Der Begriff Inflation bezeichnet einen anhaltenden Anstieg des Preisniveaus. Verkürzt gesagt: Inflation herrscht, wenn die Preise für eine grosse Anzahl an Waren, Produkten und Dienstleistungen steigen und nicht wieder sinken. Passiert das, verringert sich die Kaufkraft des Geldes
Gerd Altmann
Hat es in der Schweiz schon einmal Deflation gegeben?
Ja, mehrfach. Die Entwicklung der Konsumentenpreise war zuletzt zwischen Februar 2020 und März 2021 negativ, mit einem Tiefststand der Inflation von minus 1,3 Prozent im Mai 2020. Die Coronavirus-Pandemie hatte damals die Weltwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen und das Wachstum und die Preisentwicklung gebremst. Eine weitere längere Phase negativer Inflation war davor zwischen Oktober 2011 und November 2016 zu beobachten gewesen, wobei der Tiefpunkt im August 2015 mit minus 1,4 Prozent erreicht wurde. Dieser Zeitraum war durch die Schuldenkrise in der Eurozone und die Aufgabe des Franken-Mindestkurses geprägt.
Ist eine negative Inflation mit negativen Leitzinsen verbunden?
Das ist oft der Fall. Das liegt daran, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) unter anderem den Auftrag hat, für Preisstabilität zu sorgen. Also für eine Inflation, die zwischen 0 und 2 Prozent liegt. Die Inflation kann die SNB nicht zuletzt auch mit dem Leitzins beeinflussen. Steigt die Inflation, erhöht die Notenbank ihren Leitzins, um die Entwicklung zu bremsen. Wenn die Preise sinken, senkt sie ihn.
Wie wirkt sich Deflation auf die Kaufkraft aus?
Grundsätzlich positiv. Denn eine Deflation senkt die Preise der konsumierten Produkte und Dienstleistungen, wodurch die reale Kaufkraft der Konsumenten steigt.
Warum ist das trotzdem schlecht für die Wirtschaft?
Ein Preisrückgang bringt die Gefahr einer sinkenden Nachfrage mit sich. Denn sinkende Preise können die Konsumenten dazu veranlassen, ihre Ausgaben einzuschränken – in der Hoffnung, künftig von noch niedrigeren Preisen zu profitieren. Dies führt tendenziell dazu, dass aus einer deflationären Situation eine rezessive Situation entsteht. Daraus wiederum kann ein Rückgang der Beschäftigung, der Löhne und der Kaufkraft entstehen.
Müssen wir nun in Panik verfallen?
Ökonomen sehen keinen Grund dafür. Sie verweisen insbesondere darauf, dass die «deflationsverursachenden Güter» aktuell grösstenteils importiert werden. Die Teuerung könne deshalb zwar durchaus negativ werden, dies führe aber zu keiner besorgniserregenden Situation, meinte kürzlich etwa BAK-Economics-Ökonom Claude Maurer. Und auch die Experten der ETH-Konjunkturforschungsstelle (KOF) verweisen auf die Rolle der Importgüter: «Die Binneninflation bleibt positiv, und solange dies der Fall ist, wird es keine breitabgestützte Deflation geben.» Viele Experten gehen für die zweite Jahreshälfte im übrigen trotz der aktuell tiefen Inflation weiterhin von einer leicht positiven Inflation aus.
Was ist mit den Mieten?
In der Schweiz sind die Mieten seit 2008 an den Referenzzinssatz gekoppelt, der vierteljährlich vom Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) veröffentlicht wird. Dieser Zinssatz wird auf der Basis der ausstehenden Hypothekarforderungen der Schweizer Banken berechnet. Eine Senkung des Leitzinses führt zu einem Rückgang der Hypothekarzinsen und ebnet theoretisch den Weg für einen Rückgang der Mieten. Dieses System leidet jedoch an einer grossen Trägheit, da sich der Referenzzinssatz nur sehr langsam ändert.
Können wir nun alle Immobilien kaufen?
Die Höhe der Hypothekarzinsen der Geschäftsbanken hängt tatsächlich auch vom Leitzins der SNB ab. Eine Senkung des Leitzinses senkt die Kosten von Krediten. Da die meisten Immobilienkredite jedoch über eine feste Laufzeit von mehreren Jahren abgeschlossen werden, würden die Kreditnehmer nicht sofort von einer Senkung des Leitzinses profitieren, sondern erst bei einer Neuverhandlung ihres Kredits. Die Geschäftsbanken berechnen ausserdem einen Aufschlag von 100 bis 120 Basispunkten, der über den kurzfristigen Geldmarktzinsen (entsprechend dem SNB-Satz) liegt. In der Praxis ist es daher schwierig, Hypothekenzinsen von unter 1 Prozent für 10 Jahre zu erwarten.
Was ist mit meinen Ersparnissen?
Ein tiefer oder gar negativer Leitzins führt auch zu einer sehr geringen Verzinsung von Bankguthaben. Das ist gewollt. Denn Privatpersonen sollen investieren und konsumieren, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die Auswirkungen auf die Vermögen sind derweil vielfältig. Weniger attraktive oder sogar negative Zinssätze regen dazu an, mehr Risiken einzugehen – zum Beispiel mit Investitionen in Aktien oder Private Equity.