In seinem Stall stehen Kühe, die andere Bauern nicht mehr wollen. Problemkühe, die keine Schönheitswettbewerbe gewinnen, die nur mittelmässig Milch geben. Bei Bio-Bauer Urs Büeler in Aesch BL sind sie willkommen und die Rechnung geht für ihn auf.
Trächtig oder nicht? Die Tierärztin – Gummistiefel, braunes Übergewand – steht im Laufstall und stülpt sich einen langen Handschuh über den rechten Arm und greift in den Dickdarm der Kuh. Mittels Ultraschall prüft sie, ob die Besamung durch den Limousin-Stier erfolgreich war oder nicht. Die Kühe stehen derweil ungerührt da, in Reih und Glied haben sie sich aufgestellt; den Kopf durch das Fressgitter gestreckt, kauen sie gemütlich auf der Mischration.
Kuh für Kuh kontrolliert die Veterinärin. Das Spezielle dabei: Da stehen schwarz-weisse neben rot-weissen, graue neben gelb-braunen Kühen. Im Stall von Urs Büeler herrscht Multikulti, beinahe jede Milchkuhrasse ist vertreten: Holstein, Simmentaler, Jersey, Braunvieh, Montbéliard, Red-Holstein.
Vielfalt statt Uniformität
Das war bis ins Jahr 1997 anders. Auf dem Neumatthof in Aesch BL gab es – wie auf den meisten Bauernbetrieben der Schweiz – nur eine Rasse. Bei der Familie Büeler war es Braunvieh. Dies hatte Tradition, bereits Franz Büeler hatte Braunvieh im Stall stehen. Sein Sohn Urs hätte wohl nichts daran geändert, hätte er nicht wegen schlechter Erfahrungen mit dem Züchten aufgehört. Zu viele männliche Kälber, zu viele Probleme mit dem Aufzuchtvertragspartner.
Das bewog den gelernten Schreiner und Bauern, die Zucht von Milchkühen anderen Landwirten zu überlassen und fortan diese zuzukaufen. Am Braunvieh wollte er zunächst festhalten. Doch das erwies sich als schwierig. Als Bio-Betrieb wären nur Bio-Brauvieh-Kühe in Frage gekommen. Diese wären zwar erhältlich gewesen, aber: "Ich hätte in der ganzen Schweiz herumkurven müssen. Das wollte ich nicht, die Kühe sollen aus der Region kommen", erklärt Büeler. Und so machte er aus der Not eine Tugend, indem er begann, auch Kühe anderer Rassen zu kaufen, von Bauern aus den Kantonen Baselland und Jura.
Für die Zucht untaugliche Kühe
Ein bunter Rassenmix ist nicht das einzig Spezielle an seinem Hof. "Mit diesen Kühen kannst du nicht an die Olma gehen", sagt Büeler ohne Umschweife. Er schreitet durch den Stall und kommentiert: "Isabelle hat nur drei Zitzen, Gardenia hat ein verschobenes Becken und Wuschel ist aussergewöhnlich klein für eine Simmentaler Kuh." Es sind keine Vorzeigekühe, die in Büelers Stall stehen.
Büeler: "Das ist doch egal." Seine Tiere müssen keine Schöneuterpreise gewinnen, müssen keine perfekten Fundamente und Rückenlinien aufweisen. Geht Büeler zu einem Berufskollegen, um eine Kuh zu kaufen, will er nicht wissen, welche am meisten Milch gibt, sondern: "Zeig mir diejenige Kuh, die du nicht mehr willst." Zuchtuntaugliche Kühe sind es, die Büeler interessieren, solche, die andere Bauern verkaufen würden. Weil sie beispielsweise mit dem Melkroboter nicht zurechtkommen oder sonstige Probleme haben.
"Mangelkühe" sind billiger
Das hat einen Vorteil: Solche Kühe sind günstiger, im Durchschnitt muss er 1'000 Franken weniger bezahlen für eine "Mangelkuh". Allerdings sind es auch keine Hochleistungskühe. Das stört Büeler, der nach seiner Landwirtschaftsausbildung dreieinhalb Monate durch die USA von Farm zu Farm reiste, nicht. "Die Milchleistung ist mir egal. Ich will meine 50 Kühe nicht ausquetschen."
Mit einer Milchleistung zwischen 6'500 und 7'500 kg pro Laktation über alle Rassen liegt Bühler unter dem nationalen Durchschnitt. Mehr Leistung liegt auch kaum drin, zumal Büeler fast ausschliesslich hofeigenes Raufutter, kaum aber Kraftfutter ("liegt im 100 Gramm-Bereich pro Kuh") verfüttert.
Langlebigkeit und Gesundheit
Büeler gibt Kühen auch mal eine zweite Chance, anstatt sie gleich zur Schlachtbank zu führen. Beispielsweise Kuh Sirene. Deren Milchleistung brach nach der Geburt des Kalbes ein, das Immunsystem war geschwächt. "Ich hätte sie eigentlich schlachten müssen", so Büeler. Er wolle der Holsteinkuh, die auf einem anderen Betrieb aufwuchs, aber noch Zeit geben, sich einzuleben. Das zahle sich aus, ist Büeler überzeugt. Er habe schon mehrfach beobachtet, dass Kühe mit Problemen sich wieder aufgefangen und sich danach als langlebig und unproblematisch erwiesen haben.
Langlebigkeit und Gesundheit: Das sind Aspekte, die Büeler besonders am Herzen liegen. Er nutze seine Kühe länger als als andere Bauern, sagt er. Die Lebensleistung der Tiere liege 50 Prozent über dem kantonalen Durchschnitt. Klauen- oder Fruchtbarkeitsprobleme habe er kaum. Büeler führt das nebst der naturnahen Fütterung auch auf seinen Freilaufstall zurück, einen so genannten Freilaufunterstand, den er selber konzipiert und gebaut hat. Dieser befriedige die Grundbedürfnisse der Kühe: Viel Licht, Auslauf, ständiger Zugang zu frischem Wasser und Futter. Dazu komme eine gesunde Sozialstruktur der Herde.
Rechnung geht auf
Wer den 55-Jährigen für einen Idealisten hält, der viel übrig hat für seine Tiere, der darüber aber das Wirtschaftliche vernachlässigt, irrt. Büeler lässt für seinen Betrieb jeweils eine Vollkostenrechnung erstellen. Wie viel bringt ihm eine Kuh mit ihrer Milch ein? Wie hoch ist der Fleischerlös? Wie hoch sind die Tierarztkosten?
Minutiös werden sämtliche Einnahmen und Ausgaben aufgelistet und mit einer Vergleichgruppe anderer Bauern verglichen. Resultat: Büeler wirtschaftet effizienter, sein Verdienst ist höher als der Branchendurchschnitt. Im kantonalen Vergleich gehört er zu den besten Betrieben. Vom Buchhalter erhalte er jeweils Lob, sagt Büeler schmunzelnd.
Der Neumatthof
Urs Büeler produziert jährlich rund 300'000 kg Milch. Er habe immer zu wenig Milch, sagt der Bio-Bauer, dessen Betrieb der Stadt Basel gehört. Er könnte ohne weiteres seinen Kuhbestand um 20 auf 70 Tiere erweitern. Eine Aufstockung komme aber nicht in Frage. Die Futterfläche und das Jaucheloch seien die limitierenden Faktoren. Den grössten Teil seiner Milch wird durch die Miba vermarktet, ein Teil geht an lokale Milchverarbeiter und rund 1'000 Liter monatlich verkauft er direkt ab Hof an seinem Automaten.
Von der Milch seiner Kühe schwärmt Büeler: Milch auf Raufutterbasis sei gehaltvoller, das Aroma sei einzigartig, weil sie von diversen Kuhrassen stamme. Die Fett- und Eiweissgehalte der Milch würden über dem Durchschnitt liegen. Büeler lässt seine Kühe von einem Fleischrasse-Stier (Limousin) besamen. Für die Kälber erhält er einen höheren Preis als für Milchrasse-Kälber. Möglich ist das aber nur, weil Büeler die Kälber nicht für die Milchproduktion braucht. Nebst der Milchwirtschaft betreibt Büeler noch Ackerbau. Von den 30 Apfelsorten, die auf Hochstammbäumen gedeihen, stellt er Süssmost her, den er ab Hof verkauft. mw