Nur qualitativ hoch stehende Milch war der Anglo-Swiss gut genug. Schon vor 130 Jahren gab es strenge Kontrollen. Der US-Amerikaner George Page verarbeitete zeitweise die Milch von 8000 Kühen zu Kondensmilch.
«Täglich werden die Milchproben in den Laborräumlichkeiten kontrolliert und mit Hilfe von Laktometern, Mikroskopen und weiteren Apparaturen analysiert. Von jeder Milchprobe wird ein wenig aufbewahrt, und der sich bildende Rahm wird nochmals untersucht.» Dies ist nicht etwa ein Auszug aus einem Jahresbericht eines heutigen Milchverarbeiters, sondern war Alltag der «Anglo-Swiss Condensed Milk Company» in Cham ums Jahr 1870.
Der Milchinspektor kam
Bauern mit wenig gehaltvoller Milch wurden ermahnt oder unterstützt. Die 1866 gegründete Fabrik des Amerikaners George Page hatte einen Milchinspektor angestellt, der bei solchen Bauern in die Ställe und auf die Weiden ging, um handfeste Ratschläge zu erteilen. Diese sollten zu mehr und zu besserer Milch führen. Dieses System habe auch tatsächlich zu einer Erhöhung und Verbesserung der Milchqualität geführt, ist nachzulesen.
Besonders bestraft wurde, wer die Milch zu panschen versuchte. Das sei gang und gäbe gewesen. So habe man Milch schon damals mit Wasser und mit Kalk gestreckt. Ein Bauer sei deswegen zu 18 Monaten Haft verurteilt worden.
Generaldirektor George Page verstand etwas von der Materie, «er selber glaubte, sogar mehr davon zu verstehen als die Bauern in der Schweiz.» So hiess es in einer Werbeschrift von 1868, «dass die Milch, die wir condensiren, die beste der Welt ist.»
Im Jahr zuvor wurde die in Europa bisher unbekannte Kondensmilch an der ersten Milch-Produkte-Ausstellung in Bern vorgestellt. Dort erhielt Pages eingedickte und aufgezuckerte Milch vom Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verein gute Noten. 1867 kehrte der «General», wie Page von den Chamern auch genannt wurde, mit einer Medaille von der Weltausstellung aus Paris zurück, der einzigen einer Schweizer Firma.
Neue Perspektiven
Page schloss Milchlieferverträge mit den Chamer Bauern ab. Und er erliess zugleich Vorschriften, wie diese anzuliefern sei: frisch, gesiebt und im Brunnen gekühlt. Milch von frisch gekalbten Kühen und solchen, die als Zugtiere verwendet wurden, war nicht erwünscht. Für den Transport stellte er Tansen zur Verfügung. Er vereinbarte einen garantierten Milchpreis. Das gab einerseits eine gegenseitige Abhängigkeit, bot jedoch andererseits ein geregeltes Einkommen, was zu dieser Zeit überhaupt nicht selbstverständlich war.
Schon im ersten Jahr wurden 137000 Büchsen «Milchmädchen» à ein englisches Pfund (ca. 450 Gramm) abgesetzt. 43 Bauern brachten täglich die Milch von 263 Kühen in die Fabrik. Die Bauern schätzten dies und schwenkten rasch auf das Angebot ein, rascher als in der übrigen Schweiz.
Die Anglo-Swiss hatte bald zu wenig Milch. So weitete sie ihr Einzugsgebiet kontinuierlich aus. Zuerst auf den ganzen Kanton, das angrenzende Knonaueramt und das Freiamt. 1871 bestanden Verträge mit dem Gebiet Rothenburg-Nottwil, 1875 kam sogar das Entlebuch dazu. In den besten Zeiten wurde Milch von rund 8000 Kühen täglich in Cham verarbeitet.
Das Geschäft boomt
Ein ansehnlicher Teil der Milch wurde exportiert. Gerade in Städten, wo wenig frische Milch erhältlich war, fand die Milchmädchen-Kondensmilch reissenden Absatz. Page hatte die Strategie, die Konkurrenz vom Markt zu kaufen. Die «Chamer Milch» machte Schule. So kaufte er Betriebe in Gossau SG und Düdingen FR auf. Dazu expandierte er ins Ausland, baute 1874 neue Fabriken im deutschen Rickenbach am Bodensee und gleich drei in England.
Er war streng mit sich, den Mitarbeitenden und den Lieferanten. So stellte er in Cham auch die Büchsen selbst her, nachdem er mit der Qualität des bisherigen Lieferanten nicht zufrieden war. Die Dividende betrug Ende der 1880er-Jahre 20 Prozent des Aktienkapitals. Innert 30 Jahren verdiente Page Millionen.
Nur einen konnte er nicht übenehmen - Henri Nestlé
1889 baute er die weltgrösste Kondensmilchfabrik in seinem Geburtsort Dixon USA. Mit ihm zogen zahlreiche Schweizer Familien, denen er noble Arbeiterhäuser, das Swissville, erbaute. Einen Konkurrenten wollte er mehrmals übernehmen: Henri Nestlé in Vevey. Jedoch vergeblich. Erst 1905, sechs Jahre nach seinem Tod, wurde daraus die «Nestlé and Anglo-Swiss Condensed Milk Company.»
Quellenangabe: «George Page, der Milchpionier». Michael van Orsouw, Judith Stadlin und Monika Imboden, 2005.