Auch heute erzählt der 94-jährige Adolf Frei Geschichten aus vergangener Zeit. An kalten Tagen oder wenn wegen Corona nirgendwo Spannendes läuft, sind sie besonders gut zu lesen.
Auf dem Stubentisch des 94-jährigen Adolf Frei aus Hemberg SG liegen Tages- und Wochenzeitschriften. Er liest sie gründlich. Und das, obwohl ihm seine Lehrerin einst in sein Zeugnis geschrieben hatte: «Adolf ist sehr fleissig. Aber das Lesen bereitet ihm Mühe.»
Adolf Frei interessiert sich für die Landwirtschaft und für das Weltgeschehen, das war schon immer so. Und vielleicht erinnert er sich genau deshalb noch an viele Begebnisse aus früherer Zeit.
Kehrrichtmänner vom Bürgerheim
Abfall gab es früher massiv weniger als heute, wo fast alle Produkte verpackt sind. Als Adolf Frei jung war, stand stand meist irgendwo ein alter Kessel in einer Ecke und dieser wurde erst zwischen Herbst und Frühling voll. «Die Hemberger Bauern entsorgten diese unnütze Ware entweder in ihrem «Kehrichtloch» oder leerten den Kessel in die grosse Mulde bei der Egg.» Diese hatte vorher als Ablauf des Feuerweihers gedient.
Anders verhielt es sich mit dem Abfall der Dorfbewohner: Bei ihnen fuhr zu gegebener Zeit der «Egg-Hans» mit dem Pferdefuhrwerk vor. Auf dem Wagen war eine «Schweinekiste» festgebunden. Für das Aufladen der Abfallware waren Insassen des Bürgerheims angefordert. Das eingesammelte Material wurde dann aber ebenfalls in die «Eggmulde» geleert. «Die Ratten, und es waren viele, haben sich an der frischen Ware gefreut.» Die Ratten fanden natürlich auch den Weg auf die Bauernhöfe, wo man ihnen jedoch entschieden den Kampf ansagte, erinnert sich Frei.
Die Sonnenwirtin
Schon früher gönnte man sich nach getaner Arbeit einen «Schluck» in der Sonne, dem Restaurant im Dorf. Die Wirtin sei aber oft «söderig» (unfreundlich) gewesen, bis Mitternacht, wo sich das Blatt wendete und die Babette nach einigen Glässchen Wein auf einmal ganz «brüüchig» (sympathisch) wurde. In der Sonnenstube ging es dann laut und lustig zu und her. Dem über der Stube schlafenden «Sunneköbi» ging dies gegen den Strich. Dann ging in der Decke ein kleines Türlein auf und der «Sunneköbi» streckte seine Hand mit einem leeren Glas herunter. «Er verlangte auch ein Schnäpsli, damit er wieder in den Schlaf sinken könne», sagt Adolf Frei und schmunzelt.
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Frau verloren
Der «Bode-Hännesli» bewirtschaftete kein sonderlich schönes Heimetli. Schattig, steil und sauer war der Boden. So war es wahrlich verdient, dass er mit seiner Frau Anfangs August jeweils die Urnäscher Chilbi besuchte. Auf den Töff und ab ins Appenzellische. Der florierende Jahrmarkt, die gemütlichen Beizli und das Treffen mit alten Bekannten animierten zu manchem Gläschen Wein. Die Stimmung war gut und es war schon dunkel, als sich das Paar auf den Heimweg machte. Zum Glück hatte man ja den Töff für die zwölf Kilometer lange Fahrt. «Ja, einige Kurven waren da schon zu meistern.» Aber der «Bode-Hännesli» hatte die Sache im Griff. Zuhause angekommen bemerkte er staunend, dass niemand mehr auf dem Sozius hockte. Sofort machte sich der Chilbibesucher wieder auf den Rückweg. Zehn Kilometer musste er fahren, bis er seine wimmernde Frau am Strassenbord sitzend wiederfand, erinnert sich Frei.
Der Geschichtenerzähler Adolf Frei
Adolf Frei lebte während seiner Jugendzeit auf einem Bauernhof in der Toggenburger Gemeinde Hemberg im Kanton St. Gallen. Nach der Primarschule war er auf verschiedenen Bauernhöfen als Knecht tätig. Nach der Heirat mit der Hembergerin Olga Schafflützel übernahm er einen kleinen Bauernbetrieb unweit des elterlichen Hofes. Sechs Kinder wurden dem Paar geschenkt. Adolf Frei interessierte sich immer schon sehr für die Geschehnisse der Gemeinde. Er amtete zudem in verschiedenen Gremien und übte viele Jahre lang das Amt des Hemberger Feuerwehrkommandanten aus.
Seine Offenheit gegenüber Neuem und Modernem zeigte sich beim Bau seiner neuen Scheune in den Sechzigerjahren. Der 200 Kubikmeter fassende Güllekasten und die Entmistung, die er installieren liess, waren damals aussergewöhnliche Einrichtungen in der Bergregion. Während all der Jahre war das Holzen der hauptsächliche Nebenverdienst der Familie Frei. Nach der Hofübergabe an seinen Sohn half Adolf Frei weiter auf dem Hof und liess sich über die Sommermonate von einer landwirtschaftlichen Genossenschaft als Älpler anstellen. Adolf Frei wohnt noch heute in Hemberg und besucht seine Bekannten gerne mit dem Auto. Er liest viel und lässt sich gerne von Freunden zu einem Jass überreden.
Schmalzdiebstahl verhindert
Im zweiten Weltkrieg waren die Nahrungsmittel knapp. Der Bund lancierte die sogenannte Anbauschlacht. Überall sollten Kartoffeln und andere Nahrungsmittel produziert werden. Und die Milchbauern hatten die Pflicht, einen gewissen Anteil ihrer Schmalzproduktion auf der Gemeinde abzuliefern. So auch Frau Waldburger von der Gehren. Mit vollem Rucksack wanderte sie während dem Markttag durch Ebnat-Kappel. Da kam ein Polizist und fragte die Bäuerin, wohin sie denn mit diesem Schmalz wolle. Frau Waldburger antwortete, sie könne doch diese Ware nicht ohne Aufsicht zu Hause einem Dieb überlassen. So liess den verdutzten Polizisten stehen und verkaufte die Ware gar bald an ihre geheimen Kunden, erzählt Adolf Frei und die Geschichten gehen ihm noch lange nicht aus.
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Schnee pflügen im Frühling
Es war in den Fünfzigerjahren, als in Hemberg Anfang Mai eine unerwartet grosse Menge Schnee fiel. So blieb den Zuständigen nichts anderes übrig, als die Pferde einzuspannen und mit ihrer Hilfe die Strassen vom Schnee zu befreien. Der letzte Abschnitt führte zum Restaurant Alpenrose in der Mistelegg. Hier nahmen die beiden aufgebotenen Männer ihre wahrlich verdiente Stärkung zu sich. Allerdings dauerte diese Pause fast einen halben Tag. Als die beiden Männer mit ihrem Schneepflug frohgemut wieder nach Hemberg fahren wollten, war die Strasse schneefrei – sprich aper, wie Adolf Frei sagt. So mussten sie den Pflug stehen lassen, mit den Pferden nach Hemberg einen Wagen holen und ihn später mit vereinten Kräften aufladen. Erst dann konnten die Schwerarbeiter ihre «Frühlingspfadete» als erledigt melden.
Reiche Bauern, arme Bauern
«Auf manchem Heimetli wechselte der Besitzer in kurzen Abständen», weiss Adolf Frei. Meistens war das knappe Geld der Grund dafür. So war es auch bei Chläus Giger im Unterhemberg. In der Schwägalp hat dieser jedoch sein Vieh gesömmert. Und dort zeigte er den Leuten, was für ein stattlicher Bauer er doch sei. Mit einer brennenden Hunderternote habe er seine Brissago angezündet, erinnerst sich Frei. Frei hat Chläus Giger bei der Alpabfahrt als «Geissbueb» seinen Dienst getan. Die Alpabfahrten bei Giber waren oft geprägt von heftigen Streitereien. «Schon auf halbem Weg wurden Vorwürfe hin und her gerufen. Lange blieb dieser Giger nicht in Hemberg.»
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Knappes Heu
Dass den Bauern im Frühling das Heu knapp wird, das hat es schon immer gegeben. Oft musste das letzte Geld zusammengekratzt werden, um ein Fuder Heu zu kaufen. Und wie schnell war dieses gefressen. Im Jahr 1973 ging es Adolf Frei auch so. Er bewirtschaftete mit seiner Frau einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb unweit des elterlichen Hofes.
Der Frühling war spät und der Heustock leer. «Der Heupreis betrug damals 78 Franken für 100 Kilo», so Frei. Er habe aber glücklicherweise günstigeres Heu erwischt. Freis Sohn fuhr nämlich jeden zweiten Tag mit dem Schiltertransporter LT2 von Hemberg nach Gossau. Dort konnte er bei seinem ehemaligen Lehrmeister das Ladegerät mit losem Heu vollstopfen und wieder nach Hemberg tuckern. «Ob es schlussendlich viel billiger war, kann ich nicht mehr sagen. Aber wir waren froh drum», sagt Frei. «Aber ich muss zugeben, gescheiter hätte ich im Herbst zuvor eine Kuh verkauft». Adolf Frei lächelt und setzt zur nächsten Geschichte aus seinem Leben an.