Trotz Bombardierungen ukrainischer Infrastrukturen für den Getreideexport und trotz der Ablehnung Russlands, den aufgekündigten Getreidedeal für sichere Exportrouten über das Schwarze Meer wieder aufzunehmen, gaben die internationalen Weizen- und Maisnotierungen über den Sommer weiter nach. Sie liegen nun deutlich unter dem Niveau vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022.
Mehr ukrainische Exporte auch ohne Deal
Die internationalen Terminmärkte gehen offensichtlich vor allem davon aus, dass die Versorgung der Weltmärkte mit Getreide vom Schwarzen Meer auch ungeachtet der dort kriegerischen Ereignisse funktioniert.
Tatsächlich hat die Ukraine in den ersten acht Wochen des am 1. Juli begonnenen neuen Wirtschaftsjahres ungeachtet der Beendigung des Getreidedeals und der russischen Angriffe auf ihre Exporteinrichtungen mit 4 Mio. t mehr Getreide exportiert als in der Vergleichsperiode ein Jahr zuvor.
Türkei ersucht um Exklusivrecht
Kürzlich versuchte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einem Besuch beim russischen Präsidenten Wladimir Putin in Sotchi eine Neuauflage des Getreidedeals zu vermitteln. Putin lehnte dies ab und wiederholte neuerlich die Kritik Russlands, dass seine Agrar- und Düngerexporte durch westliche Sanktionen behindert würden und eine Aufhebung Bedingung für ein Einlenken beim Getreidedeal wären.Dies, obschon Russland 2022/23 ein Rekord-Weizenexport verbuchen kann.
Rund um diese Gespräche war davon die Rede, dass die Türkei allenfalls als "Vermittler" Weizenlieferungen Russlands übernehmen und von ihrem Gebiet aus dann an bedürftige Länder des Südens weiterleiten könnte. Beobachter sehen darin einen möglicherweise schlauen Schachzug Erdogans, mit Putin einen für die Türkei lukrativen Deal einzufädeln, künftig russisches Getreide exklusiv am Weltmarkt zu verteilen.
Erdogan und Putin pflegten bislang ungeachtet der NATO-Mitgliedschaft der Türkei und der westlichen Sanktionen gegen Russland wegen seines Überfalls auf die Ukraine ein relativ freundschaftliches Verhältnis. So vermittele Erdogan für die UNO den im Sommer 2022 abgeschlossenen und im heurigen Sommer von Russland aufgekündigten Getreidedeal zu sicheren Exportrouten für ukrainisches Getreide über das Schwarze Meer.
Verlängerung der Importverbote umstritten
In der EU und Österreich verfolgt man kritisch, wie die Union und ihr polnischer Agrarkommissar Janusz Wojciechowski mit der Forderung der fünf an die Ukraine angrenzenden Frontline-Staaten umgehen werden. Es geht dabei um die, eigentlich den Binnenmarktregeln widersprechenden Importbeschränkungen dieser EU-Mitglieder bis zum Jahresende zu verlängern. Wojciechowski unterstützte kürzlich diese Forderung entgegen der von der EU-Kommission vertretenen Linie.
In Österreich befürchtet insbesondere die Landwirtschaft, bei einer derartigen Verlängerung der Einfuhrverbote für einzelne Mitgliedstaaten dann quasi selber zum Frontline-Staat zu werden, indem hier ukrainisches Getreide im ersten Land ohne Importrestriktion abgeladen werde.
Neue europäische Warenströme
Die Suche der Ukraine nach alternativen Exportrouten für den blockierten Schwarzmeerkorridor ziehen eine Änderung gewohnter Warenströme und Handelswege nach sich. So sollen etwa regelmässig Züge zwischen dem an die Ukraine grenzenden EU-Raum und Italien mit vorwiegend Mais aus der Ukraine unterwegs sein.
Mit Kroatien habe die Ukraine vereinbart, von Adriahäfen aus, Getreide nach Übersee zu verschiffen. Die damit verbundene stärkere Nachfrage nach Logistik wird wegen hoher Kosten und verknappten Kapazitäten als besondere Herausforderung empfunden.
Der vom internationalen Getreiderat IGC erhobene Preisindex für Weizen fiel im August gegenüber Juli um 6,3% und zum Vorjahr um 20,2%, jener von Mais um 5,2% im Monats- und um 25,4% im Jahresabstand, der von Gerste um 2,0% beziehungsweise 28,3% sowie der von Sojabohnen um 5,3% gegenüber Juli respektive 12,4% zum Vorjahr.