Barbara Eiselen berät Landwirtinnen und Betriebsleiter. Dafür hat sie ihre Anstellung gekündigt. Ihre Vision ist es den Bauernstand von innen heraus zu stärken. Mindestens ein Schweinehalter ist jetzt zufriedener als vorher.
«Schweizer Bauer»: Sie haben sich beruflich umorientiert und coachen heute Landwirtinnen und Landwirte. Wie kam es dazu?
Barbara Eiselen: Vor einem Jahr habe ich mich fürs Coaching entschieden und gewagt meine Stelle bei der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (Hafl) zu kündigen. Ich bin seit 15 Jahren Agronomin und sehr zufrieden mit dem, was ich während dieser Zeit beruflich und privat erreicht habe. Ich habe an Projekte mit internationaler Ausstrahlung gearbeitet. Angefangen habe ich mit dem Unterrichten von Tierhaltung und Ackerbau am Inforama Rütti in Zollikofen. Danach habe ich immer in der Betriebswirtschaft gearbeitet. An der Hafl in der Gruppe Agrarwirtschaft, wo es unter anderem über Hofstrategien ging, hatte ich immer betriebswirtschaftliche Zahlen vor mir. Doch dahinter steckten Einzelschicksale.
Inwiefern trafen Sie die Einzelschicksale?
In einer Umfrage zur Lebensqualität der Betriebsleitenden, die wir 2020 durchgeführt haben, kamen für mich haarsträubende und besorgniserregende Antworten, wie «schlafe nachts nicht» oder «habe starke Rückenprobleme». Die Personen sind zum Teil völlig am Anschlag und sehen keinen Sinn mehr in ihrer Arbeit. Ich bin selbst Bauerntochter, mein Partner ist Bauernsohn. Mir ist klar geworden, dass man auf einer anderen Ebene ansetzen muss, um auf den Betrieben etwas zu verbessern. Ich hatte Lust darauf das professionell anzugehen. Als angestellte Agronomin konnte ich das nicht, also habe ich mich fortgebildet zum Coach mit den Themen Familiensysteme, Trauma, Psychologie, Zusammenarbeiten und -leben auf landwirtschaftlichen Betrieben.
Ist das Problem nicht, dass die Höfe zu wenig rentabel sind?
Ich habe während meiner jahrelangen Tätigkeit als Agronomin bemerkt, dass die Unzufriedenheit in der praktischen Landwirtschaft gar nicht unbedingt von mangelnder Wirtschaftlichkeit der Betriebe herrührt. Das bestätigt der Agrarbericht. Er zeigt, dass die Einkommen tendenziell steigen. Natürlich gibt es wirtschaftliche Probleme wie die Liquidität und grosse Anbindung durch Investitionen. Ich will es nicht schönreden. Aber ich habe immer wieder auf Betrieben gesehen, dass da noch etwas anderes ist, das die Stimmung trübt. Und, dass es nicht nur die Preise aus den 90er-Jahren sind, die man sich zurücksehnt oder die Agrarpolitik, die sich grundlegend ändern müsste.
Was sonst trübt die Stimmung der Betriebsleitenden?
Zum Beispiel habe ich während meiner vorigen Tätigkeit einen Landwirt kennengelernt, der mehr als eine Million in einen modernen Milchviehstall mit Melkroboter investiert hat. Und dann hat ihn seine Frau verlassen. Fünf Jahre später sass er auf einem riesigen Berg Schulden, weil er aufgehört hat zu Melken und damit der Stall nicht amortisiert werden konnte. Er hat sehr zukunftsorientiert gedacht, aber das Problem lag an einer anderen Stelle, es gab eine Krise in der Ehe. Und auch solche Probleme haben bei mir Platz. Da liegen oft sogar wichtige Themen verborgen. Bei jüngeren Hofübernehmenden ist es manchmal die Beziehung zu den Eltern, die nicht ganz frei ist. Es geht bei mir darum die Situation ganzheitlich zu betrachten.
Wer sind Ihre Kunden?
Ich berate drei Zielgruppen. Zum einen sind es Bauern, die nicht wissen wie weiter und die eine neue Hofstrategie verfolgen möchten. Oft sind es Landwirte, die in den letzten Jahren investiert und vieles gut gemacht haben. Die Hofübergabe anzudenken ist manchmal auch schon Thema. Ein gutes Beispiel dieser Zielgruppe ist mein Kunde Marcel Schlup (siehe Kasten unten). Er ist sehr professioneller Schweinehalter.
Und die anderen Zielgruppen?
Die zweite Zielgruppe sind junge Menschen, die einen Hof zuhause haben und sich klar werden wollen ob und wie sie ihn übernehmen möchten. Bei dieser Personengruppe geht es darum, welche Fragen man sich als Hofübernehmender stellen muss und was man bei den Eltern ansprechen muss, um den Betrieb nicht aus einem Pflichtgefühl heraus zu führen, sondern mit einer inneren Überzeugung. Denn nur so kann man sich darauf freuen und später den Beruf auch geniessen. Und dann berate ich auch Hofübergebende. Hier spielt die Frage eine Rolle: Wie geht das Loslassen und einen neuen Lebensabschnitt beginnen.
zvg
Marcel Schlup ist Landwirt in Mühledorf SO. Er hält Schweine und Mastpoulet mit IP-Suisse Label. Aktuell stellt er seine Hofstrategie um. Darauf gekommen ist er zusammen mit Barbara Eiselen. «Ich war immer offen für Neues», erzählt er von sich selbst. Das Beratungsangebot habe er auf Facebook entdeckt. Dort versprach die Frau im Video durch gewisse Anpassungen im Arbeitsalltag auf dem Hof mehr Freizeit generieren zu können. Schlup hat sich damals gefragt, wie das gehen soll. Um eine Woche Ferien machen zu können, musste er mindestens eine Woche vorher vorarbeiten und am Ende der Ferien stapelten sich die Rechnungen und Aufgaben die liegen geblieben waren während seiner Abwesenheit.
Sein Pachtbetrieb umfasst 20 Hektaren Ackerland, er mästet 5000 Poulet, hat 900 Muttersauen mit einem Ferkelring. Seine Tiere verteilen sich über fünf Standorte zwischen denen er mehrmals täglich hin und her pendelt. Zwei sind in seinem Eigentum. Der Sohn mästet auch einen Teil der Schweine und so ergibt sich bei der Schweinehaltung ein geschlossener Kreislauf. An sich eine gute Sache. Der fünfte Standort ist sogar erst seit zwei Jahren integriert.
Vor 23 Jahren hat er als Angestellter auf dem Betrieb begonnen. Jetzt ist er Pächter und hat den Hof wesentlich erweitert. Doch Schlup stört es, dass er täglich etliche Kilometer fährt. Für ihn ist es tote, ungenutzte Zeit. Er ist zu wenig zu Hause, nimmt zu selten Ferien, ist vom Schweinemarkt fremdbestimmt. Für den Gemüsebau ist es zu wenig Land, der Boden eignet sich nicht und gute Bewässerungsmöglichkeiten fehlen. Schlup war, wie es den Anschein macht, nie ein Unternehmer, der still gestanden ist. Er sagt: «Wo automatisiert werden kann, soll automatisiert werden.»
Im Grossgruppenstall bei den 400 Mastschweinen hat Schlup eine Durchlaufwaage installiert. Damit kann er täglich die Gewichtszunahme der Tiere kontrollieren und mit der Fütterung darauf reagieren. Was ihn ausserdem innovativ macht: Er produziert aus Überzeugung Kräuterschwein, ein besonders wohlschmeckendes Schweinefleisch. Seine Vision: Da er direkt am Wanderweg gelegen produziert, möchte er Leute zeigen, wie Schweine gehalten werden. Und die Direktvermarktung soll von bisher 3 Tieren auf 20 Tiere jährlich ausgebaut werden: Mittels QR-Codes auf der Verpackung soll es Einblicke in seine Produktionsmethoden und die Fütterung mit Kräutermischungen geben. Ihn stört es, dass das Image der Schweineproduktion so schlecht ist.
Schlup hatte schon früh die Idee auch Insekten für den menschlichen Konsum zu produzieren. Doch diese hat er mittlerweile gedanklich wieder beiseitegelegt: «Die Leute sind noch nicht so weit. Insekten als Lebensmittel sind noch nicht akzeptiert. Fisch dagegen schon. Es gibt keine Religion, in der er nicht gegessen wird.» Schlup überlegt derzeit konkret, ob er zusätzlich Fisch produziert. Bisher produziert die Schweiz nur rund 5 Prozent des eigenen Bedarfs an Fisch. Der Landwirt ist überzeugt, dass die Nachfrage hoch ist. Dafür spricht, dass er ein weiteres Standbein auf dem Betrieb hätte. Aber vor allem, dass er unabhängiger ist – von der Agrarpolitik, von den Schweinepreisen. «Man kann alles selbst machen - vom Futteranbau bis zur Schlachtung und dem Verkauf. Und während der Produktion kann alles automatisiert werden.»
Marcel Schlup hat ausserdem beschlossen einen seiner Ställe aufzugeben. «Das spart mir Zeit im Auto ein. Und auch eine Person im Stall. Aber es war ein grosser Schritt. Ich habe dort viel Geld investiert und bin über 12 Jahre jeden Tag dorthin gefahren.» Für ihn ist klar, dass sich die Beratung mit Barbara Eiselen gelohnt hat: «Es brauchte eine Person, die mich dabei begleitet hat, mit der ich alles besprechen konnte. Im familiären Umfeld wurde ich immer auf den Boden zurückgebracht, aber Barbara sagte mir: Ja, wir berechnen die Wirtschaftlichkeit Deiner Idee.»
Auf die Frage, was Schlup anderen Betriebsleitenden, die in einer ähnlich unzufriedenstellenden Situation sind, empfehlen kann, erwidert er: «Es ist wichtig an sich selbst zu arbeiten. Ab und zu den Hof anpassen auf jedes Interesse, das in einem selbst geweckt wird, und am besten ohne Direktzahlungen auskommen.» Er ergänzt: «Man muss diesen Beruf gern machen, sonst wird es schwierig. Landwirtschaft ist meine Leidenschaft seit ich klein bin.»
zvg
Wie erfolgreich sind Sie mit Ihrem Coaching auf den Betrieben?
Es ist noch etwas zu früh, um die langfristigen Auswirkungen zu beurteilen. Dazu mache ich es zu wenig lang. Aber es gibt schon einige sehr vielversprechende Durchbrüche. Es ist wichtig zu erwähnen, dass ich Prozesse begleite. Ich gehe nicht auf die Höfe und schlage beispielsweise vor auf Ziegenhaltung zu wechseln. Ich zapfe eher die eigene Weisheit der Betriebsleiter an. Die Personen finden gemeinsam mit mir heraus, wo sie den Fokus hinlegen möchten. Mit diesen Zielen und Visionen - nämlich dem was sie gerne tun - entwickeln wir eine Strategie, mit der sie Geld verdienen können und auch Freizeit haben. Und dieser Prozess braucht eine gewisse Zeit.
Wie kommen die Personen, die ein Coaching mögen, auf Sie zu?
Was ich mache, ist, ich zeige, was ich tue. Ich bin zum Beispiel auf Facebook und Instagram gut sichtbar, dort kommen die Leute auf mich zu. Oder über das Kontaktformular auf meiner Homepage (www.barbara-eiselen.ch). Ich biete dann eine kostenlose Erstberatung an, denn es ist mir wichtig, dass die Leute abschätzen können, ob es ihnen etwas bringt und ob sie mit mir zusammenarbeiten möchten. Häufig ist es so, dass sich Viele zuerst trauen müssen Hilfe überhaupt anzunehmen. Viele denken: «Ich kann das alleine schaffen».
Merken Sie eine gewisse Zurückhaltung, dass Personen für ein Coaching eigentlich kein Geld ausgeben möchten?
Ich kann vielleicht von mir selbst berichten: Ich lasse mich selbst auch coachen. Nur so habe ich den Schritt in die Selbstständigkeit überhaupt gewagt. Und ich habe für mich persönlich festgestellt, dass ich schon so viele Dinge in meinem Leben gekauft habe, aber in uns selbst investieren wir eigentlich nicht viel Geld. Viele gehen dann soweit, dass sie psychisch krank werden und mit Burnout in die Klinik müssen. Beim Coaching habe ich sehen dürfen: Nein, es stört die Leute überhaupt nicht. Die Investition ist es ihnen Wert. Sie investieren in sich selbst.
Wie sind die Rückmeldungen?
Meine Kunden sagen durchweg, dass es ihnen sehr guttut, dass jemand neutral auf die Sache schaut, der nicht Freund ist, nicht Verwandter. Und jemand der die landwirtschaftliche Kompetenz mitbringt. Es gibt auch die subventionierte kantonale Beratung, die oft einen sehr guten Job macht. Mit den günstigen Preisen von rund 70 Franken pro Stunde, kann natürlich kein Selbstständiger mithalten. Diese Rechnung habe ich gemacht.
Sie erneuern mit Landwirten zusammen die Betriebsstrategie. Wie darf man sich das vorstellen?
Es geht nicht darum den Betrieb umzukrempeln, sondern darum einen Fokus zu setzen. Die Bauern, die ich betreue, wissen oft, was sie tun könnten - haben sich auch etwas dabei gedacht als sie in Projekte investiert haben. Aber sie haben sich dann verzettelt, oder es wurde mit der Zeit zu viel. Beispielsweise ein Milchviehhalter, der auf Mutterkuhhaltung umstellt: Er weiss, er hat weniger Arbeit, es braucht keinen Melkmaschinenservice mehr, die Tiergesundheit ist besser, dafür gibt es aber weniger Einkommen. Das Milchgeld, das monatlich kommt, fällt dann weg. Es löst Ängste aus – auch bezüglich der Beschäftigung während der freiwerdenden Zeit. Er findet dann heraus, was er gerne noch tun möchte, was ihn antreibt, und wie er die Zeit einsetzen kann, sodass sie ihm auch dienlich ist. Das muss gar nicht unbedingt Freizeit sein, es kann eine Anstellung sein, die ihm Spass macht. Oder die Weiterentwicklung eines Hobbies, welches zu einem wirtschaftlichen Standbein wird. Ich helfe eigentlich zur Selbsthilfe. Manchmal braucht es auch das Loslassen von etwas, was man zu viel gemacht hat. Wenn man weiss, was man tun will und wie mans tun will, wird es oft ganz einfach. Mit Zahlen machen wir die Änderung, wie beispielsweise eine Umstellung auf einen anderen Betriebszweig oder das Aufgeben eines Standbeins, dann noch besser fassbar.
Sie führen für die neue Strategie auch Berechnungen mit Buchhaltungszahlen durch. Wie finden die Besprechungen dazu statt?
Es ist vorwiegend online. Natürlich ist auch ein Betriebsbesuch beim Coaching angesehen. Aber ich habe gemerkt, dass Online-Gespräche sehr grosse Vorteile haben, auch wenn man das noch nicht so gewohnt ist. Ein Vorteil ist, dass die Menschen zuhause sind, wo sie immer sind, in ihrem realen Leben verweilen und nicht in einem herausgeputzten Sitzungszimmer sitzen, weit weg von der Realität. Es spart auch Zeit. Zusätzlich können online natürlich viel mehr Menschen in weiterer Ferne meine Dienste nutzen.
Und wie lange und oft trifft man sich?
Weil das Ändern der Hofstrategie ein Prozess ist, arbeite ich bisher eine Zeitdauer von sechs Monaten mit den Kunden. Das braucht es, um Durchbrüche zu erreichen. Neu im Angebot sind auch drei Monate oder sogar ein Jahr. Nach der Entwicklung der Hofstrategie folgt nämlich noch die Umsetzung, die oft länger als sechs Monate in Anspruch nimmt und auch noch Fragen aufwerfen kann, vor allem wenn es unkonventionelle Schritte sind. Im Moment treffe ich meine Kunden alle zwei Wochen für eine Stunde. Es dürfte in Zukunft zu einer noch intensiveren Begleitung kommen.
Was motiviert Sie?
Meine Vision ist den Bauernstand von innen heraus zu stärken, tiefe Nachhaltigkeit der Betriebe zu erreichen. Und das nicht durch Strukturen, sondern von den Menschen ausgehend. Dazu gehört, dass der Bauernstand trotz widriger Umstände, die gegeben sind, weniger abhängig von aussen wird. Die Bauern sollten Dinge mit einer inneren motivierenden Vision umsetzen können. Ich wünsche mir, dass die Bauern, die Werte, die sie der Gesellschaft zur Verfügung stellen, besser in Wert setzen können.
Welche Werte meinen Sie?
Die Landwirtschaft produziert nicht nur Lebensmittel, sondern sie hat auch Werte, die sie unserer Gesellschaft vorleben kann, zum Beispiel Bodenständigkeit, Erdung, Naturverbundenheit oder Nachhaltigkeit. Diese sind unserer Gesellschaft manchmal abhandengekommen. Und hier dürfen Landwirte neue Wege finden, wie sie diese Werte zusammen mit ihren Produkten anbieten können, so dass es sie individuell motiviert. Wenn das stimmige Angebot gefunden ist, spielt das Marketing eine wichtige Rolle, bei dem die Mehrwerte gezielt kommuniziert werden. Und es soll nicht Ziel sein deshalb mehr zu arbeiten, sondern es geht darum weniger zu tun, dafür das Richtige.
Vervollständigen Sie den Satz «Für die Zukunft der Bauernfamilien …»:
Da wünsche ich Glück, Zufriedenheit, Erfüllung und, dass sie sich von der Zielscheibe weg und hin zur Inspirationsquelle für die Gesellschaft bewegen. Wenn ich das noch ausführen darf: Die Agrarinitiativen, die es vor Kurzem gab, sind aus meiner Sicht Projektionen von den Initianten, die auf der Suche sind nach den Werten Bodenständigkeit, Erdung, Naturverbundenheit. Und sie schuldigen diejenigen an, die ihnen das am ehesten geben könnten, die Bauern. Diese machen jedoch nur das Beste mit den aktuellen Rahmenbedingungen, die sie gesetzt bekommen.