Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU sieht vor, dass Landwirte 4% ihrer Nutzflächen brach liegen lassen. Dadurch sollen Flächen für wild lebende Arten geschaffen werden.
Rückwirkend zum 1. Januar
Die Kommission hatte die Regelung infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ausgesetzt, ursprünglich um die Lebensmittelversorgung in der EU abzusichern. Nun soll die Vorgabe weiter ausgesetzt werden, rückwirkend zum 1. Januar, teilte die EU-Kommission am Mittwoch mit.
Das Problem: Landwirte bliebe als Anpassungsmassnahme allerdings nur der Anbau von Sommerkulturen. Bei der Aussaat der Winterkulturen mussten sie noch von der Stilllegungspflicht von 4 Prozent ihrer Flächen ausgehen.
Linsen, Erbsen oder Zwischenfrüchte
Damit Bäuerinnen und Bauern von der vorgeschlagenen Ausnahme profitieren können, sollen sie im Gegenzug auf sieben Prozent ihrer Ackerflächen stickstoffbindende Pflanzen wie Linsen oder Erbsen beziehungsweise Zwischenfrüchte anbauen. Diese Kulturen können als Futter für Tiere oder als Gründünger dienen. «Der Einsatz von stickstoffbindenden Pflanzen und Zwischenfrüchten bringt eine Reihe von Umweltvorteilen für die Bodengesundheit mit sich, unter anderem für die biologische Vielfalt des Bodens und für die Begrenzung der Nährstoffauswaschung», schreibt die EU-Kommission. Die Kulturen sollen ohne Pflanzenschutzmittel angebaut werden, um die Umweltziele der GAP zu wahren.
Der Vorschlag der Kommission wurde am Mittwoch den 27 Mitgliedstaaten übermittelt, die in einer Ausschuss-Sitzung am Donnerstag darüber abstimmen werden. Nach der Abstimmung der Mitgliedstaaten wird die Kommission mit der förmlichen Annahme fortfahren. Mitgliedstaaten, die die Ausnahmeregelung auf nationaler Ebene anwenden möchten, müssen dies der Kommission innerhalb von 15 Tagen mitteilen, damit die Landwirte so bald wie möglich informiert werden können.
«Bauern sind Rückgrat der Ernährungssicherheit»
Mit dieser Massnahme kommt die EU-Kommission den Landwirten entgegen, die derzeit in zahlreichen Ländern protestieren. In der Kritik stehen auch Auflagen aus Brüssel, durch die sich Bäuerinnen und Bauern zu stark beschränkt sehen. «Es ist die erste konkrete politische Antwort, um den Einkommensproblemen der Landwirte Rechnung zu tragen», teilte die Behörde mit.
Was ist ein GLÖZ-Standard?
Für den Erhalt einer GAP-Unterstützung müssen Landwirtinnen und Landwirte einen erweiterten Satz von neun Standards einhalten, die dem Umwelt- und Klimaschutz förderlich sind. Dieser Grundsatz der Konditionalität gilt für fast 90 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche in der EU. Diese Grundnormen werden als GLÖZ-Standards bezeichnet, d. h. «guter landwirtschaftlicher und ökologischer Zustand».
Der GLÖZ-Standard 8 schreibt unter anderem vor, dass ein Mindestanteil (4 Prozent) von Ackerland für nichtproduktive Flächen oder Landschaftselemente vorgesehen ist. Letzteres bezieht sich in der Regel auf brachliegende Flächen, aber auch z.B. auf Hecken oder Bäume. Landwirtschaftliche Betriebe mit weniger als zehn Hektar Ackerland sind in der Regel von dieser Verpflichtung ausgenommen. Nun soll Standard 8 weiter ausgesetzt bleiben.
Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, sagte, der Vorschlag biete den Bauern und Bäuerinnen zusätzliche Flexibilität: «Die Bauern sind das Rückgrat der Ernährungssicherheit der EU und das Herzstück unserer ländlichen Gebiete.»
EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski sprach von einem Gleichgewicht aus der nötigen kurzfristigen Unterstützung für die landwirtschaftlichen Betriebe und der langfristigen Notwendigkeit, Klima, Bodengesundheit und biologische Vielfalt zu schützen.
«Die hohen Energie- und Betriebsmittelpreise infolge der Aggression Russlands gegen die Ukraine, die Lebenshaltungskosten/Inflationskosten, veränderte internationale Handelsströme und die Notwendigkeit, die Ukraine zu unterstützen, haben zu weiteren Unsicherheiten und Marktdruck geführt», schreibt die EU-Kommission. Gemäss EU nahm der Wert der Getreideproduktion in der EU-27 deutlich ab. Lag der Wert 2022 noch bei 80,6 Milliarden Euro (75,3 Mrd. Fr.), so sank dieser 2023 auf 58,8 Milliarden Euro (55 Mrd. Fr.). Das ist ein Rückgang um fast 30 Prozent.
Entscheidung liegt bei Regierungen
Der deutsche Agrarminister Cem Özdemir hatte sich kritisch zu entsprechenden Ausnahmen geäussert. Mitte 2022 sagte der Grünen-Politiker etwa, dass er Ausnahmen bei Fruchtfolgeregeln für sinnvoller halte. Zu den aktuellen Vorschlägen der EU-Kommission äusserte sich Özdemir zunächst nicht. Selbst wenn es eine Mehrheit unter den EU-Staaten für das Vorhaben gibt, müsste Deutschland diese Ausnahmen nicht ermöglichen. Die Entscheidung liegt jeweils bei den nationalen Regierungen.
Die Naturschutzorganisation BUND sieht den Vorschlag der Kommission als Einknicken. Die Behörde zeige, dass sie dem Schutz der Lebensgrundlagen keine Priorität einräume. «Wir fordern darum Cem Özdemir auf, diesen Vorschlag im Rat abzulehnen.» Der FDP-Politiker und Vizepräsident des EU-Parlaments, Jan-Christoph Oetjen, forderte hingegen, die Flächenstilllegung ganz abzuschaffen.
Kommentare (1)