Der Entscheid hat eine längere Vorgeschichte: Die Zürcher Baudirektion hat dem Projekt für eine Bodenverbesserung in Gossau ZH die Bewilligung verweigert. Grund: Es handelt sich um ein potenzielles Feuchtgebiet, das oft vernässt und wenig Ertrag bringt. Zwei Instanzen haben den Entscheid gestützt. Nun musste das Bundesgericht entscheiden.
Pilotcharakter
Laut der Zürcher Baudirektion hat der vorliegende Fall Pilotcharakter. Parallel zu diesem Verfahren gab die Behörde die Planungshilfe «Beurteilungskriterien für die Bodenaufwertungen zur Erweiterung der landwirtschaftlichen Nutzungseignung» heraus und ermittelte kantonsweit potenzielle Flächen für eine ökologische Aufwertung. Dies geht aus dem am Mittwoch publizierten Urteil des Bundesgerichts hervor.
Deshalb habe die Baudirektion nicht nur den Einzelfall beurteilen, sondern den weiterlaufenden Umsetzungsarbeiten zum Naturschutz-Gesamtkonzept Rechnung tragen müssen. Grundsätzlich standen sich das landwirtschaftliche Interesse an der Bodenaufwertung und Naturschutzinteressen gegenüber.
Bewirtschaftung weiter möglich
Das Bundesgericht entschied entschieden, dass die Verweigerung einer Bewilligung zur Terrainveränderung die aktuelle landwirtschaftliche Nutzung nicht verhindere. Der Boden könne weiter im bisherigen Rahmen bearbeitet werden und der Unterhalt des Drainagesystems hinge nicht vom Schicksal des vorliegend umstrittenen Vorhabens ab.
Daraus folge, dass die Bewilligung der Terrainveränderung für die Interessen des Naturschutzes eine viel gravierendere Beeinträchtigung zur Folge hätte, als die Nichtbewilligung für das öffentliche Interesse an der landwirtschaftlichen Nutzung.
Das Bundesamt für Umwelt hielt in seiner Vernehmlassung fest, auf der Fläche könne mit relativ geringem Aufwand ein historisches Feuchtbiotop wieder hergestellt werden. Dies diene einer Vielzahl bedrohter Arten als Lebensraum. Zudem befänden sich die Parzellen in einer ökologisch sinnvoller Distanz zu bestehenden Schutzgebieten.
(Urteil 1C_398/2022 vom 15.9.2023)
Kanton will mehr Moorflächen
Der Kanton Zürich ist mit rund 30 Hoch- und 127 Flachmooren von nationaler Bedeutung einer der moorreichsten Mittellandkantone, teilte der Kanton Mitte April 2021 mit. Er will nun mehr Feuchtflächen.
So will er nach eigenen Angaben den Biodiversitätsverlust stoppen. «Die Baudirektion des Kantons Zürich hat deshalb als Teil des wissenschaftlich ausgewiesenen Bedarfs an zusätzlichen Moorfächen prioritäre Potenzialfächen von insgesamt 1300 Hektaren für künftige Feuchtgebiete bezeichnet. Sie setzt damit eine Massnahme aus dem 1995 festgesetzten Naturschutz-Gesamtkonzept um», heisst es in einem Infoschreiben der kantonalen Behörde.
Bauern verärgert
Die Landwirtinnen und Landwirte zeigten sich über die Aussagen empört. «Diese sogenannten Prioritären Potentialflächen für Feuchtgebiete (PPF) hat die Fachstelle Naturschutz auf rein theoretischen Grundlagen bestimmt, ohne vorgängig das Gespräch mit Landeigentümern oder Bewirtschaftern zu suchen», hielten sie September 2022 im an einer Pressekonferenz fest.
Die Verwaltung hat gemäss den Bauern damit ein Versprechen gebrochen. Die Behörden hätten eine Freiwilligkeit sowie individuelle Speziallösungen bei starker einzelbetrieblicher Betroffenheit zugesichert. «Zudem sind Entschädigungsansätze bei Vernässungen bis heute ungeklärt», führten sie weiter aus.
«Bestes Ackerland geht verloren»
1300 Hektaren bestes Ackerland werde in Nasswiesen überführt, kritisieren die Landwirte. Marco Pezzatti, Chef des Amts für Landschaft und Natur, spricht im Infoschreiben von rund 400 Hektaren Fruchtfolgeflächen, die in PFF umgewandelt werden. «Dies entspricht nur 0,9 Prozent der 44'575 ha Fruchtfolgeflächen im Kanton Zürich», sagt der Amtsvorsteher.
Die Baudirektion habe im Rahmen der «Strategie drainierte Böden» rund 1825 ha Fläche eruiert, auf denen Bodenaufwertungen mit baulichen Eingriffen möglich seien. Auf den prioritären Potenzialfächen sollen längerfristig Naturschutzziele realisiert werden können, weshalb hier Bodenaufwertungen nicht möglich seien.
Bauern im Kanton Zürich gründeten deshalb die Interessengemeinschaft (IG) Pro Kulturland. Sie hat mehrere Forderungen:
- Freiwilligkeit
- Auf den ausgeschiedenen PPF darf es keine Bewirtschaftungseinschränkungen geben
- Auf eine Ausscheidung von potentiellen Feuchtgebieten in zweiter und dritter Priorität wird verzichtet
- Verbesserungsmassnahmen wie Aufwertungen und Drainagen werden auf den übrigen landwirtschaftlichen Flächen vorangetrieben
- Bewilligungsverfahren erleichtert
Auswahl der Potenzialfächen
Die Auswahl prioritärer Potenzialfächen für Feuchtgebiete erfolgte in mehreren Schritten, schreibt die kantonale Verwaltung. Für das gesamte Kantonsgebiet ermittelte das Amt für Land und Natur (ALN) zuerst mit Faktoren wie Gelände und Bodeneigenschaften das Regenerationspotenzial für Feuchtgebiete. Danach wurden aus ökologischer Sicht (Arten, Vernetzung, Trittsteinfunktion) jene 1300 ha bestimmt, die das grösste Potenzial aufweisen und am meisten zum Aufbau einer ökologischen Infrastruktur beitragen.
Die drainierten Böden erstrecken sich im Kanton über 14’400 ha. Davon sind 5500 ha prinzipiell geeignet, um Feuchtgebiete wiederherzustellen. Die festgelegten 1300 ha Prioritätsfäche umfassen davon weniger als einen Viertel. Vorrangiges Ziel auf den bezeichneten Flächen für Feuchtgebiete ist, deren Regenerationspotenzial zu erhalten. Vorhaben, die dieses Potenzial vermindern, sind nicht mehr zugelassen. Deshalb werden auf diesen Flächen keine Subventionen für Drainagesanierungen und -erneuerungen mehr gewährt.
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