Bio-Suisse-Präsident Urs Brändli sagt, das Ziel eines Biolandes Schweiz im Leitbild seines Verbandes werde mit falschen Vorstellungen verbunden. Er sagt: «Wir wollen ein Bioland Schweiz im Sinne der Nachhaltigkeit, aber ich bin sicher, dass es kein Knospe-Land Schweiz sein wird.» Brändli äussert sich im Interview auch zu Coop, Migros, zu immer strengeren Richtlinien und zum Genome Editing.
Für Bio Suisse ist es eine grosse Sache, dass die Knospe in die Migros kommt. Was sagt eigentlich Coop dazu?
Wer Erfolg hat und etwas gut macht, wird kopiert. Natürlich hat Coop nicht gerade applaudiert. Aber die Coop-Verantwortlichen konnten nachvollziehen, dass die Bio Suisse, bei der 95% der Biobetriebe in der Schweiz Mitglied sind, nicht Nein sagen kann, wenn die Migros bereit ist, unsere Distributionsanforderungen für die oberste Kategorie zu erfüllen. Wir freuen uns für die Knospe, weil sie noch einmal sichtbarer wird, und für die Konsumentinnen und Konsumentinnen, weil der Bio-Kauf einfacher wird. Ich bin überzeugt, dass es für die Migros auch wichtig war, dass wir beim Import dieselben Anforderungen wie in der Schweiz stellen. So wird M-Bio in Kombination mit der Knospe an Profil gewinnen.
M-Bio bleibt als Marke?
Ja, das gibt ein sogenanntes «double branding», wie es auch Coop mit Naturaplan und der Knospe macht.
Wenn Migros die Knospe nutzt, bringt das Bio Suisse Millionen Franken an zusätzlichen Lizenzeinnahmen.
Im Moment ist das vor allem viel Aufwand, und das Geld kommt noch nicht. Derzeit müssen wir sogar schauen, wo wir im aktuellen Budget Einsparungen machen können, weil der Einstieg der Migros etwas später kommt als ursprünglich geplant. Die ersten Knospe-Produkte in der Migros werden im Herbst erwartet. Es wird aber zwei, drei Jahre brauchen, bis auch alle verarbeiteten Produkte mit mehreren Zutaten die Knospe tragen werden. Die Migros-Industrie macht ja viele Produkte selbst und muss sich für M-Bio jetzt an die Verarbeitungsrichtlinien der Knospe halten. Das bedeutet für uns einen hohen Aufwand, wir prüfen jedes Rezept, jede Etikettierung, es gibt viele Rückfragen der Industrie. Vom grossen Geldsegen ist im Moment gar nichts zu sehen. Wenn die Einnahmen dann da sind, gibt es so viele Anliegen, die wir unterstützen sollten und wollen: Bildung, Beratung, Forschung, Züchtung etc. Heute müssen wir viele sinnvolle Projekte zurückstellen, weil die Mittel fehlen.
Bio Suisse beschliesst immer strengere Richtlinien. Getrieben von Kundinnen, die Forderungen stellen, von einer Geschäftsstelle mit vielen idealistisch gesinnten Leuten, von einer Delegiertenversammlung, die grüner ist als die Basis der 7500 Knospe-Betriebe. Da besteht doch die Gefahr, dass Bio Suisse mit Richtlinien überschiesst, die sie selbst erdrosseln?
Das hängt davon ab, welche Ziele man verfolgt. Wir haben in unserer Vision ein Bioland Schweiz. Wenn man das wirklich erreichen will, dann müsste man sagen, wir bleiben mit den Richtlinien, wo wir sind, oder lockern sie noch, um rasch möglichst viele Betriebe dazu zu gewinnen. Wenn wir in Zukunft über das Leitbild sprechen werden, wird auch das Bioland Schweiz zur Diskussion kommen. Nicht, weil es das falsche Ziel ist, sondern weil wohl die falschen Vorstellungen damit verbunden sind.
Können Sie das ausführen?
Wir wollen ein Bioland Schweiz im Sinne der Nachhaltigkeit, aber ich bin sicher, dass es kein Knospe-Land Schweiz sein wird. Die Knospe muss und soll sich im Sinne ihrer 40jährigen Geschichte weiterentwickeln. In den ersten Richtlinien, die nur einige wenige Seiten umfassten, war noch kein einziges Tier erwähnt. Es wäre falsch, wenn wir uns nicht weiterentwickeln würden. Gerade weil wir Nachhaltigkeit so verstehen, dass die nachfolgenden Generationen ihre Bedürfnisse ebenso befriedigen können sollen wie wir. Wenn wir dem gerecht werden wollen, können wir nicht sagen: Der Biolandbau ist jetzt erfunden, alles andere interessiert uns nicht mehr.
Wegen der Vorgabe von nur noch 5% Kraftfutter bei den Kühen sind aber einige Milchviehbetriebe abgesprungen.
Es gab schon in der Vergangenheit harte Diskussionen und Austritte wegen neuer Richtlinien, etwa beim Stallblitz oder bei der 100-Prozent-Bio-Fütterung. Auch das haben damals einige Mitglieder nicht verstanden. Ich kann nachvollziehen, dass sich einzelne Mitglieder draussen auf ihren Höfen nicht auch noch mit der Weltlage und den neuesten Forschungsresultaten auseinandersetzen mögen, weil sie im Alltag schon genug Arbeit und Herausforderungen haben. Es wäre aber falsch, wenn sich die Führungsgremien der Bio Suisse nicht damit auseinandersetzen würden, wohin die Reise geht. Vor 20 Jahren haben erst einige Fachleute in der Wissenschaft übers Klima diskutiert, aber niemand wollte hinhören. Mittlerweile ist allen klar, dass der Klimawandel eine Herausforderung ist, für die wir Lösungen finden müssen.
Welche?
Wenn wir feststellen, dass wir in unseren Richtlinien noch Potenzial haben, müssen wir etwas machen. Auch die Konkurrenz auf dem Acker war vor 20 Jahren kein so grosses Thema. Mittlerweile wissen wir, dass wir im Jahr 2050 die 10 Milliarden Menschen nur ernähren können, wenn wir mehr Ackerfrüchte für die menschliche Nahrung und weniger Ackerfrüchte als Tierfutter nutzen und wenn wir gleichzeitig den Food Waste deutlich reduzieren. Es wäre verheerend, wenn sich Bio Suisse nicht laufend damit auseinandersetzen würde und sich in ihrer gesellschaftlichen Verantwortung auch in die politischen Prozesse einbrächte. Wir wissen, dass wir in der Politik kein Schwergewicht sind, aber mittlerweile haben wir dort trotzdem eine Position, in der man uns einlädt und uns zuhört.
Wird es in einer Welt, in der die Ressourceneffizienz wegen zunehmender Knappheit enorm wichtig wird, für Bio Suisse nicht immer schwieriger, Positionen wie das Zweinutzungshuhn anstelle des Kükentötens oder der Geschlechtsbestimmung im Ei zu vertreten? Schliesslich verbraucht das Zweinutzungshuhn mehr Futter pro essbare Kalorie. Die Ablehnung des Genome Editings und dessen Brandmarkung als Gentechnik kommen ebenfalls unter Druck, weil dabei aus ideologischen Gründen auf raschere Zuchtfortschritte verzichtet wird.
Wer setzt uns unter Druck? Syngenta? Firmen, die ihre Geschäftsmodelle bedroht sehen?
Leute, welche die Ressourceneffizienz in der Ernährung als oberstes Prinzip hochhalten.
Aber was heisst das? Wir haben im Moment eine Hungerkrise, weil wir in einem globalisierten und industrialisierten Handelsmodell stecken, das brutale Abhängigkeiten geschaffen hat, unter anderem von Lieferungen aus der Ukraine.
Aber könnten sich 100 Millionen Leute in Ägypten mit lokalem Bio-Landbau ernähren?
Gerade in solchen ariden Ländern zeigen viele Projekte, dass der Biolandbau deutlich besser abschneidet als der industriell-konventionelle Landbau, weil ein humoser, fruchtbarer Boden deutlich mehr Wasser speichern kann. Mit biologischen oder agrarökologischen Systemen kommt man da deutlich weiter als mit industrieller Produktion.
Das bestreiten wir nicht. Die Beispiele waren das Zweinutzungshuhn und das Genome Editing. Letzteres lehnt ihr strikt ab, während Coop, Migros, Bauernverband, Fenaco, Bundesamt und Leute aus der Wissenschaft sehr offen dafür sind.
Bezüglich Crispr/Cas hören wir von der Wissenschaft die gleichen Versprechen, die man uns vor zwanzig Jahren bei der ersten Gentechnik machte und wo sich vieles nicht erfüllte oder es grosse Probleme gab. Was uns verkauft wird, sind nur die Vorteile. Es heisst etwa, man könne sehr rasch trockenresistentere Sorten züchten. Bei der Trockenresistenz spielen aber laut Fachleuten im Genom so viele verschieden Teile eine Rolle, dass man mit der Genschere kaum etwas erreichen wird. Angeblich verbesserte Trockenheitsresistenz könnte in Zeiten des Klimawandels nur ein Argument sein, um die Gesellschaft auf den Pfad der Gentechnik zu bringen.
Es könnte auch neue, grosse Abhängigkeiten geben…
Ja, das ist so. Die Diskussion wird geführt werden müssen und wir von Bio Suisse wollen diese Diskussion nicht verhindern. Wir sagen einfach: Im Biolandbau ist für uns klar, dass nicht in die Zelle eingegriffen werden darf. Das ist ein Versprechen der weltweiten Biobewegung. Uns geht es primär darum, für die Zukunft sicherzustellen, dass für diejenigen, die diese Gentechnik nicht wollen, ein Ausschluss nach wie vor möglich ist. Die Koexistenz ist für uns in Frage gestellt. Wir fordern eine klare Deklaration. Sonst kommen auf einmal Sorten aus Crispr/Cas auch in den Biolandbau, wo wir doch mit ökologischer Züchtung, mit Eigenfinanzierung, mit dem Geld von Stiftungen und seit kurzem zum Glück auch mit Geld vom Bund schon einiges erreicht haben und auf einem guten Weg sind. Im Biolandbau werden wir sicher dann Erklärungsbedarf haben, wenn z.B. Kartoffeln mittels Crispr/Cas resistent werden gegen die Krautfäule, und wir stattdessen weiterhin Kupfer spritzen. Die Bioszene geht das Thema aktiv an. Bis im Herbst werden wir eine Bioposition für den kommenden politischen Prozess erarbeiten.
Brändli zur Fenaco
Lesen Sie im gedruckten «Schweizer Bauer» vom Samstag, 16. Juli, welches Fazit Urs Brändli zum Wirbel um die sehr hohe Bio-Prämien der Fenaco zieht, die sie auf Druck von Bio Suisse und anderen Marktakteuren mittlerweile zurückgezogen hat. Brändli antwortet dort auch auf die Frage, ob Bio Suisse angesichts ihrer Zustimmung zu mehr pflanzlicher Ernährung in Zukunft überhaupt noch neue Eierproduktionsbetriebe unter ihrem Dach will und warum es ihm ein grosses Anliegen ist, dass in Zukunft bei der Preisberechnung der Lebensmittel die wahren Kosten für die Umwelt einberechnet werden.