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«Pflanzenbasiert, aber nicht fleischlos»

 

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), Bernhard Watzl, äussert sich im Interview über 10 g Fleisch am Tag, den Zusammenhang zwischen Ernährung und Klimaschutz sowie den Unterschied zwischen pflanzenbetont und vegan oder vegetarisch

 

«Wir werden weiter eine omnivore Ernährung empfehlen, also eine Ernährung, die weder Fleisch, Fisch und Meeresprodukte noch Obst oder Gemüse ausschliesst, aber aus unserer Sicht pflanzenbetont sein sollte», sagt DGE-Präsident Bernhard Watzl im Interview mit Agra-Europe.

 

Für den früheren Leiter des Instituts für Physiologie und Biochemie der Ernährung am Max Rubner-Institut (MRI) ist eine ausschliesslich pflanzliche Ernährung «aus ernährungswissenschaftlicher Sicht keine sinnvolle Empfehlung». Berichte, die DGE wolle eine Einschränkung des Fleischverzehrs auf 10 g pro Tag empfehlen, bezeichnet Watzl als Falschmeldungen und Missverständnis. Mehr dazu im Interview.

 

Bernhard Watzl, eine Scheibe Wurst am Tag - wollen Sie die Deutschen zu einem Volk von Vegetariern und Veganern erziehen?
Weder noch.

 

Warum empfehlen Sie dann eine drastische Reduzierung des Fleischkonsums auf 10 g am Tag?
Da liegt ein grosses Missverständnis vor. Wir haben noch überhaupt keine neuen lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen ausgesprochen.

 

Woher kommen dann die 10 g?
Wir sind gegenwärtig dabei, ein neues Optimierungsmodell zu entwickeln. Auf dessen Grundlage wollen wir in Zukunft ernährungsbezogene Empfehlungen aussprechen. Bislang haben wir lediglich eine erste Version für ein solches ein Modell. Das haben wir der Fachwelt vorgestellt und um Einschätzungen gebeten. Mehr ist da noch nicht. Neue Empfehlungen für Lebensmittel werden wir frühestens Anfang nächsten Jahres herausgeben.

 

Die Erfahrung zeigt, wo Rauch ist, ist manchmal doch Feuer. Wie kommen die 10 g in die Welt?
Das liegt an einzelnen Medien, die nicht verstanden haben, was es mit diesem Modell auf sich hat.

 

Erklären Sie es uns.
In dieses Modell gehen vier Zielgrössen ein. Das ist zunächst die Nährstoffversorgung, die für uns als ernährungswissenschaftliche Institution an oberster Stelle steht. Zum Zweiten geht die Gesundheitsdimension in das Modell ein, also mögliche Zusammenhänge zwischen Ernährungsweisen und Krankheitsrisiken, beispielswiese das Herz-Kreislauf-Erkrankungsrisiko. Wir berücksichtigen zum Dritten die üblichen Ernährungsgewohnheiten, wie sie sich in der Realität darstellen. Das ist deshalb wichtig, weil es keinen Sinn macht, in den Empfehlungen zu stark davon abzuweichen. Schliesslich fliessen Umweltwirkungen in das Modell ein.

 

Warum Umweltwirkungen?
Wir befolgen damit einen Rat, den die Weltgesundheitsorganisation schon 2019 für die Entwicklung von lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen erteilt hat.

 

Die DGE steht für Ernährungskompetenz. Sie sind keine Umweltwissenschaftler. Überschätzen Sie damit nicht ein wenig Ihre Kompetenzen?
International besteht Einigkeit darin, dass wir für eine nachhaltigere Lebensweise, die gewährleistet, dass die planetaren Grenzen eingehalten werden, die jeweiligen Umweltwirkungen einbeziehen müssen. Das betrifft die Art, wie wir wohnen genauso wie die Mobilität und eben auch unsere Ernährung. Unser Agrar- und Ernährungssystem von der Erzeugung bis zum Teller oder sogar bis in die Abfalltonne ist nun einmal signifikant mitverantwortlich für die Treibhausgasemissionen. Es steht also ausser Frage, dass sich auch die Ernährungswissenschaft Gedanken machen muss, wie wir da weiterkommen. Damit ist die DGE nicht allein. Das machen im Grunde alle ernährungswissenschaftliche Fachgesellschaften in anderen Ländern.

 

Sie bewegen sich dabei aber auf einem für Sie fachlich fremden Terrain und müssen daraus Schlüsse ziehen, die die Ernährungsempfehlungen möglicherweise spürbar beeinflussen werden. Sehen Sie darin kein Problem?
Zum einen sind die Ernährungswissenschaften per se sehr breit aufgestellt. Da geht es nicht nur um Biologie, Biochemie oder Physiologie. Die Themen reichen bis zu Ernährungsverhalten, Ernährungsökonomie und Ernährungssoziologie. Zum anderen haben wir inzwischen auch in den wichtigen Umweltfragen Expertise erarbeitet und stehen zudem in Kontakt zu wissenschaftlichen Institutionen wie dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, dem Thünen-Institut oder auch dem Umweltbundesamt. Für uns ist das überhaupt nicht neu, dass wir multi- und interdisziplinär solche komplexen Themen angehen. Keine Fachdisziplin kann so etwas allein.

 

Sind haben die vier Zielgrössen genannt. Sind diese gleich wichtig?
Nein. Man kann die einzelnen Grössen mehr oder weniger stark gewichten. Diese Entscheidungen müssen wir als Deutsche Gesellschaft für Ernährung in unserer Arbeitsgruppe treffen, die an der Entwicklung des Modells arbeitet. Wie die Gewichtung am Ende tatsächlich ausfällt, ist zum gegenwärtigen Stand völlig offen. Derzeit führen wir Modellrechnungen anhand unterschiedlicher Gewichtungen durch und verwenden dabei konkrete Zahlen. Man kann uns vorwerfen, es war taktisch nicht klug, mit diesen konkreten Zahlen in die für die Fachwelt gedachten Konsultationen zu gehen, die dann wiederum in die Öffentlichkeit gelangt sind und dort zu diesen Missverständnissen geführt haben.

 

Wie wird gewichtet?
Für die Beantwortung der Frage, wie man die Nährstoffversorgung, die Bedeutung für die Reduktion der Krankheitslast und die Bedeutung für die Reduktion der Umweltauswirkungen bei gleichzeitiger Berücksichtigung der üblichen Ernährungsgewohnheiten zusammenbekommt, ist ein mathematisches Optimierungsmodell ein sehr sinnvoller Ansatz, weil man diese verschiedenen Zieldimensionen zusammenführen kann.

 

Wie wird sich Ihre künftige Verzehrsempfehlung für Fleisch von der bisherigen unterscheiden?
Das wird man sehen. Wir haben schon seit Jahren die Empfehlung zwischen Null und 600 g Fleisch pro Woche. Wir sagen, es ist in Ordnung, kein Fleisch zu essen. Es ist aber auch kein Problem, 300 g Fleisch in der Woche zu essen oder unter bestimmten Voraussetzungen 600 g. Das hängt davon ab, ob es sich um Männer, Frauen, alte oder junge Menschen handelt und wie hoch der Energiebedarf ist. Wenn jemand nur 1 800 Kilokalorien am Tag an Energie verbraucht, ist der Spielraum für Fleisch selbstverständlich geringer als bei einem Verbrauch von 3 000 bis 4 000 Kilokalorien, weil er körperlich aktiv ist.

 

Wird es weiterhin konkrete Mengenempfehlungen geben?
Das ist noch offen. Ich bin überzeugt, unser Modell wird auf längere Sicht die Basis sein, auf der wissenschaftlich begründet Ernährungsempfehlungen formuliert werden können. Das Modell liefert den Zahlenrahmen und dann muss man sehen, wie man dies für die praktische Umsetzung kommunizieren kann. Kommunizieren heisst nicht, mit 10 g Milch, 20 g Fleisch, 10 g Ei und 50 g Vollkorn und so ähnlich zu kommen. Stattdessen werden wir künftig noch besser untermauern können, was wir schon seit längerem sagen, nämlich dass die Ernährung überwiegend pflanzenbasiert sein sollte. Mit dem neuen Modell kommen wir einen grossen Schritt weiter im Hinblick auf Transparenz und Evidenzbasiertheit.

 

Aber am Ende wird dann wieder wie bislang eine Obergrenze für Fleisch stehen?
Das ist noch nicht entschieden.

 

Die DGE ist eine unabhängige Institution. Inwiefern spielen dennoch politische Erwartungen oder Hinweise für Ihre Arbeit eine Rolle?
Die DGE überarbeitet immer wieder ihre Ernährungsempfehlungen. Der Entschluss für ein neues Optimierungsmodell fiel 2018. Damals war Julia Klöckner (CDU) Agrarministerin. Unsere jetzige Arbeit hat also nichts mit der momentanen politischen Konstellation zu tun.

 

Wie werden Sie in den kommenden Wochen und Monaten weiter verfahren?
Wir werden hoffentlich in diesem Jahr das Modell für uns fertigstellen. Es wird nutzbar sein, um Berechnungen durchzuführen, die als Grundlage für Verzehrsempfehlungen dienen können. Wir sind jetzt gerade dabei, den Prozess zu organisieren, der dann für die Formulierung der lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen entscheidend sein wird. Wie wir konkret vorgehen, klären wir gerade.

 

Wie sollte sich Ihrer Einschätzung nach der Verzehr tierischer Lebensmittel entwickeln?
Die Ernährung sollte pflanzenbasiert sein, also pflanzenreich, nicht vegan oder vegetarisch, aber mit einer geringeren Zufuhr an tierischen Lebensmitteln, als es derzeit der Fall ist. Das sagen wir seit vielen Jahren, und daran wird sich nichts ändern. Pflanzenreiche Ernährung ist gut für den Menschen und bietet Vorteile für die Umwelt und unseren Planeten. Das zeigen auch andere Ansätze, etwa die Planetary Health Diet.

 

Bedeutet «pflanzenreich» letzten Endes irgendwann ausschließlich pflanzlich?
Nein, das ist aus vielerlei Gründen keine ernährungswissenschaftlich sinnvolle Empfehlung. Wir brauchen nicht absolut die tierischen Lebensmittel, aber in der Masse ist es ganz klar, dass ein Verzehr tierischer Lebensmitteln viele Vorteile bietet. Denken Sie nur an Esskultur, die Geschmacksvielfalt etwa der verschiedenen Käsearten sowie an den Genusswert. Die Limitierungen einer veganen Ernährung sind offensichtlich. Das können einige tun, für die es aus verschiedenen Gründen wichtig ist. Wir wissen viel über vegane Ernährung und können sagen, welche Supplemente ergänzt werden sollten. Im Gegensatz dazu werden wir weiter eine omnivore Ernährung empfehlen, also eine Ernährung, die weder Fleisch, Fisch und Meeresprodukte noch Obst oder Gemüse ausschliesst, aber aus unserer Sicht pflanzenbetont oder pflanzenreich sein sollte.

 

Essen Sie Fleisch?
Ja, gern. Aber wenig. Meistens am Wochenende. Dabei lege ich Wert auf eine gute Fleischqualität.

 

Was nehmen Sie aus der hochgekochten Diskussion der vergangenen Wochen mit?
Ernährung ist ein hochemotionales Thema. Tierische Lebensmittel sind ein hochemotionales Thema. Wenn man mit Veganern redet, ist es hochemotional. Es ist extrem schwierig, eine vernünftige Gesprächsgrundlage zu finden, weil viele Menschen leider schon in Lagern unterwegs sind. Eine Falschmeldung wie, die DGE empfiehlt nur noch 10 g Fleisch pro Tag oder ein Ei im Monat, heizt derartige Diskussionen zusätzlich an. Uns ist nach wie vor eine transparente Vorgehensweise wichtig.

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