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Das Problem mit dem Wild und dem Wald

In der Schweiz stellen hohe Bestände an Wildhuftieren eine zunehmende Herausforderung für die Waldverjüngung dar. Bedroht ist dabei auch die natürliche Schutzfunktion der Bergwälder. Trotz Konflikten braucht es ein Miteinander, sagen Experten.

Ann Schärer, lid |

Junge Triebe und Knospen von Bäumen sind neben Kräutern und Gräsern eine wichtige Nahrungsquelle für Rehe, Gämsen und Rothirsche. Starker Verbiss durch Wildhuftiere kann aber gebietsweise die natürliche Waldverjüngung beeinträchtigen und die Artenvielfalt im Wald reduzieren. Das ist besonders problematisch, da wegen des Klimawandels stabile und widerstandsfähige Mischwälder immer wichtiger werden.

Andrea Kupferschmid von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) beschreibt, wie Wildhuftiere junge Bäume schädigen können: «Manchmal fressen sie sie komplett oder zertreten sie, was oft zum Absterben der Bäumchen führt», sagt sie. Zusätzlich können Rehböcke und Hirsche Schäden durch das sogenannte Fegen verursachen, indem sie ihr Geweih an den jungen Stämmen reiben. Dies führt zu Verletzungen, die Pilzinfektionen begünstigen und das Absterben des oberen Stammbereichs zur Folge haben können.

Gefährdete Schutzfunktion

Aus ökologischer Sicht beeinflusst der Verbiss die Artenzusammensetzung des Waldes. «Bestimmte Baumarten werden bevorzugt verbissen, was langfristig zum Ausfall dieser Arten führt und damit die Biodiversität verringert», sagt Andrea Kupferschmid von der WSL. Besonders betroffen seien Eichen, die vielen Tierarten Lebensraum bieten. «Oft werden Bäume, die auch in Zukunft klimatisch angepasst sind, wie die Weisstanne, durch Wildverbiss in der Verjüngung gehemmt», ergänzt sie. Die Folge ist eine geringere Vielfalt und eine erhöhte Anfälligkeit der Wälder gegenüber Schaderregern und Trockenheit.

Christian Willisch, Wildtierbiologe an der HAFL betont, dass die Auswirkungen des Wildverbisses besonders dann problematisch erscheinen, wenn sie die Interessen der Menschen direkt betreffen. «Wenn die Schutzfunktion eines Waldes gefährdet ist, weil die Verjüngung ausbleibt oder die wirtschaftlich nutzbare Holzproduktion beeinträchtigt wird, führt das zu Konflikten», erklärt er. Die Wildhuftiere sind jedoch Teil des Waldökosystems, wie andere Arten auch. Dass sie mit ihrem Verhalten den Wald und dessen Entwicklung beeinflussen, ist insofern als natürlicher Vorgang zu verstehen. Ab wann dieser Einfluss zu gross ist, wird ausschliesslich aus menschlicher, meist sozioökonomischer Perspektive beurteilt. In Schutzwäldern ist dies der Fall, wenn wildbedingt die Schutzfunktion langfristig nicht mehr gewährleistet ist.

Regionale Unterschiede

Die Problematik ist regional unterschiedlich ausgeprägt. «In Graubünden sind die Verbissprobleme weitaus grösser als in Teilen der Westschweiz – das hängt möglicherweise mit der Einwanderung des Hirsches zusammen, dessen Bestände sich noch weiter vergrössern werden», sagt Jean-Jacques Thormann von der Hafl.

Zudem werden die Wildtiere durch menschliche Störungen vielerorts in die wenigen verbleibenden ruhigen Bereiche der Wälder abgedrängt – nicht selten in steile Schutzwälder. Dort müssen sie ausharren, bis sie im Schutz der Dunkelheit austreten können, um auf Weiden Nahrung aufzunehmen.

So unterstreicht Andrea Kupferschmid von der WSL die Bedeutung eines ganzheitlichen Ansatzes: «Neben der Reduktion der Wildbestände sind auch strukturelle Massnahmen im Wald nötig – die Schaffung von Lichtungen und Waldwiesen bieten alternative Nahrung und reduzieren die Verbissintensität.» Und auch forstliche Massnahmen wie der mechanische Schutz einzelner Bäume vor Verbiss oder Zäune, helfe die jungen Bäume zu schützen, ergänzt Christian Willisch.

Die Rolle der Jagd und Grossraubtiere

Die Regulierung der Wildbestände durch Jagd wird von Fachleuten unterschiedlich bewertet. Während Andrea Kupferschmid betont, dass eine Reduktion der Wildpopulation die Belastung der Bäume senken würde, warnt Christian Willisch vor pauschalen Aussagen: «Es spielen viele Faktoren eine Rolle – die Waldstruktur, alternative Nahrungsangebote, die räumliche Verteilung der Tiere und damit auch menschliche Störungen», erklärt er. Eine regionale und zielorientierte Bejagung sei dabei ein wichtiger Teil.

Die Rolle von Grossraubtieren wie Luchs und Wolf wird ebenfalls untersucht. Erste Studien zeigen, dass in Gebieten, in denen diese Raubtiere vorkommen, die Verbissintensität punktuell sinken kann. Andrea Kupferschmid betont jedoch, dass der menschliche Einfluss auf die Wildtierpopulation deutlich grösser sei als der durch Grossraubtiere.

Ein ganzheitlicher Ansatz für den Schutz des Waldes

Die Zusammenarbeit zwischen Forstwirtschaft, Jagd, Naturschutz, Landwirtschaft und Politik ist für eine nachhaltige Waldentwicklung entscheidend – darin sind sich die Fachleute einig. «Die Abstimmung der unterschiedlichen Interessen ist ein zentraler Schritt», fasst Jean-Jacques Thormann von der Hafl zusammen und ergänzt: «Es sollte nicht um ein Gegeneinander von Wald und Wild gehen, sondern um ein Miteinander.» Andrea Kupferschmid von der WSL betont, dass das übergeordnete Ziel ein artenreicher, gesunder Mischwald sei, der nicht nur für Wildtiere einen Lebensraum bietet, sondern auch den vielfältigen Ansprüchen der Gesellschaft gerecht wird.

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