Der Orkan «Lothar» fegte am Morgen des 26. Dezembers 1999 über die Schweiz. 14 Menschen starben. Zudem warf der Sturm 14 Millionen Kubikmeter Holz zu Boden. Das ist fast das Dreifache der Menge Holz, die in der Schweiz jährlich geschlagen wird oder rund 3500 Lastwagenladungen.
Es war damit der mit Abstand heftigste Wintersturm in Europa und in der Schweiz, was die Waldschäden betrifft, wie die Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) am Mittwoch mitteilte.
Schäden beispiellos
«Lothar führte uns vor Augen, welche Schäden Extremereignisse haben können», liess sich Thomas Wohlgemuth von der WSL in der Mitteilung zitieren. Im Mittelland sei das Ausmass beispiellos gewesen, man würde «heute sagen unfassbar». Bei den Aufräumarbeiten kamen laut der Forschungsanstalt weitere 17 Waldbesitzer ums Leben, dazu zwei Personen in öffentlichen Forstbetrieben.
Der gesamte Schaden wurde in den Jahren danach vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) auf 1,35 Milliarden Franken beziffert, 600 Millionen Franken für Bauten und 750 Millionen Franken für den Wald. Insgesamt wurden zwei Prozent der Bäume in der Schweiz umgeworfen oder umgeknickt.
Holzpreise brachen ein
Am stärksten betroffen vom Orkan, der mit Windspitzen von bis zu 272 Kilometern pro Stunde (km/h) von Nordfrankreich über Süddeutschland und die Schweiz nach Österreich zog, waren damals die Kantone Bern, Freiburg, Luzern und Nidwalden.
Stark betroffen war in der Folge die Wald- und Holzbranche. Die Preise für Rundholz sanken aufgrund des Überangebots im Frühling 2000 um etwa ein Drittel. Bei den gefährlichen Aufräumarbeiten kamen 17 Waldbesitzer ums Leben, dazu zwei Personen in öffentlichen Forstbetrieben.
Der Grossteil der Schäden entstand gemäss WSL im Mittelland. Der Sturm wütete vor allem in Wäldern, die primär der Holzproduktion dienen, aber auch in stadtnahen Erholungswäldern. Der Schutzwald erlitt in der Zentralschweiz grosse Schäden, wo bis zu 25 % der Schutzwälder zerstört waren.
Die Borkenkäfer vermehrten sich massiv.
WSL
Die Borkenkäfer folgten
Nach dem Sturm, und dann insbesondere nach dem Hitzejahr 2003, fügten Massenvermehrungen von Borkenkäfern noch einmal fast zwei Drittel so viel geschädigtes Holz hinzu wie der Sturm selbst. Wenn kräftige Stürme auf grossen Flächen Wälder umwerfen, folgt in fichtenreichen Beständen für einige Jahre fast immer eine starke Vermehrung von Borkenkäfern, wie die WSL erklärte.
Das betreffe zuerst den Randbereich der Sturmflächen, danach auch den angrenzenden, geschwächten Bestand. Besonders in Tieflagen gelte es daher, beschädigte Fichten, also jene Bäume, die von den Borkenkäfern bevorzugt werden, so rasch wie möglich zu räumen. Im Mittelland ist die Fichte eigentlich nicht heimisch. Die Forstwirtschaft hat aber grossflächig Fichten angepflanzt, weil sich diese für die Holzproduktion gut eignen.
Wie haben sich die Sturmflächen entwickelt?
25 Jahre nach dem Sturm sind auf vielen grossen Windwurfflächen Bäume nachgewachsen, die heute im Mittel 10 bis 20 Meter hoch sind. «Es gibt aber im Mittelland – je nach Bodeneigenschaften und Ausgangsvegetation – auch Flächen, wo Brombeeren oder Adlerfarn die jungen Bäume lange ausbremsten, oder wo nicht die gewünschten Baumarten, sondern z.B. Haseln gedeihen», hält WSL fest. In tieferen Lagen, wo vor allem gepflanzte Fichten umgeworfen wurden, sind von Natur aus zumeist klimarobustere, artenreiche Laubmischwälder entstanden.
Es gab auch Überraschungen. Häufig fehlte eine Pionierphase mit schnell wachsenden Baumarten wie Birke und Weiden. «Das heisst, auf vielen Flächen wuchsen einfach die Nachkommen der Baumarten des umgeworfenen Waldes», heisst es in der Mitteilung. Zudem blieb deutlich mehr Totholz liegen, als in Schweizer Wäldern üblich ist. Das habe sich positiv auf die Biodiversität ausgewirkt.
Was wird heute angepflanzt
Da Laubbäume im Winter keine Blätter haben und so dem Wind weniger Angriffsfläche bieten, sind sie generell weniger anfällig für Winterstürme als Nadelbäume. «ein Zusammenhang, der sich mit zunehmender Baumhöhe akzentuiert», so das WSL. Laubbäume tolerieren zudem Wärme und Trockenheit tendenziell besser. Die Schweizer Forstleute pflanzen heute im Vergleich zu vor 1990 generell viel weniger Bäume.
Sie fördern vielmehr natürlich nachwachsende, erwünschte Arten, indem sie ihnen Licht schaffen und sie vor dem Wild schützen. Heute stehen wieder vermehrt gepflanzte, vor Verbiss geschützte Bäume in Waldöffnungen, um gewünschte Baumarten vor rasch aufkommenden Brombeeren und Wild in die Zukunft zu retten.
Robustere Wälder
«Durch Lothar sind viele Wälder strukturreicher geworden, was neue Lebensräume für viele Tier- und Pflanzenarten schuf», schreibt das WSL. Eine Studie der Schweizerischen Vogelwarte wies zudem nach, dass Spechte von Lothar profitieren konnten, da sie sich von Insekten unter der Baumrinde oder in morschem Holz ernähren.
Die Wälder sind heute robuster.
WSL
Im Mittelland haben die Fichtenwälder deutlich abgenommen. «Die Fichte ist nicht nur anfällig für Winterstürme und Borkenkäfer, sondern sie leidet auch unter Hitze und Trockenheit», hält das WSL fest. Auf den Sturmflächen wuchsen viele Laubbaumarten nach, die als klimarobust gelten, wie Eiche, Kirschbaum, Berg- und Spitzahorn.
Welche Lehren wurden gezogen
Nach so heftigen Stürmen folgt in fichtenreichen Beständen für einige Jahre fast immer eine starke Vermehrung von Borkenkäfern. Zuerst im Randbereich der Sturmflächen, danach auch den angrenzenden, geschwächten Bestand. «Müssen wichtige Waldfunktionen geschützt werden, gilt es besonders in Tieflagen, beschädigte Fichten so rasch wie möglich zu räumen», schreibt das WSL.
Bei grossen Stürmen mit viel Fallholz reichen die Kapazitäten der Waldunternehmen nicht aus. «Deshalb konzentrieren sich die Bemühungen darauf, zu verhindern, dass die Käfer lebende Bäume befallen», heisst es weiter. In Schutzwaldflächen könne es nach Stürmen sinnvoll sein, die am Boden liegenden Bäume zu entrinden und anschliessend liegen zu lassen. So würden sie mittelfristig Schutz vor Steinschlag und Lawinen bieten.
Wälder besser gewappnet
Insgesamt sind Schweizer Wälder heute besser vor schweren Stürmen gewappnet. «Dies deshalb, weil im Mittelland heute deutlich weniger Fichten und mehr Laubbäume stehen als zu Lothar-Zeiten, schreibt das WSL. Die Borkenkäfer fänden generell etwas weniger Bäume vor. «Doch das wärmere Wetter und stärkerer Trockenheit dürften zu noch stärkeren Massenvermehrungen führen», heisst es weiter.
Es sei aber davon auszugehen, dass es früher oder später wieder zu grossen Stürmen komme, so die Forschungsanstalt. Stärkere Stürme als Lothar seien in Europa zwar schwer vorstellbar, aber mit dem Klimawandel nicht ausgeschlossen.