Esther Siegenthaler, gebürtige Bauerntochter und ausgebildete Lehrerin aus Schangnau BE, lebt und arbeitet momentan als Praktikantin auf mehreren Milchviehfarmen in Neuseeland. In ihrem Blog berichtet sie regelmässig über das, was sie dort erlebt.
Auch die restliche Zeit meines Aufenthaltes bleibe ich bei Familie Stokes, denn Ende April/Anfang Mai gibt es eine weitere für mich interessante Arbeit: neue Aufzucht-Rinder kommen. Als weiteres Standbein halten Helen und Peter rund 220 Rinder von fünf Farmen im Aufzuchtvertrag. Kurz erklärt bedeutet das, dass Kälber vom letzten Frühjahr für ein Jahr auf den 720 Acres von Stokes grasen und dann sechs bis sieben Monate trächtig auf die Milchfarmen zurück gehen.
Jedes Rind wird gewogen
Auf der Farm bei Stokes angekommen, werden die Kälber vom vergangenen Frühjahr (Juli bis September) als erstes gewogen und der Identitäts-Code im Ohr eingescannt. Hierzu muss jedes einzeln die Waage passieren. Bein einscannen speichert Peter nebst dem Gewicht auch die NAIT-Nummer (Nummer der neuseeländischen Tierverkehrsdatenbank) und die Nummer auf der grossen Ohrmarke. Eigentlich sollten die Kälber im Durchschnitt mindestens 200 Kilogramm wiegen.
Von einem Farmer waren die 30 Stück durchschnittlich 187 Kilogramm, das schwerste neun Monate alte Rind brachte stolze 321 Kilogramm auf die Waage. Die Rinder können klar zu klein und zu leicht sein, vor allem weil ab Oktober die Bullen zur Herde geführt werden. Dennoch bevorzugt Peter die leichteren Kälber, denn er ist verpflichtet, im folgenden Jahr eine Gewichtszunahme von 200kg zu erreichen. Schwere Kälber haben auf ihren Stammfarmen oft freien Zugang zu Palmkörnern und es wird viel zugefüttert. Bei Peter ist dies nicht der Fall, so kommen die Kälber und haben nie richtig gelernt viel Gras zu fressen, denn es gab immer energiereiche "Leckerbissen". Pro Rind und Woche werden 9 bis 10 Neuseeland-Dollar bezahlt. Entwurmen und die Zink-Boulus gegen Exzema sind inbegriffen, nicht aber der Transport.
Zink-Boulus gegen Eczema
Peter ist auch für das Entwurmen der Rinder verantwortlich. Alle vier bis acht Wochen werden sie gegen Parasitenbefall behandelt. Zudem müssen im Sommer zwei Zink-Bouli verabreicht werden, sie schützen vor Eczema. Eczema wird durch eine toxische Pilzpore, welche über das Gras aufgenommen wird, verursacht. Es entsteht ein Leberschaden wobei ein Abbauprodukt von Chlorophyll im Körper bestehen bleibt und eine Sonnenunverträglichkeit hervorrufen kann. Vor allem dünne und weisse Haut ist betroffen, sie beginnt sich abzulösen. Einige Tiere verenden.
Bei Milchkühen verursacht Eczema zudem eine erhebliche Produktionseinbusse, zudem ist oft das Euter betroffen, was das Melken aufgrud der Schmerzen erschwert oder gar verunmöglicht. Nebstdem Rindvieh sind auch Schafe und Ziegen betroffen. Zink beugt gegen Eczema vor, es wird per Helikopter oder Flugzeug übers Gras verteilt, im Wasser verabreicht oder über Bouli direkt eingegeben werden. Ein Bolus für Rinder kostet neun bis zehn Dollar!
Grassilage zufüttern
In den ersten Wochen nach der Ankunft bekommen die Rinder alle zwei Tage Grassilage zugefüttert, direkt auf den Boden, sie fressen restlos alles auf. Im Winter ist es zu nass und somit zu gefährlich um mit dem Traktor in die steilen Weiden zu fahren. So sind die Rinder auf sich gestellt, auch im Frühjahr und Sommer wenn wieder mehr Gras wächst. In dieser Zeit, also ab Oktober, werden auch die Bullen in die Herden geführt. Ab März beginnt Peter wieder mit ausfüttern. Das ganze Jahr über werden alle Rinder jeden zweiten Tag kontrolliert.
Gewichtsbeschränkung beim Transport
Am 1. Mai ist der Schnitttag, die Rinder gehen wieder nach Hause. Sie werden erneut gewogen. Peter hat in diesem Jahr einen guten Job gemacht, alle fünf Herden haben durchschnittlich mehr als 200 Kilogramm zugenommen. Das schwerste Rind ist 519 Kilogramm! Dies ist ein stolzes Gewicht, denn in Neuseeland sind die Kühe durchschnittlich kleiner als in der Schweiz, die Kälber wiegen nur selten über 30 Kilogramm bei der Geburt.
Nicht alle Rinder können am 1. Mai nach Hause, die Transportunternehmen haben zu wenig Kapazität. Somit haben wir die fünf Herden an fünf verschiedenen Tagen gewogen und verabschiedet. So auch am Sonntag, denn hier dürfen die Lastwagen immer fahren. Die Chauffeure dürfen legal 13 Stunden pro Tag fahren, in dieser Zeit müssen sie mindestens eine Pause von 30 Minuten einlegen!
Transportiert werden die Rinder in riesigen doppelstöckigen Lastwagen mit Anhänger. 75 bis 80 trächtige Rinder haben Platz, oder 600 Schafe, da werden noch zwei Etagen mehr heruntergeklappt und der Truck ist vierstöckig. In Neuseeland gilt keine Platzbeschränkung, das Gewicht zählt. Ich habe den Chauffeur nach der Ladebeschränkung gefragt: " Legal sind 40 Tonnen, doch 60 Tonnen haben gut Platz!"antwortet er mit einem Lächeln und quetscht das nächste Rinde rein.
Wohl doch keine Erfahrung
Ich bin mit Sömmerungsrindern aufgewachsen, bereits seit Kleinkind bin ich stets mit gegangen und habe früh gelernt Rinder in den Stall zu treiben, anzubinden und wieder loszulassen. So glaubte ich, ich hätte Erfahrung und habe die Warnung von Peter, dass ich aufpassen soll, nicht sehr ernst genommen. So lange nicht, bis mich das erste geschlagen hat.
Besonders in der Yard wurde mir bewusst, wie scheu und "menschenungewohnt"die Rinder sind. Sie drängen sich alle in eine Ecke, ein Hinaustreiben ist schwierig, und sie schlagen aus! Bei einer Gruppe wollten wir einige aussortieren. Ich stand beim Gate und öffnete es, wenn nötig. Ein Rind sollte im Fährrich bleiben, also schloss ich das Gate. Das Rind machte einen grossen Satz über mich und das Gate, ohne uns zu berühren, also ist es höher als 1,6 Meter gesprungen!
Die letzte Woche hier in Neuseeland ist einmal mehr sehr spannend und eindrücklich. Zudem habe ich viel gelernt und weiss nun, wie man die Rinder aus der Ecke treiben kann.