Weit weg von daheim liegt der Lehrbetrieb von Tamara Bezzola nicht. Zwischen Scuol GR, wo sie das erste Jahr ihrer Ausbildung zur Landwirtin verbringt und ihrem elterlichen Betrieb in Zernez GR liegen gerade mal 27 Kilometer.
Es geht früh los
Trotzdem ist es nicht ihr eigenes Bett, in dem sie schläft, und ist es nicht das bekannte Essen, welches am Mittag auf dem Tisch steht. «Die Lehrmeisterin hat am Anfang zu mir gesagt, Du gehörst jetzt zur Familie», schildert die 17-Jährige. Annina und Giovanni Bott haben drei Kinder, Mia (6), Flurina (4) und den dreijährigen Sandro denen Tamara Bezzola schon sehr ans Herz gewachsen ist.
Am 2. August 2023 hatte die junge Zernezerin und Bauerntochter ihren ersten Arbeitstag. «Ich wollte hierhin. Zu Hause haben wir Mutterkühe, und ich möchte melken», erzählt sie. Auf dem Lehrbetrieb werden aktuell 23 Kühe gemolken. Die Original Braunen, zum Teil gekreuzt mit Brown Swiss, sind beim Gang durch den Stall entspannt am Wiederkäuen. Am Morgen ist um 5.30 Uhr Arbeitsbeginn. Ganz schön früh, findet Tamara Bezzola. Aktuell ist es ihr Job, das Jungvieh zu versorgen, zirka 16 Stück, und bei den Kälbern zu misten und Stroh einzustreuen.
Auf dem Lehrbetrieb werden aktuell 23 Kühe gemolken.
Monika Gerlach
Das Skigebiet ist nah
Dazu braucht es Kraft, und die war am Anfang ihrer Ausbildungszeit noch nicht so vorhanden. «Ich hatte Muskelkater, als ich das Stroh auffüllen musste», sagt sie und lächelt verlegen. Nachdem sie den Nachwuchs versorgt hat und die Kühe von der Lehrmeisterin oder vom Lehrmeister gemolken sind, gibt es um sieben Uhr Frühstück, bevor es danach nochmal zum Misten und zum Futtermischen rausgeht.
Der 36 Hektaren grosse Biobetrieb liegt in den Bergzonen III bis IV auf rund 1300 m.ü.M. Auf dem Weg zum Stall sieht man die Gondeln vorbeiziehen, die die Menschen hoch hinauf ins Skigebiet transportieren. «Jetzt wäre es cool, Ski zu fahren, aber man muss danach auch wieder arbeiten», sagt sie etwas traurig. In diesem Winter ist das Skifahren bei Tamara Bezzola wohl auf die freien Wochenenden beschränkt. Wenn sie während der Arbeitswoche jetzt im Winter nicht so viel zu tun hat, spielt sie lieber mit den drei Kindern des Betriebsleiterpaares.
74 Kilometer bis in Berufsschule
Nach dem Mittagessen geniesst sie ein kurzes «Mittagsschlöfli». Das ist auch nötig, denn, wenn es am Nachmittag um 16 Uhr mit der Arbeit im Stall weitergeht, ist vor 18.30 Uhr meistens nicht Schluss. Jeden Lündeschdi (Montag) muss die Lernende in die Schule. Für sie ist das ein weiter Weg, ganze 74 Kilometer sind es bis zum Plantahof in Landquart. Mit 17 Jahren hat die angehende Landwirtin noch keinen Führerausweis, und so nimmt sie den Zug. In Graubünden gibt es das Bündner Generalabonnement, mit welchem sie unterwegs ist.
Nebst ihr drücken noch 11 weitere «Stifte» in ihrer Klasse die Schulbank, in der Parallelklasse sind es 13, und das eidgenössische Berufsattest wollen 15 junge Leute erlangen. In Graubünden fehlt der landwirtschaftliche Nachwuchs nicht.
Der Lehrbetrieb von Tamara Bezzola, der Biobetrieb von Giovanni und Annina Bott in Scuol GR.
Monika Gerlach
In die Wiege gelegt
Tamara Bezzola kommt von einem Biohof in Zernez mit über 20 Mutterkühen, ein paar Geissen und zwei Eseln. Das Feuer für die Landwirtschaft wurde ihr in die Wiege gelegt, und so wollte sie direkt nach der neunten Klasse die landwirtschaftliche Ausbildung beginnen. Doch ihren Eltern war es wichtig, das sie noch ein Jahr die Schulbank drückt und das Kaufmännische lernt. «Sie hat einen riesigen Satz in der Entwicklung gemacht», erzählt die Mutter Manuela Bezzola-Filli. Auch in jenem Jahr war die Tochter schon nicht mehr so viel zu Hause, denn die Schule war in Schiers GR, zirka eine Stunde mit dem Zug entfernt.
Zu Hause wird Rätoromanisch (Vallader) gesprochen, und in jenem Jahr hat sich das Deutsch der Tochter stark verbessert, und das Selbstbewusstsein ist gewachsen. So ist das erste Lehrjahr in Scuol in einer fremden Familie für Tamara Bezzola gar kein Problem. Das zweite Lehrjahr wird sie auf einem Betrieb in Andeer GR verbringen, und für das dritte und letzte Ausbildungsjahr hat sie sich einen Betrieb in Maienfeld GR ausgesucht. Und danach – das weiss sie auch schon – will sie die Betriebsleiterschule anschliessen.