Wie der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG), mit Sitz in Berlin, in seiner Mittelung schreibt, konnte keine ausreichende Mehrheit der Mitgliedsstaaten für eine Gentechnik-Deregulierung gewonnen werden – was immerhin eine kurze Atempause in der Debatte bedeute.
Wie vorgängig von der Deutschen Presse-Agentur berichtet (dpa), hätte der Gesetzvorschlag der EU-Kommission erhebliche Auswirkungen haben können. Mit dem Gesetzentwurf sollten unter anderem das verpflichtende Zulassungsverfahren mit einer Risikoprüfung und die eindeutige Kennzeichnung abgeschafft werden.
Keine Wahlfreiheit mehr
«Bis zu 94 Prozent der Pflanzen mit neuen Gentechniken würden dann überhaupt nicht mehr reguliert werden: sie würden ohne Zulassungsverfahren und ohne Risikoprüfung auf die Äcker und Märkte kommen», sagte ein Experte und Gegner des Gesetzesvorschlages der dpa. Ohne Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit gebe es keine Wahlfreiheit mehr für Konsumenten, Bauern, Züchter sowie Lebensmittel-Verarbeiter und -Händler.
In der Mittelung zur gestrigen Abstimmung lässt der VLOG Cem Özdemir, der deutsche Landwirtschaftsminister zu Wort kommen: «Wer gentechnikfrei wirtschaften will, muss dies auch in Zukunft tun können. Wir brauchen echte Wahlfreiheit über die gesamte Lebensmittelkette. Dafür brauchen wir Regeln für ein Miteinander, damit ein funktionierender Markt nicht zerstört wird. Die Bürgerinnen und Bürger wollen wissen, welche Produkte sie kaufen.»
Dies ist dann auch der Punkt, an dem sich der VLOG primär stösst und schreibt Özdemir habe bei der Abstimmung in Brüssel richtigerweise sehr deutlich gesagt, dass der aktuelle Plan die Milliardenmärkte Bio und «Ohne Gentechnik» existenziell bedrohen würde.
Deregulierung im Eiltempo vorerst gescheitert
Alexander Hissting, Geschäftsführer des Verbandes Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) sagt: «Der Versuch, die Gentechnik-Deregulierung im Eiltempo voranzutreiben, ist zum Glück vorerst gescheitert.»
Mit Blick auf den weiteren Prozess ergänzte der Landwirtschaftsminister : «Dass es keine nötige Mehrheit der Mitgliedstaaten im Rat gab, ist deshalb auch ein klarer Auftrag, bei den entscheidenden Punkten nachzusteuern.» Für Deutschland hat Özdemir sich in Brüssel der Stimme enthalten, weil die Ampelkoalition zu diesem Thema keine einheitliche Position vertritt.
Es sei wichtig, dass Deutschland jetzt weitere EU-Länder davon überzeuge, dass es ohne Koexistenz, Transparenz und Kennzeichnung auch für neue Gentechnik nicht gehe, schreibt VLOG in der Mitteilung. Denn die Deregulierungs-Anhänger werden sehr schnell weiter Druck machen und versuchen, doch noch eine Mehrheit zu organisieren.
Spanien versucht, EU-Staaten auf Deregulierungskurs festzulegen
Die Aussprache und Abstimmung im EU-Agrarministerrat war mit grosser Spannung erwartet worden, der Ausgang bis zuletzt ungewiss. Wie VLOG weiss, wird Spanien, das noch bis zum Jahresende die halbjährlich wechselnde EU-Ratspräsidentschaft innehat, mit allen Mitteln versuchen, die EU-Mitgliedstaaten noch vor dem Ende ihrer Amtszeit auf einen Pro-Gentechnik-Deregulierungskurs festzulegen.
Regelungen für den europäischen Saatgutmarkt
Beim Treffen der Landwirtschaftsminister und Landwirtschaftsministerinnen in Brüssel wurden auch die Regelungen für den europäischen Saatgutmarkt diskutiert. In ihrer derzeitigen Form gefährdet die geplante Verordnung über die Erzeugung und Vermarktung von Pflanzenvermehrungsmaterial die Vielfalt auf dem Feld und auf dem Teller drastisch, schreibt die Gesellschaft für die Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt und ihre Entwicklung sowie Vielfalt erleben GmbH.
Dabei verabsäumte der spanische Ratsvorsitz bis jetzt eine zentrale Korrektur, die klarstellt, dass die Weitergabe von Saatgut zum Zweck seiner Erhaltung vom Geltungsbereich der neuen Verordnung ausgenommen ist. Derzeit dürfen Genbanken in der gesamten EU und in Österreich Saatgut zum Zweck der Erhaltung eindeutig weitergeben und sind damit vom Geltungsbereich des Saatgutrechts ausgenommen.
Auch eine Mehrheit wäre noch keine endgültige Entscheidung
Auch wenn diese Mehrheit zustande käme, wäre das noch nicht die endgültige Entscheidung und das Ende der Debatte. Im Januar stehen weitere Abstimmungen im Europaparlament an, danach würden weitere Abstimmungen zwischen Kommission, Rat und Parlament folgen. Ganz am Schluss gäbe es noch einmal eine finale Abstimmung der Mitgliedsstaaten. Eine frühzeitige, einseitige Festlegung der Mitgliedsstaaten auf eine weitgehende Deregulierung wäre jedoch ein denkbar schlechtes Signal, meint der VLOG.