An und für sich sind Nachhaltigkeitszertifikate eine positive Sache. Bei ihnen besteht aber eine gewisse Gefahr, dass gewisse soziale Aspekte untergehen, wenn etwa zu viel Gewicht auf der Umwelt liegt oder umgekehrt, wie der Schweizerische Nationalfonds (SNF) am Mittwoch mitteilte.
Effizienzeinbussen
Ein Team der Universität St. Gallen unter Leitung der Doktorandin Nina Zachlod beobachtete malaiische Ölplantagen mittels Satellitenbildern. Wie die Forschenden in der Zeitschrift «Communications Earth&Environment» zeigen, kann die Zertifizierung zu ungeplanten Effizienzeinbussen führen.
Produzenten aus über 100 Ländern sind in einem Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl zusammengeschlossen. Diese Nichtregierungsorganisation hat etwa in Malaysia alle grossen Farmen zertifiziert. Malaysia ist nach Indonesien der grösste Palmölproduzent. Deshalb wählte Zachlod dieses Land für ihre Analyse.
Die Forschenden nahmen den Teil der Plantagen, der sichtbar mit Ölpalmen bepflanzt war, als Massstab für die Effizienz. Sie analysierten frei zugängliche Satellitenbilder der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) zur Bestimmung der von Ölpalmen bedeckten Fläche auf 144 Plantagen an der Nordspitze Borneos.
Ölpalmen-Fläche rückgängig
Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich von 2017 bis 2023 und auf den Zustand vor, während und nach der Zertifizierung. Fast 50 Prozent der beobachteten Fläche gehörte einem Grossbetrieb, die andere Hälfte kleineren Pflanzern.
Palmöl steckt unter anderem in Lebensmitteln, Tierfutter, Kosmetika, Reinigungsprodukten und Biodiesel. Der globale Bedarf steigt ständig - etwa, weil immer mehr palmölhaltige verarbeitete Lebensmittel konsumiert werden. In den Jahren 2002/03 betrug der weltweite Konsum etwa 30 Millionen Tonnen, für 2025 wird ein Verbrauch von knapp 80 Millionen Tonnen prognostiziert. Um Platz für neue Ölpalmen zu schaffen, wurden in den letzten Jahrzehnten in Südostasien viele Quadratkilometer Regenwald unwiederbringlich zerstört.
Dabei zeigte sich, dass die Ölpalmen-Bedeckung der Flächen ab 2018 stetig abnahm. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Kriterien für die Zertifizierung veröffentlicht. Demnach ergriffen die Plantagen Massnahmen zur Vorbereitung der Zertifizierung, die zu einem Rückgang der Effizienz führten, wie sich Nina Zachlod in der SNF-Mitteilung äusserte. Die Veränderungen liessen sich nicht durch Ereignisse wie Wassermangel oder Preisschwankungen erklären.
Kriterien anpassen
Das Zertifikat schreibt indessen keine Verminderung der Wirksamkeit vor. Der Effizienzverlust ist gemäss der Studie eine zufällige Folge mit möglicherweise negativen Auswirkungen. Die Plantagenbetreiber könnten deswegen beispielsweise versucht sein, die Anbauflächen zu vergrössern. Eine Vergrösserung könnte den Verlust an Produktion und damit den Gewinn langfristig wettmachen. Das dürften die Produzenten zwar nicht in den geschützten tropischen Regenwäldern tun, aber in Gebieten, die dennoch viel Biodiversität aufweisen.
«Das ist natürlich nicht der Effekt, den ein solches Zertifikat haben sollte. Zumal die Gefahr besteht, dass Neuanpflanzungen nicht zertifiziert werden», liess sich Nina Zachlod zitieren. Kleinere Lieferanten könnten bei einem Produktionsrückgang in eine schwierige finanzielle Lage geraten, warnt sie.
Die beiden wichtigsten Produktionsländer sind Indonesien und Malaysia, von über 80% der globalen Palmöl-Menge stammen.
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Um dem entgegenzuwirken, schlagen die Studienautorinnen und -autoren vor, die Kriterien der Zertifizierung anzupassen. Im Falle der Ölpalmen-Plantagen sei beispielsweise abzuwägen, ob Änderungen bei den Vorgaben zur Düngemittelanwendung oder zum Plantagenmanagement notwendig seien. «Wenn dadurch die Ausbreitung der Plantagen in bisher unberührte Gebiete verhindert werden kann», sagt Doktorandin Nina Zachlod.