Menschen in schwierigen Situationen finden bei Bauernfamilien ein Zuhause. Marc* lebt seit bald 2 Jahren auf einem Hof im Emmental - mit Erfolg.
Das Bauernhaus liegt in einer typischen Emmentaler Landschaft, geprägt von steilen Hügeln. Bereits im 17. Jahrhundert wurde es erbaut. An den Hängen bauten die Generationen zuvor noch Kartoffeln an. Das lohnt sich heute nicht mehr. Aber immer noch erinnert der Hof an ein Bild, wie sich manch Städterin und Städter den typischen Bauernhof vorstellt. Kühe, mit deren Milch die nahe Käserei Emmentaler und Spezialitätenkäse produziert, sind einer der Betriebszweige. Dazu gibt es Schweine, Ponys, Enten und Bienen. Ums Haus streichen Katzen.
Susanne und Peter Wüthrich haben sich entschieden, im Rahmen von "Betreutes Wohnen in Familien" (BWF) der Oekonomischen Gemeinnützigen Gesellschaft Bern (OGG) Menschen in ihrer Familie aufzunehmen. Seit bald zwei Jahren wohnt der 20-jährige Marc* bei der Familie. Der Aufenthalt bei Familie Wüthrich macht es möglich, dass er sich entwickeln und die Integration in die Arbeitswelt vorantreiben kann. Zuvor hatte er Probleme, sich in die Arbeitswelt zu integrieren und es war zu Abbrüchen in der Lehre gekommen.
"Mich motiviert es, mit den Leuten zusammen zu arbeiten und sie zu unterstützen", sagt Susanne Wüthrich. Die Familie hatte seit Jahren geplant, jemanden aufzunehmen. Marc ist der zweite Dauergast der Familie. Zuvor hatte bereits eine ältere Frau bei Wüthrichs auf dem Hof gelebt.
Das Zusammenleben sei ein Geben und Nehmen, sagt Susanne Wüthrich. Umso wichtiger ist, dass Gast und Familie zusammenpassen. So wie es bei Marc* und Familie Wüthrich der Fall ist.
Dafür verantwortlich, dass der Gast und die Familie sich fanden, war Susanna Staub, Sozialpädagogin der OGG, wo sie im Bereich BWF tätig ist. Sie begleitet Marc von Start bis zum Ende seiner Zeit bei Familie Wüthrich.
Fingerspitzengefühl gefragt
"Es braucht Fingerspitzengefühl, um eine gute Passung zu finden", sagt Staub. "Ich muss genau herausfinden, wer wohin passt." Es müsse sowohl für die Familie als auch für den Gast stimmen. "Wichtig ist auch, dass alle Familienmitglieder einverstanden sind. Sind sie das nicht, wird es nicht funktionieren", ist Susanna Staub überzeugt.
Das Begleiten des Betreuungsverhältnisses ist eine weitere wichtige Aufgabe. Regelmässiger Kontakt und Gespräche gehören dazu. Die BWF-Mitarbeiterinnen und - mitarbeiter sind auch die Betreuer bei Krisen. Um jederzeit erreichbar zu sein, wird ein 24-Stunden-Telefon für die Gastfamilien betrieben.
"Bei uns und Marc hat es von Anfang an gepasst", sagt Peter Wüthrich. "Das ist nicht selbstverständlich, denn Marc hat das Leben auf dem Bauernhof nicht gekannt." Marc stammt aus einer Agglomerations-Gemeinde im Kanton Bern, aus einer anderen Welt als derjenigen des Emmentals.
Dementsprechend war der Umzug auf den Hof eine grosse Veränderung. Auch wenn es das eine oder andere Mal Motivations-Schwierigkeiten gab, am Ganzen gezweifelt hat Marc nie: "Ich hatte meine Höhen und Tiefen. Aber ich hatte nie den Gedanken, dass das hier nichts für mich ist", sagt er. Er mag vor allem die Abwechslung, die ihm der Hof bietet.
"Klar gibt es Arbeit, die sich wiederholt. Etwa diejenige mit den Kühen, das Misten oder das Putzen des Schweinestalls. Aber es gibt immer wieder Neues, wie das Spalten von Holz oder die Honig-Ernte im Sommer", so Marc. Und auch die drei Kinder der Familie hütet Marc ab und zu. Auch eine gewisse Unabhängigkeit hat Marc, so bewohnt er im Bauernhaus eine eigene Wohnung und dank der Autoprüfung und einem Roller ist der Weg nach Langnau nicht mehr so weit.
Wüthrichs sind mit Marc zufrieden. "Er hat alles sofort begriffen. Manchmal war die Motivation, morgens früh aus den Federn zu kommen, ein Problem. Aber es funktioniert", sagt Peter Wüthrich. Seit einiger Zeit arbeitet Marc auswärtig als Vorbereitung für eine Lehrstelle, die er derzeit sucht. Der Auszug ist auf Ende Juni geplant. Er suche nichts bestimmtes, sagt Marc. Gefallen würde ihm eine Lehrstelle im sozialen Bereich.
Gespräche helfen in schweren Zeiten
Kurz vor dem Auszug stellt sich die Frage, was Marc der Aufenthalt gebracht hat. Er habe in vielerlei Hinsicht profitieren können, zeigt er sich überzeugt. "Auch in schwierigen Zeiten haben die Gespräche mit der Familie geholfen", sagt Marc. "Es war eine Erfahrung, die ich sonst nie gemacht hätte, dieses Leben auf einem Bauernhof. Hier ging dieser Druck weg, der zuvor immer da war. Der Aufenthalt hat mir die Möglichkeiten und die Zeit gegeben, die ich für mich brauchte."
Es sei schön, eine Entwicklung beim Gast zu sehen, sagt Susanne Wüthrich. "Auch wir können von seinem Aufenthalt profitieren. Wir sehen, dass es anderes gibt als unser Leben, es ermöglicht uns neue Einblicke", sagt Peter Wüthrich.
Die Familie müsse sich auf verschiedene Lebenswelten einlassen können, betont Susanna Staub von der OGG. Das Projekt funktioniere nicht, wenn die Familie jemandem den eigenen Lebensstil aufzwingen wolle. Auch müsse sich die Familie bewusst sein, dass mit dem Gast sein ganzes bisheriges System mitkommen könnte.
Man dürfe das betreute Wohnen nicht unterschätzen, betont Peter Wüthrich. "Das ist nicht nur eine Sache von 8 bis 17 Uhr, es sind 24 Stunden am Tag. Das muss also passen und gegenseitiges Vertrauen ist enorm wichtig."
Auch Susanne Wüthrich stellt klar, dass es nicht reiche, einfach ein Zimmer zur Verfügung zu stellen. Man müsse flexibel sein, da sich die Situation von Minute zu Minute ändern könne. Der Betreuungs-Aufwand hänge stark vom Gast ab. "Wenn dies zu aufwändig wird, kann es für die Familie zur Belastung werden", so Susanne Wüthrich. Sie ist der Meinung, dass in einer solchen Situation auch die Familie ihre Verantwortung wahrnehmen muss und offen kommuniziert, wenn es nicht mehr gut funktioniert.
Für ihre Arbeit und den Aufenthalt wird Familie Wüthrich entschädigt, das betreute Wohnen ist eine Art Betriebszweig geworden. Das Geld sei auch ein Faktor, sagt Peter Wüthrich. "Wenn man es nur des Geldes wegen macht, dann funktioniert es nicht", ist er sich sicher. "Man muss es wollen."
Und Familie Wüthrich will es. Wenn Marc auszieht, soll eine neuer Gast auf den Hof ziehen. Bereits klärt Susanna Staub ab, wer passen könnte.