markt. «Wir verkauften tausend Tüten, und die Rückmeldungen waren überwältigend.» Für Meijerink war klar, dass sie weitermachen wollten. Das war 2015. In der Zwischenzeit haben Niels Meijerink, der Sportlehrer war, und Fitnessgeräte verkaufte, und Barbara Meijerink ihre Berufe aufgegeben und setzen ganz auf die Caramels-Herstellung. «Mürbel» nennen sie ihr Produkt und die Firma. Pro Jahr produzieren sie rund 40000 Tüten. Das entspricht etwa sechs Tonnen.
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Dafür haben sie in Mattwil TG einen kleinen Produktionsraum, in dem ein grosser Kupferkessel steht. Darin erhitzen Meijerinks Rohrohrzucker, Butter, Kondens- und Rohmilch. Sie verwenden keine Konservierungsmittel oder dergleichen. Ist die Masse gut, kommt sie auf einen grossen Marmortisch. Dort übernimmt Barbara Meijerink. Sie verrührt auf dem Tisch noch einmal alles, damit sich keine Zuckerkristalle bildeten. Sie presst nichts in eine Form, sondern lässt die Masse hart werden und zerteilt sie von Hand. Dadurch entstehen unregelmässige, grobkörnige Stücke.
Es gibt sie in den Sorten Alpensalz, Baumnuss, Cacao, Chili, Ingwer, Kaffee, Vanille und Whisky. Ein paar dieser Zutaten bekommen Meijerinks nicht aus der Schweiz. Ansonsten achten sie aber darauf, dass alles aus der Region kommt. Die Butter zum Beispiel stammt aus der Molkerei Biedermann in Bischofszell TG, die Milch holt Meijerink bei Thomas Langenegger in Mattwil.
Will man zu diesem Milchbauern, braucht man nur etwa 500 Meter der Hauptstrasse entlang zu gehen. Auf dem Hof fällt als Erstes ein kleiner Hahn auf. Er ragt aus der Stallwand und es fliesst Milch aus ihm, wenn man Geld einwirft. Anders als die sonstigen Milchautomaten ist es eine Eigenkonstruktion des Bauers. Der 37-Jährige Betriebsleiter verkaufte die silofreie Milch bis vor einem Jahr direkt an die Kundschaft. Die Präsenzzeit strengte ihn und seine Familie mit der Zeit an.
Nebst den 80 Milchkühen, den Obstanlagen und dem Acker- und Futterbau auf 44 Hektaren war es ungünstig, sich nach der Kundschaft zu richten. Sie überlegten, einen Milchautomaten einzurichten. Das war aber zu teuer. Also baute Langenegger den Hahn. Er ist mit einer Milchpumpe und einem Verschluss verbunden. Die Milch gelangt direkt aus dem Tank in den Hahn und fliesst in die mitgebrachten Gefässe der Kundschaft.
«Da ist unsere Milch drin»
So setzt Langenegger 4500 Liter Milch pro Jahr ab. Für je einen Franken. Einen Drittel dieser Menge nimmt Barbara Meijerink für ihre Mürbel ab. Das sei für Langenegger nur eine kleine Menge. Der Rest seiner Milch geht in eine Molkerei. Pro Kilo erhalte er rund 75 Rappen. Trotzdem freue es ihn, dass Meijerink bei ihm einkauft. Ihm, seiner Frau und ihren Kindern schmecken die Mürbel. Wenn er sie irgendwo sehe, sage er gern, «schaut, hier ist unsere Milch drin», erzählt er. Das könne man sonst bei keinen Produkt sagen. Der Käse aus der Molkerei, die sie belieferten, könnte auch die Milch eines anderen Bauern enthalten.
Auch Meijerink ist zufrieden mit der Zusammenarbeit. Aus nächster Nähe einen Inhaltsstoff zu beziehen, entspricht ihrer Philosophie.
Zurück im Produktionsraum gibts Mürbel zum Kaffee. Aus den vielen unterschiedlichen Sorten ist es jener mit Alpensalz. Er zerfällt auf der Zunge in die körnigen Teile, der caramellige Goût und die salzige Note breiten sich im Gaumen aus und die Stückchen schmelzen zart, bis nur noch ein angenehmer Nachgeschmack übrigbleibt. Fast geht es einem wie Barbara Meijerink in England. Man steht vor einem grossen Kupferkessel auf dem Jahrmarkt, hört die Drehorgel und sieht die Wagen auf dem Rösslispiel.