Dienstag, 28. März 2023
11.03.2023 19:55
Niederlande

«Keine Bauern, kein Essen»

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Von: sda/blu

Mehrere tausend Menschen haben in Den Haag gegen geplante Umweltauflagen der holländischen Regierung für die Landwirtschaft, den Stickstoff-Plan,  protestiert. 

Mit Flaggen, Ballons und Spruchbändern waren viele Bauern am Samstag in den Zuiderpark nach Den Haag gezogen.  «Keine Bauern, kein Essen» oder «Stolz auf die Bauern» stand auf den Spruchbändern. Die Bauernorganisation «Farmers Defence Force» hatte zur «grössten Demo aller Zeiten» aufgerufen, rechte Organisationen und populistische Politiker hatten ebenfalls ihre Anhänger mobilisiert.

Auch Klimaschützer protestierten

Nur wenige Kilometer Luftlinie von der Bauern-Demonstration entfernt demonstrierten dagegen rund 3000 Klimaschützer der Aktionsgruppe «Extinction Rebellion» für deutlich strengere Massnahmen beim Klima- und Umweltschutz. Für kurze Zeit besetzten sie einen Autobahnzubringer, sie ketteten sich an und klebten sich am Asphalt fest. Die Polizei räumte die Strasse.

Die Proteste fanden vier Tage vor den Provinzialwahlen am Mittwoch statt. Dann wird nicht nur über die Parlamente der Provinzen entschieden, sondern indirekt auch über die Zusammenstellung der Ersten Kammer des nationalen Parlaments (vergleichbar dem Bundesrat). Nach den Umfragen wird ein starker Rechtsruck erwartet. Der Koalition werden hohe Verluste vorhergesagt.

Mit Bagger Blockade gebrochen

Bei der Bauern-Kundgebung ging es nicht nur um Umweltauflagen. Rechte Parteien riefen zum Widerstand gegen die Regierung auf. Der Rechtspopulist Geert Wilders rief dazu auf, am Mittwoch die Koalition «abzuwählen».

Trotz des Verbotes hatten sich Dutzende von Bauern am frühen Samstagmorgen mit Traktoren auf den Weg gemacht. Sie wurden von der Polizei gestoppt, denn aus Sorge vor Ausschreitungen hatte die Stadt Traktoren verboten und Zufahrtsstrassen und wichtige Kreuzungen mit Militärlastwagen versperrt. Am Demonstrationsgelände aber war dann doch ein Bagger durch die Blockade gebrochen, und es konnten mehrere Lastwagen trotz des Verbots auf den Platz fahren. Eine Person wurde festgenommen.

Die Niederlande sind gemäss der Statistikbehörde CBS der zweitgrösste Exporteur von Agrarprodukten hinter den Vereinigten Staaten. Der Wert der Exporte erreichte 2021 knapp 105 Milliarden Euro (105 Mrd. Fr.). Nach CBS-Daten hat sich einerseits die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe seit dem Jahr 2000 auf 54’000 in etwa halbiert. Der durchschnittliche Viehhalter hält in seinen Ställen über 162 Rinder und damit knapp doppelt so viele wie damals. Bei Schweinen hat sich der Durchschnitt auf 3365 Tiere mehr als verdreifacht. Die Bauern halten rund vier Millionen Rinder, zwölf Millionen Schweine und 100 Millionen Hühner.

3000 Höfe im Visier

Die Eigentümer von rund 3000 Höfen, die in der Nähe von bedrohten Naturgebieten die Böden am meisten belasten, sollen zum Verkauf bewegt werden oder zumindest zur drastischen Reduzierung des Viehbestandes. Aber auch Enteignungen werden nicht ausgeschlossen. «Wir haben keine Wahl», sagte die für Stickstoff-Politik zuständige Ministerin Christianne van der Wal. «Die Natur kann nicht warten.»

Jahrelang wurden die Umweltbelastungen geduldet oder mit Ausnahmeregeln legalisiert, obwohl Grenzwerte überschritten wurden. Immer wieder wurden Schlupflöcher gefunden, um nur nicht die landwirtschaftliche Produktion einzuschränken. Die Regierung taxiert dies heute als Fehler war. Hauptverursacher sind gemäss Regierung Viehbetriebe. 

Die Bauern aber fordern eine Zukunftsperspektive, und sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Sie klagen, in den besonders betroffenen Regionen nahe Naturgebieten werde Viehhaltung kaum mehr möglich sein. Sie büssten unverhältnismässig für die Krise. Der Bauernverband LTO sprach im Sommer 2022 von einem Kahlschlag. Landwirte erhielten viele Jahre lang Anreize, Höfe zu vergrössern – weswegen sie sich jetzt durch Pläne der Regierung getäuscht fühlen, den Viehbestand zu senken. Konkret fordern die Bauern mehr Zeit für die Umstellung der Betriebe. Und sie setzen vor allem auf technische Innovationen.

50 Prozent Reduktion

Der Protest der Bauern richtet sich gegen geplante Umweltauflagen. Denn im Juni 2022 stellte die Regierung in Den Haag den «Stickstoff-Plan» vor. Er sieht im Kern vor, dass die Landwirtschaft ihren Ausstoss an Stickstoffverbindungen bis 2030 um 50 Prozent reduziert. Verärgert hat die Bauern die detaillierte «Stickstoff-Karte» mit einzelnen Regionen, in denen die Gesamtemissionen um 12 Prozent bis hin zu etwa 70 Prozent in der Nähe von Naturgebieten sinken sollen.

In der Nähe von Naturschutzgebieten soll der Ausstoss gar um bis zu 95 Prozent sinken. Die Verantwortung, das durchzusetzen, wird auf die Provinzen abgewälzt. Die drastische Reduktion führt nach Einschätzung der Regierung dazu, dass etwa 30 Prozent der Viehhalter ihren Betrieb aufgeben müssen. 

Das Finanzministeriums hat Mitte Juli berechnet, wie viele Betriebe aufgeben müssten. Das Resultat ist drastisch. Die aktuelle Stickstoffstrategie der Regierung würde dazu führen, dass 11’200 landwirtschaftliche Betriebe ihre Tore für immer schliessen müssten. Weitere 17’600 Landwirte müssten ihren Viehbestand deutlich reduzieren, um ein Drittel auf fast die Hälfte. In Holland gibt es derzeit noch rund 54’000 Betriebe.

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