Nachdem zwei Drittel der absturzgefährdeten zwei Millionen Kubikmeter Gesteinsmassen ob Brienz GR ins Tal gedonnert sind, hat der Gemeindepräsident von Albula, Daniel Albertin, von einem Glückstag gesprochen. Experten rechneten nicht damit, dass der Schuttstrom vor dem Dorf stoppt und es komplett verschont.
Die Brienzerinnen und Brienzer müssen sich aber weiterhin in Geduld üben. Zur Zeit sei die Sicherheit im Dorf noch nicht gewährleistet, sagte Andreas Huwiler, Geologe des Kantons Graubünden, am Freitagnachmittag vor den Medien in Tiefencastel. Der Schuttstrom, der sich teilweise auf bis zu zwölf Meter Höhe auftürmt, sei noch nicht stabil.
Braucht noch Geduld
Es sei nicht auszuschliessen, dass aus dem Schutt bei Niederschlägen Murgänge entstehen könnten. Es brauche deshalb noch mehrere Tage Geduld, bevor die Einwohnerinnen und Einwohner zurückkehren können. Auch warten die Experten auf verlässliche Daten aus den Messsystemen, die erst gegen Freitagabend zu erwarten sind.
Zur Zeit sei der Berg allerdings «erstaunlich ruhig». Auch gab es keine grösseren Nachbrüche, sagte der Leiter des Frühwarndienstes Stefan Schneider.
Zusätzliche Evakuierungen in der Nacht
Mitten in der Absturznacht musste die Polizei zusätzliche drei Familien aus zwei Häusern im angrenzenden Dorf Surava evakuieren. Ausserdem seien fünf Kühe in Sicherheit gebracht worden. Während der Nacht hielt der Gemeindeführungstab zweimal eine Sitzung ab. «An Schlaf war nicht zu denken», sagte Albertin.
Nach ersten Schätzungen der Geologen kamen etwa 1,5 Millionen Kubikmeter Gestein herunter. Die Verantwortlichen hätten einen Freudensprung gemacht, als sie bei Anbruch des Tages gesehen hätten, dass die Massen das Dorf nicht beschädigt hatten.
Der Abgang des Gesteins war weit herum hörbar, wie mehrere Einwohnerinnen und Einwohner aus Tiefencastel gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA erklärten. Auch am Morgen danach rumpelte es immer wieder und Staub stieg auf.
Grosse Zerstörungskraft
Vom Schuttstrom ging eine grosse Zerstörungskraft aus. So war zu sehen, wie eine Holzhütte weiter oben am Hang begraben wurde und Bäume wie Streichhölzer nachgaben. Vorher-Nachher-Bilder zeigen die massiven Veränderungen im Landschaftsbild.
Am Vortag waren in dem Gebiet noch nackte Felsen, einzelne Brocken, helles und dunkles Gestein sowie darunter Wiesen, und Bäume zu erkennen. Am Freitag lag dies alles unter der gigantischen Schuttschicht begraben. Vor dem Abgang hatte sich die sogenannte Insel noch einmal sehr stark beschleunigt. Messungen zufolge rutschte sie 40 Meter pro Tag talwärts. Das war eine zehnfache Geschwindigkeitszunahme innert Stunden.
Erleichterung bei Betroffenen
Bis am Freitagnachmittag meldeten sich viele Brienzerinnen und Brienzer beim Gemeindepräsidenten und brachten ihre Erleichterung zum Ausdruck, wie Albertin ausführte. Es sei der beste Tag seit der Evakuierung. Aus der grossen Hoffnung sei nun Gewissheit geworden, sagte er weiter.
Huwiler bezeichnete die Wahrscheinlichkeit als «sehr sehr gross» dass alle 84 Einwohnenden zurückkehren können und Brienz längerfristig bewohnbar bleibt. Da nicht nur der Hang oberhalb des Dorfes, sondern auch der Untergrund seit Jahren stetig talwärts rutscht, wird seit 2021 ein 41 Millionen Franken teurer Sondierstollen unter dem Dorf gegraben. Daraus soll Wasser abgeleitet und die Rutschung verlangsamt werden.
Bis am Vortag flossen 850’000 Franken an Spendengeldern auf ein Konto für Direktbetroffene. Die Auszahlung wird von einer Kommission überwacht, welcher Nationalrätin Anna Giacometti (FDP/GR) vorsteht.