Andrea Fischer erforscht den Jamtal-Gletscher schon seit mehr als 20 Jahren, und noch immer gibt es in den Eismassen in den Tiroler Alpen etwas zu entdecken.
Doch als Folge des Klimawandels löst sich Fischers Forschungsobjekt schneller auf als ihr lieb ist – in diesem heissen Sommer besonders schnell. Mit dem Abschmelzen des Gletschers gehen Information über die Entwicklung des Erdklimas verloren, die das Eis jahrtausendelang gespeichert hatte.
Mit dem Gletscher schmilzt ein kostbares «Archiv», wie Fischer sagt. Die stellvertretende Leiterin des Instituts für Interdisziplinäre Gebirgsforschung (IGF) in Innsbruck und ihre Kollegen nehmen regelmässig Eisproben vom Jamtal-Gletscher und anderen Gletschern der Tiroler Alpen. Das sind praktisch Zeitkapseln, die eine Jahrtausende weite Reise in die Vergangenheit erlauben.
Die Wissenschaftler können die im Eis enthaltenen Pflanzenreste datieren und durch die Analyse der verschiedenen Eisschichten das Klima der Vergangenheit verstehen. Das hilft ihnen bei der Berechnung von Klimamodellen für die Zukunft, wie Fischer sagt. Ihre Arbeit wird allerdings immer schwieriger.
Alpen-Gletscher schrumpfen besonders rasch
Denn die Gletscherschmelze, ein Indikator für den Klimawandel, hat sich in den vergangenen 20 Jahren deutlich beschleunigt, wie eine Studie zeigt, die im April vergangenen Jahres im Fachblatt «Nature» veröffentlicht wurde. Von den weltweit rund 220 000 Gletschern sind die rund 4000 Alpen-Gletscher besonders schnell geschrumpft. In den meisten Fällen ist ihr Verschwinden nicht mehr abzuwenden.
Trotz dieser jahrzehntelangen Negativ-Entwicklung ist dieser Sommer laut Fischer besonders schlimm. Am «Ende des Sommers, dieses Sommers wird ein Grossteil des Gletschers verschwunden sein», sagt sie über das Jamtal. Wenn das Abschmelzen in dem Tempo weitergehe, sei in fünf Jahren voraussichtlich nichts mehr vom Jamtal-Gletscher übrig.
In normalen Zeiten schützt eine Schneedecke den Gletscher im Sommer vor der Sonne und dem Abschmelzen. Dieses Jahr war der wenige Schnee aus dem Winter aber schon Anfang Juli weggeschmolzen. «Zusätzlich liegt sehr viel Schutt an der Oberfläche, der den Gletscher sehr dunkel macht», sagt Fischer. «Dadurch nimmt er die Sonnenenergie sehr effizient auf, da steht sehr viel Energie für die Schmelze zur Verfügung.»
Hitzewellen, die im Zuge des Klimawandels häufiger und intensiver werden, lassen Gletschergebiete instabil werden. Das zeigte im Juli das Unglück am Marmolata-Gletscher in den italienischen Alpen: Von dem Gletscher löste sich ein riesiger Block und riss elf Menschen in den Tod.
Wirtschaftliche Bedeutung
Österreichs Gletscher sind von grosser wirtschaftlicher Bedeutung. Sie locken nicht nur Touristen an, sondern speisen auch grosse Flüsse und spielen eine wichtige Rolle bei der Wasserkraftnutzung.
In Galtür, einem 870-Einwohner-Ort in der Nähe des Jamtal-Gletschers, hat der Alpenverein bereits reagiert und bietet eine Wanderung mit dem Titel «Goodbye Gletscher» an, um das Bewusstsein für die Folgen des Klimawandels zu stärken. Sarah Mattle vom Alpenverein beobachtet, dass die Teilnehmer sich bei der Besichtigung des schrumpfenden Gletschers «wirklich dessen bewusst werden, was sie in den Medien hören und sehen».
Auch den Menschen vor Ort geht die Entwicklung nahe. «Mein Herz blutet, wenn ich an die vergangene Pracht denke», sagt etwa Gottlieb Lorenz. Sein Urgrossvater war der erste, der die Berghütte im Jamtal auf 2165 Metern Höhe führte. Lorenz zeigt ein Schwarzweiss-Foto von 1882, das die Hütte von einer dicken weissen Eis- und Schneeschicht umgeben zeigt. Heute müssen die Hüttenbesucher anderthalb Stunden laufen, um zum Gletschereis zu kommen.