Die Schweizerische Nationalbank (SNB) dürfte am Donnerstag kräftig an der Zinsschraube drehen. Die Ära der Negativzinsen geht dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu Ende.
Ökonomen rätseln nur noch über die Höhe des Zinsschrittes. Die meisten erwarten bei der geldpolitischen Lagebeurteilung eine Anhebung des SNB-Leitzinses um 50 bis 75 Basispunkte. Manche sagen sogar eine Erhöhung um 100 Basispunkte voraus.
Thomas Stucki von der St. Galler Kantonalbank sagt stellvertretend für die ganze Ökonomenzunft: «Die SNB wird am Donnerstag die Zeit der Negativzinsen in der Schweiz in die Geschichtsbücher verbannen.» Er hält allerdings die Frage, wie gross der Zinsschritt konkret ausfällt, für zweitrangig. Entscheidend sei, dass die SNB-Spitze um Thomas Jordan überhaupt erhöhe – an dieser Sitzung, an der nächsten im Dezember und allenfalls an jenen im Jahr 2023.
Überraschung im Sommer
Aktuell liegt der Schweizer Leitzins bei -0,25 Prozent. In allen drei Varianten käme er im positiven Bereich zu liegen, also bei +0,25, +0,50 oder +0,75 Prozent. Und dies ist durchaus historisch.
Denn seit dem 18. Dezember 2014 liegt der Schweizer Leitzins im negativen Bereich. Damals wurde er auf -0,25 Prozent gesenkt. Im Januar 2015 drückten ihn die Währungshüter dann gleichzeitig mit der Aufgabe des Euro-Mindestkurses auf das rekordtiefe Niveau von -0,75 Prozent. Dieses Niveau galt bis im Sommer. Damals erhöhte die SNB ihren Leitzins überraschend um 50 Basispunkte und kündigte – wenn auch verklausuliert – die Möglichkeit weiterer Erhöhungen an.
Teuerung zu hoch
Denn auch die SNB muss etwas gegen die Inflation tun. Diese lag zuletzt bei 3,5 Prozent und somit über dem Zielband der Nationalbank von maximal 2 Prozent.
«Die straffere Geldpolitik soll verhindern, dass die Inflation in der Schweiz breiter auf Waren und Dienstleistungen übergreift», begründete SNB-Präsident Jordan den überraschenden Schritt vom Juni. Und seither habe er sich am Notenbankertreffen in Jackson Hole sogar noch dezidierter geäussert, meint Safra-Sarasin-Ökonom Karsten Junius.
EZB gibt Spielraum
Hinzu kommt das internationale Umfeld. So haben die US-Notenbank Fed und inzwischen auch die Europäische Zentralbank (EZB) kräftig die Zinsen erhöht – und damit auch auf die wesentlich höheren Inflationsraten in ihren Währungsräumen reagiert. Die US-Notenbank Fed wird am Mittwochabend dann wohl nochmals eine kräftige Anhebung verkünden.
Dass die Teuerung in der Schweiz auf tieferem Niveau ist als in vielen europäischen Ländern oder den USA, hat auch mit dem Franken zu tun. Dieser hat in den letzten Monaten stark aufgewertet und damit einen Teil des Inflationsdrucks absorbiert. «Die SNB sieht im starken Franken eine wirksame Massnahme im Kampf gegen die hohe Inflation», meint UBS-Ökonom Alessandro Bee.
Doch diese Aufwertung hat Grenzen, weil sie für Teile der Exportindustrie zu einem Problem werden kann. Nachdem die EZB im Juni ihren Leitzins um 50 und im September weitere 75 Basispunkte erhöhte, hat sich laut einer Studie der ZKB der Spielraum für die SNB vergrössert. Sie kann nachziehen, ohne den schon stärker gewordenen Franken übermässig zu stärken.
Aussagen zur Rezession?
Von grossem Interesse wird am Donnerstag abgesehen vom Zinsentscheid sein, ob und wie stark die SNB ihre Inflationsprognosen anpasst. Sollte diese für einzelne Jahre über dem Zielband liegen, signalisiert dies weitere Zinsschritte.
Zudem wird die SNB auch eine Prognose für das Wirtschaftswachstum 2022 abgeben, welches zuletzt auf rund 2,5 Prozent lautete. Eine konkrete Prognose für 2023 wird es nicht geben. Wahrscheinlich ist aber, dass sich die Währungshüter in der Mitteilung oder an der Medienkonferenz zur Gefahr einer Rezession äussern werden.
Steigen Zinsen auf dem Bankkonto?
Mit der Zinswende stellen sich nun weitere Fragen. So wird gewerweisst, welche Folgen die höheren Zinsen auf die bereits stark gestiegenen Hypozinsen haben werden und ob dies die Preissteigerungen auf dem Immobilienmarkt dämpfen wird. Weitere Fragen sind, ob die Sparer nun bald mit höheren Zinsen auf ihrem Ersparten rechnen können.
Positive Leitzinsen bedeutet aber auch, dass die SNB den Banken auf den bei ihr deponierten Geldern Zinsen zahlen muss. Das könnte sie Milliarden kosten, wie ein Ökonom in der «NZZ am Sonntag» vorrechnete. Somit könnte die neue Zinsrealität auch Folgen auf die Zahlung der SNB an Bund und Kantone haben.