Rückstämde von PFAS finden sich auch in den Rindern.
Pirmin Adler
Der Nationalrat nahm am Dienstag eine Motion der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats (Urek-S) bezüglich der Grenzwerte an. Den entsprechenden Punkt des Vorstosses hiess er mit 129 zu 61 Stimmen bei vier Enthaltungen gut. Im Auge hat die Motion namentlich die Auswirkungen von Grenzwerten auf Landwirtschaft und Wasserversorger.
Bauern zu Austrag animiert
Die kleine Kammer hatte dem Vorstoss bereits im Juni zugestimmt. Weil der Nationalrat in einigen Punkten Änderungen vornahm, muss sie sich nun nochmals mit der Sache befassen. «Klärschlamm auszubringen war bis 2006 schweizweit möglich. Landwirte wurden geradezu animiert, Klärschlamm auf ihren Wiesen und Feldern auszubringen», sagte Kommissionssprecher Nicolo Paganini (SG). Heute wisse man, dass das keine gute Idee war.
Aus Sicht der Kommissionsmehrheit zielt die vorliegende Motion auf eine ganzheitliche Bearbeitung der Problematik ab. «Komplette Sanierungen der betroffenen Böden sind nicht finanzierbar. Zudem sollten die Landwirtschaftsbetriebe nun nicht einfach alleine die Problematik ausbaden müssen», führte Paganini aus.
Bei den Änderungen geht es zum einen um das Verhältnis zum EU-Recht betreffend per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS). Der Ständerat möchte, dass die Schweiz eigene Regeln erlässt, statt die EU-Trinkwasserrichtlinie zu übernehmen. In der Version des Nationalrats müsste der Bundesrat eine eigenständige Regelung lediglich prüfen. Zudem möchte die grosse Kammer im Sinne der Vorsorge den Bundesrat beauftragen, die Verwendung von PFAS einzuschränken, wo dies möglich ist.
Belastete Flächen
Hintergrund der Motion der Urek-S ist, dass 2024 im Kanton St. Gallen zahlreiche mit PFAS belastete Flächen entdeckt wurden. Als erste Massnahme wurde in einigen Landwirtschaftsbetrieben der Verkauf von Fleisch gestoppt. Als Grund für die Belastung der Böden wird das Austragen von mit den Chemikalien belastetem Klärschlamm aus Abwasserreinigungsanlagen vermutet.
Paganini vertrat die Ansicht, bei den Grenzwerten gebe es «keine absoluten Wahrheiten». So seien diese beispielsweise für Wildfleisch höher als für Rindfleisch. Gegen eine Aufweichung der Grenzwerte stellte sich die Ratslinke. Sie befürchtete, dass der Schutz von Gesundheit und Umwelt beeinträchtigt werde könnte. Auch vertrat sie die Ansicht, es habe sich bewährt, das Schweizer Chemikalienrecht auf jenes der EU abzustimmen.
Was sind PFAS?
Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) sind eine Gruppe von schwer abbaubaren Chemikalien, die in verschiedenen industriellen Prozessen und Produkten, wie Textilien, elektronischen Geräten, Papierbeschichtungen, Farben, Feuerlöschschäumen und Skiwachsen eingesetzt werden. Die Stoffgruppe umfasst mehr als 5’000 verschiedene Verbindungen. Drei bekannte Einzelstoffe, die Perfluoroctansulfonsäure (PFOS), die Perfluoroctansäure (PFOA) und die Perfluorhexansulfonsäure (PFHxS) sind in der Schweiz und der EU mittlerweile weitgehend verboten.
Aufgrund ihrer Stabilität können sie aber in der Umwelt weiterhin nachgewiesen werden. PFAS können z.B. aus belasteten Standorten ins Grundwasser eingetragen werden. Ein weiterer Eintragsweg ist die Infiltration von Oberflächenwasser ins Grundwasser. Ins Oberflächenwasser wiederum gelangen die PFAS über gereinigtes Abwasser oder von belasteten Standorten. Aus belastetem Boden oder belastetem Tränkewasser für Tiere können PFAS auch in die Nahrungskette übergehen. Nach heutigem Kenntnisstand sind insbesondere Fleisch, Milch, Eier und Fische betroffen . Quelle: Interkantonales Labor
Der Nationalrat fällte seinen Entscheid in einer Sonderdebatte zum Thema PFAS. In deren Rahmen hatte er über nicht weniger als acht Motionen aus allen Fraktionen zu befinden.
Hilfe für betroffene Betriebe
Dabei sprach sich die grosse Kammer auch dafür aus, dass der Bund Bauernbetriebe finanziell unterstützt, deren Produkte zu hohe Werte der sogenannten Ewigkeitschemikalien aufweisen. Er nahm eine entsprechende Motion von Mike Egger (SVP/SG) mit 137 zu 53 Stimmen bei fünf Enthaltungen an. Die Kommissionsmotion sieht in dieser Frage lediglich vor, dass der Bundesrat Massnahmen prüfen soll. «Eine Zero-PFAS-Strategie ist weder realistisch noch sinnvoll. Es braucht Übergangsfristen, pragmatische Lösungen und vor allem Fairness für die Betroffenen», machte Egger deutlich.
Über Jahre sei der Einsatz von Klärschlamm von offizieller Seite gefördert. Mit verheerenden Konsequenzen. «Heute stehen zahlreiche Bauernfamilien vor der existenziellen Frage, ob sie ihre Felder noch bewirtschaften und ihre Tiere weiter weiden lassen sollen», warnte Egger. Es dürfe nicht sein, dass beim Problem PFAS die Schweizer Landwirtschaft die Zeche allein zahle. Neben dem ökologischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Druck käme nur PFAS hinzu. «Wir haben die Verantwortung, den Bauernfamilien in dieser schwierigen Situation klare, rasche und gerechte Unterstützung zu bieten. Es braucht finanzielle Soforthilfe, Beratung und Investitionsbeiträge sowie eine gerechte Entschädigung für Wertverluste von Böden und Quellen», sagte Egger. Das sah auch die Mehrheit des Nationalrats so.
Ja zu Deklarationsplicht
Angenommen wurden auch zwei Motionen aus den Reihen der FDP für eine PFAS-Deklarationspflicht und dafür, dass der Bund nachhaltige Chemikalien stärker fördern soll. Gut hiess der Rat auch einen Vorstoss von Thomas Rechsteiner (Mitte/AI). Mit seinem Vorstoss verlangt er vom Bundesrat, eine gesetzliche Grundlage für fünf Punkte zu schaffen. «Ich fordere erstens die Festlegung von PFAS-Grenzwerten unter Berücksichtigung von Gesundheit und natürlichen Hintergrundwerten, zweitens vorübergehende Ausnahmeregelungen für Industrie und Landwirtschaftsbetriebe, sofern diese an Reduktionsmassnahmen mitarbeiten, drittens den Verzicht auf die automatische Übernahme der EU-Trinkwasservorgaben, viertens die Abfederung der wirtschaftlichen Folgen bei der Umsetzung der PFAS-Grenzwerte in Industrie und Landwirtschaft und fünftens die regelmässige Überprüfung der bestehenden Vorschriften und eine Koordination mit den Kantonen und Fachstellen», führte er aus.
Ein weitere Motion stammt von FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher (SG).«Eine Deklarationspflicht schafft Transparenz und befähigt die Betroffenen zu informierten Kauf- und Nutzungsentscheidungen. Sie stellt einen pragmatischen Schritt zur Risikominimierung dar, ohne - dies ist mir besonders wichtig - Verbote zu erlassen. Ein erwünschter Nebeneffekt einer solchen Deklarationspflicht ist zudem, dass gleichzeitig erste Anreize für Hersteller entstehen, wo möglich auf PFAS-freie Alternativen umzustellen», sagte sie zu ihrem Vorstoss.
Dies Motionen gehen an den Ständerat.
Nein zu Abgabe an der Quelle
Keine Mehrheit fanden dagegen Vorstösse aus den Reihen der Ratslinken und der GLP. Barbara Schaffner (GLP/ZH) verlangte sektorspezifische Absenkpfade für den Einsatz von PFAS. Martine Docourt (SP/NE) wollte die Verwendung von PFAS auf wesentliche Verwendungszwecke beschränken.
Marionna Schlatter (Grüne/ZH) machte den Vorschlag machte, eine Abgabe auf die Chemikalien zu erheben, um auf diese Weise zukünftige Kosten zu decken. «Gemäss Schätzungen belaufen sich allein die Sanierungskosten in den nächsten 20 Jahren für belastetes Trinkwasser, Abwasser und Altlasten in der Schweiz auf bis zu 26 Milliarden Franken. Das sind 1,3 Milliarden Franken pro Jahr, Jahr für Jahr, nur für die Sanierungen stark belasteter Standorte, ohne eine generelle Verbesserung der Grundbelastung, die sich noch überall in der Umwelt befindet», warnte Schlatter. Heute seien es die Steuerzahlenden, die die Kosten übernehmen müssten.
Die drei Vorstösse sind vom Tisch.
«Lassen sie uns analysieren»
Schon im Vorfeld der Debatte hatte die Umweltorganisation WWF gewarnt, der Nationalrat drohe vor wirtschaftlichen Sonderinteressen einzuknicken. «Betroffene Betriebe brauchen Unterstützung – aber nicht auf Kosten der Allgemeinheit», schrieb sie.
Der Bundesrat empfahl lediglich die Kommissionsmotion zur Annahme. Umweltminister Albert Rösti verwies auf die bereits laufenden Arbeiten zum Thema PFAS. Die Forderung nach einer Deklarationspflicht etwa sei teilweise schon erfüllt. Man wolle aber keinen «Swiss Finish», sondern in Koordination mit der EU Regeln erlassen.
Nach etlichen Fragen sagte der zuständige Bundesrat Albert Rösti: «Lassen Sie uns doch jetzt mal analysieren, welche PFAS letztlich gefährlich sind. Diese Arbeiten laufen noch. Einige PFAS sind ja bereits verboten. Wir wollen eben nicht, dass Milliardenkosten entstehen, sondern sicherstellen, dass die gefährlichen Stoffe gar nicht mehr verwendet werden.» In der Forschung würde viele Mittel eingesetzt, um Ersatzstoffe herzustellen und so nicht Milliardenkosten zu verursachen. «Da bin ich mit Ihnen einig, das können wir uns nicht leisten», hielt er fest.