Damit setze sich die Entwicklung der vergangenen Jahre fort, teilt der Kanton Bern mit. Eine erweiterte Messmethode, die dem klimarobusten Wald stärker Rechnung trägt, akzentuiert dieses Bild zusätzlich. Bei der Betrachtung nach Wildräumen zeichnet sich ein deutlicher Unterschied zwischen dem Osten und dem Westen des Kantons ab: Besonders problematisch ist die Situation in den Regionen Oberaargau, Emmental sowie Interlaken-Oberhasli. Auch im Gebiet westlich der Stadt Bern ist die Lage gemäss Kanton «untragbar».
Kategorie «untragbar nimmt zu»
Über das gesamte Kantonsgebiet betrachtet, fallen die Veränderungen nicht dramatisch aus. Doch das Gutachten zeigt, dass die Kategorie untragbar seit 2015 von 10 auf 15 Prozent zugenommen hat. Demgegenüber haben die Kategorien tragbar und kritisch abgenommen. Berücksichtige man im Gutachten auch den Klimawandel und die Baumartenvielfalt, akzentuiere sich der negative Einfluss der Wildtiere noch.
Von alters her treffen im Wald unterschiedliche Bedürfnisse aufeinander: vereinfacht gesagt möchten die Waldbesitzer möglichst wenig Wildschäden und Jäger genügend Wild in den Wäldern. Der Kanton Bern verfolgt hier seit einigen Jahren einen ganzheitlichen Ansatz, wie Jagdinspektor Niklaus Blatter vor den Medien sagte.
Alle zwei Jahre erstellt das kantonale Amt für Wald und Naturgefahren ein Wildschadengutachten. Es zeigt anhand einer Karte den Einfluss des Wildes auf die Waldverjüngung im Kanton Bern. Die Karte dient als Grundlage für jagdliche und waldbauliche Massnahmen.
Die erweiterte Methode für das Wildschadengutachten deckt ein breiteres Spektrum von Baumarten ab als bisher. «Damit trägt sie den sich durch den Klimawandel verändernden Bedingungen für Bäume und Wälder stärker Rechnung», schreibt der Kanton. Ein breites Baumartenspektrum helfe, die Widerstandsfähigkeit der Wälder gegenüber Stürmen oder Schädlingen zu stärken. Aufgrund des Klimawandels ist von einer Veränderung der Baumartenzusammensetzung wie auch von einer Verschiebung der Waldstandorte und -grenze auszugehen.
Wald und Wild im Gleichgewicht halten
Seit 2019 erstellt der Kanton Bern sogenannte Wald-Wild-Konzepte, wenn dies aufgrund einer vom Bund vorgegebenen Schwelle notwendig ist. Jüngst wurden solche Konzepte für den Raum Oberaargau und den Raum Niederhorn erarbeitet. Ein Konzept für den Raum Giferspitz im Saanenland soll folgen. Ziel sei es, Wald und Wild im Gleichgewicht zu halten, führte Michel Brügger, Leiter Waldabteilung Alpen aus.
Die Verantwortlichen zeigten auf, dass es für ein gesundes Gleichgewicht jagdliche und waldliche Massnahmen braucht. Bei der Jagd hat der Kanton mit der Jagdplanung ein Instrument in der Hand, um den Wildtierbestand zu regeln, allenfalls auch mit einer Schwerpunktbejagung, wo dies die Situation erfordert. Die Jagdziele des Kantons erfüllen die Jäger meist gut.
Die Karte zeigt den Wildtiereinfluss auf die Waldverjüngung auf. Dabei wird unterschieden, ob das Verjüngungsziel erreicht werden kann (tragbar), ob die Erreichung unsicher ist (kritisch) oder ob es nicht erreicht werden kann (untragbar).
Artenreichen Wald als Ziel
Waldbesitzer wiederum können junge Triebe und Bäume vor dem Verbiss schützen, etwa durch Zäune oder mit chemischen Mitteln. Solche Massnahmen sind aber unter Umständen aufwändig im Unterhalt und teuer. Als besonders wichtig erachteten die Forst- und Jagdfachleute am Mittwoch einen klimaresistenten, aus eigener Kraft verjüngten und artenreichen Wald.
Gebe es in einem dunklen, wenig artenreichen Wald nur wenige Jungpflanzen, konzentriere sich das Wild auf sie. Je mehr Jungpflanzen und andere Nahrungsquellen es gebe, je mehr sinke der Druck durch Wildtiere. Nötig seien auch durchlässige Waldränder, die dem Wild ermöglichten, auf Wiesen auszutreten und sich dort auch verstecken zu können.
Ökologische und gesellschaftliche Folgen
Jagdinspektor Niklaus Blatter betonte, dass es bei Wildschäden heute längst nicht mehr einfach um einen wirtschaftlichen Schaden für die Waldbesitzer gehe. Könne sich der Wald nicht mehr aus eigener Kraft verjüngen, habe dies auch ökologische und gesellschaftliche Folgen, etwa wenn Schutzwälder nicht mehr funktionierten oder an den Klimawandel angepasste Baumarten nicht mehr gedeihen können.
Wichtig sei auch, so Blatter, die Landwirtschaft und den Tourismus in die Debatte einzubeziehen. Und Blatter appellierte auch an die Bevölkerung, sich an gängige Anstandsregeln im Wald zu halten, um Wild und Wald zu schützen. Ein Hirsch etwa habe während seiner Winterruhe ein relativ kleines Nahrungsbedürfnis. Werde er aber aufgescheucht und müsse fliehen, werde er aktiviert. Das Tier fresse dann auch mehr, erklärte Blatter.