Ein internationales Forscherteam mit Schweizer Beteiligung hat DNA-Analysen am Zahnstein von fossilen Neandertaler-Gebissen durchgeführt. Neben regionaltypischen Ernährungsweisen fanden die Forscher bei einem Individuum auch Hinweise auf Selbstmedikation.
Wenn sich Zahnstein bildet, können winzige Essensreste und Mundbakterien darin eingeschlossen werden. Die Forschenden um Laura Weyrich von der University of Adelaide haben solche Einschlüsse im Zahnstein von Neandertalern per DNA-Analyse untersucht und daraus Rückschlüsse auf ihre Ernährung und Gesundheit gezogen.
Von Wollnashorn bis Moos
Die untersuchten Gebisse stammten von vier Individuen aus der Höhle von Spy in Belgien und der El-Sidron-Höhle in Spanien und sind zwischen 42'000 und 50'000 Jahre alt. Anhand der DNA-Analyse zeigte sich, dass sich die Ernährungsweisen an den beiden Orten stark unterschieden, berichtet das internationale Team um Laura Weyrich von der University of Adelaide im Fachblatt «Nature». Ebenfalls an der Studie beteiligt war Kurt Alt, Gastprofessor an der Uni Basel.
Das Menü der Neandertaler aus der belgischen Spy-Höhle war demnach recht fleischlastig, mit Wollnashorn und wilden Schafen (Mufflons), ergänzt durch Pilze. In Spanien hingegen stand Fleisch offenbar kaum auf dem Speiseplan, und die Ernährung beruhte neben Pilzen mehr auf Pinienkernen und Moosen.
Unterschiedliche Ernährungsweisen
Die so unterschiedlichen Ernährungsweisen erklären sich aus dem Nahrungsangebot der verschiedenen Gegenden: die Individuen in Belgien jagten in einer Steppenlandschaft, die in Spanien sammelten ihre Nahrung in einer dicht bewaldeten Region. In der Spy-Höhle in Belgien waren auch zuvor bereits Knochen grösserer Beutetiere gefunden worden.
Besonders überraschend waren die Ergebnisse über eines der Neandertaler aus der El-Sidron-Höhle. Seinem Gebiss war anzusehen, dass er an einem dentalen Abszess litt. Ausserdem litt er offenbar an einem Magenparasit, der heftigen Durchfall verursachte, wie die DNA-Analysen zeigten.
Natürliches Aspirin und Penicillin
Erstaunlicherweise behandelte er sich dagegen offenbar selbst: «Er hat Pappel gegessen, die das Schmerzmittel Acetylsalicylsäure (den Wirkstoff in Aspirin) enthält», erklärte Weyrich gemäss einer Mitteilung ihrer Hochschule. Ausserdem entdeckten sie und ihre Kollegen bei ihm den Schimmelpilz Penicillium, der Penicillin erzeugt. Die anderen Neandertaler zeigten keine Spuren davon.
«Offenbar hatten Neandertaler gute Kenntnisse über Heilpflanzen und ihre verschiedenen entzündungshemmenden und schmerzlindernden Eigenschaften», so Weyrich weiter. «Der Gebrauch von Antibiotika wäre sehr überraschend, da das über 40'000 Jahren vor der Entdeckung von Penicillin war.» Die Ergebnisse der Studie stünden jedenfalls in starkem Kontrast zum verbreiteten Bild vom primitiven Neandertaler.