Erstmals seit 2005 hat der Bund das vergangene Jahr mit einem höheren Defizit abgeschlossen, als konjunkturell zulässig wäre. Der Fehlbetrag beläuft sich auf 1,6 Milliarden Franken. Weil die Aussichten düster bleiben, muss gehandelt werden – laut dem Bundesrat überall.
«Ich kann Ihnen als neue Finanzministerin keinen Überschuss präsentieren, ganz im Gegenteil», sagte Karin Keller-Sutter am Mittwoch vor den Medien. Dem Bundesrat sei es aber gelungen, Massnahmen zu definieren, um den Weg zurück zu einem ausgeglichenen Budget zu finden.
Derzeit befinden sich die Bundesfinanzen in Schieflage. Neben den höher als budgetierten ausserordentlichen Ausgaben aufgrund der Corona-Pandemie (3,3 Milliarden Franken) und des Ukraine-Kriegs (0,7 Milliarden Franken) war das Minus 2022 auch im ordentlichen Haushalt viel höher als veranschlagt. Ein Grund waren deutlich tiefere Einnahmen aus der Verrechnungssteuer.
Alle Departemente in der Verantwortung
Das Finanzierungsdefizit betrug 2022 4,3 Milliarden Franken. Das belastet das sogenannte Ausgleichskonto. Da dieses aber einen positiven Stand von über 20 Milliarden Franken aufweist, kommt die Sanktionsregel der Schuldenbremse nicht zum Tragen, wonach ein Fehlbetrag in den Folgejahren mit Ausgabekürzungen kompensiert werden muss.
Trotzdem muss der Bundesrat das Ausgabenwachstum im kommenden Jahr drosseln. Die Ende Januar aktualisierten Haushaltszahlen zeigen für 2024 ein strukturelles Defizit von 2 Milliarden Franken, sagte Keller-Sutter. Die Einhaltung der Schuldenbremse sei zentral. «Unsere stabile Finanzpolitik hat uns erlaubt, verschiedene Krisen zu überstehen.»
Strukturelles Defizit
Ein strukturelles Defizit bedeutet, dass auch bei normaler Konjunktur die Einnahmen nicht ausreichen, um die Ausgaben zu finanzieren. Die Schuldenbremse verlangt, dass mittelfristig über einen Konjunkturzyklus hinweg die Ausgaben nicht höher sind als die Einnahmen. Ohne die Berücksichtigung der Konjunktur wäre die Ausgabenentwicklung grösseren Schwankungen ausgesetzt.
Im Jahr 2022 liess die Schuldenbremse aufgrund der leicht unterlausgelasteten Wirtschaft ein konjunkturelles Defizit von 0,3 Milliarden Franken zu. Dieses reicht nicht aus, um im ordentlichen Haushalt das Finanzierungsdefizit von 1,9 Milliarden Franken aufzufangen. Daher resultiert ein strukturelles Defizit von 1,6 Milliarden Franken.
Wie bereits Ende Januar bekannt wurde, sollen unter anderem der «Horizon Europe»-Pflichtbeitrag aus dem Budget gestrichen (0,6 Milliarden Franken), die Armeeausgaben weniger stark erhöht (0,6 Milliarden Franken) und Elektrofahrzeuge normal besteuert werden (0,2 Milliarden Franken). Das verbleibende Finanzierungsdefizit von knapp einer halben Milliarde Franken soll mit linearen Kürzungen von 2 Prozent bei den schwach gebundenen Ausgaben, die auch die Personalausgaben enthalten, beseitigt werden.
Landwirtschaft: Etat wird 2 Prozent gekürzt
«Diese Massnahmen sind sicherlich schmerzhaft, aber notwendig», sagte Keller-Sutter. Insgesamt würden die ordentlichen Ausgaben des Bundes 2024 trotz dieser Bereinigungsmassnahmen um rund 3 Prozent wachsen. Auch für die Folgejahre drohen dem Bund Milliardendefizite von je rund 3 Milliarden Franken. Deshalb sollen die schwach gebundenen Ausgaben (unter anderem Bildung, Forschung, Sicherheit, Auslandbeziehungen und Landwirtschaft) auch ab 2025 um 2 Prozent gekürzt werden. Das entspricht rund 500 Millionen Franken. Die Armee ist davon ausgenommen. Der Bundesrat hat allen Departementen und der Bundeskanzlei lineare Kürzungsvorgaben gemacht. Die Departemente definieren die konkreten Massnahmen selbständig
Bund
Im stark gebundenen Bereich (soziale Wohlfahrt, Finanzen und Steuern, Verkehr) hat sich der Bundesrat zum Ziel gesetzt, die Finanzpläne ab 2025 um 600 Millionen bis eine Milliarde Franken pro Jahr zu entlasten. Dazu will er in den nächsten Wochen verschiedene Massnahmen weiter vertiefen.
Fingerzeig ans Parlament
So soll ein Teil des Vermögens der Arbeitslosenversicherung zugunsten des Bundes genutzt werden. Diese Massnahme sei ohne Leistungsabbau möglich, so der Bundesrat. Auch die Einlage des Bundes in den Bahninfrastrukturfonds könnte gekürzt werden, ohne den Ausbau oder Betrieb der Bahninfrastruktur zu gefährden, da die Reserve des Fonds sehr hoch ist.
Die grösste Bundesausgabe bildet die AHV. Darum sollen laut dem Bundesrat auch in diesem Bereich Massnahmen geprüft werden. Im Vordergrund stehen hier Anpassungen bei der heutigen Ungleichbehandlung von Witwen und Witwern, die nach einem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshof ohnehin beseitigt werden muss.
«Wir haben ein Ausgabenproblem», wiederholte Keller-Sutter mehrmals. Es bestehe kein Spielraum für neue Ausgaben. Die Finanzministerin sprach verschiedene im Parlament hängige Reformprojekte an. Darunter ist der regionale Personenverkehr, der Ausbau der Prämienverbilligungen und der Bundesbeitrag an Kinderbetreuungskosten. «Das Parlament kennt nun die Ausgangslage und kann priorisieren», so Keller-Sutter.
Gebundene Ausgaben
Ein erheblicher Teil der gebundenen Ausgaben kann kurzfristig nicht angepasst werden: Ursache sind einerseits Gesetzes- und Verfassungsbestimmungen. Darin wird beispielsweise verbindlich geregelt, wie hoch die Beiträge an Sozialversicherungen oder die Kantonsanteile an Bundeseinnahmen sind. Eine zweite Ursache sind exogene Variablen wie zum Beispiel das Zinsniveau, die demografische Entwicklung oder die Anzahl Asylgesuche. Auch diese Faktoren lassen sich kurzfristig kaum beeinflussen.
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