«Es sind die zwei letzten Gemeinden, wo die Ziegen noch wie zu Heidis Zeiten gesömmert werden», erzählt Markus Meuli. Er steht vor seinem Stall mitten im Dorf Nufenen GR, mit Blick auf die noch verschneiten Wälder und Weiden auf der Schattseite des Rheinwalds.
Hinter Nufenen kommt nur noch das Dorf Hinterrhein, bevor man über den San-Bernardino-Pass oder -Tunnel auf die Alpensüdseite gelangt. In diesem Gebiet, direkt hinter den genannten Dörfern, haben seine und die Ziegen von anderen Landwirten von Mitte Mai bis Mitte September praktisch freien Weidegang.
Ob die Ziegen nämlich zur richtigen Zeit bockig werden, hängt viel von der Fütterung während des letzten Winters ab
Acht Kilo Schlachtgewicht
Rund zwei Drittel seiner etwa 40 Milchziegen werden auf den Weiden gedeckt – damit fünf Monate später, jeweils zwischen Anfang und Mitte Januar, die Gitzi geboren werden, die dann wiederum sieben bis acht Wochen später schlachtreif sind. Meuli strebt bei etwa 16 bis 18 Kilo Lebendgewicht 7 bis 8½ Kilo Schlachtgewicht an.
Für Meuli beginnt die Gitzisaison schon lange bevor seine Bündner Strahlenziegen im Spätsommer gedeckt werden. «Ob die Ziegen nämlich zur richtigen Zeit bockig werden, hängt viel von der Fütterung während des letzten Winters ab», ist Meuli überzeugt, denn bei Fütterungsfehlern sei die Fruchtbarkeit schlechter, so der Ziegenbauer. Bei Meuli fressen die Ziegen nur rund zwei Drittel des vorgelegten Futters. «Ziegen müssen auswählen können», sagt er. Der Landwirt ist nicht nur ein leidenschaftlicher Züchter von Bündner Strahlenziegen, sondern auch von Original Braunvieh und melkt nebst seinen 40 Ziegen auch etwa 20 Kühe. Alles, was die Ziegen beziehungsweise auch die Milchkühe nicht gefressen haben und er aus den Futterkrippen ausräumt, reicht für das Jungvieh.
Dank der ausgewogenen Fütterung kann sich Meuli über überdurchschnittlich hohe Milcherträge seiner Ziegen freuen. Ab der dritten Laktation erwartet er mindestens 800 Kilo Milch pro Jahr. Tiere, die diese Leistung nicht erbringen, merzt der Bauer aus, und das Fleisch wird zu Trockenfleisch und Salsiz verarbeitet. Diese Produkte seien so gefragt, dass er davon nie genug habe, so Meili.
Als typische Berglerin sei die Bündner Strahlenziege äusserst robust und widerstandsfähig. Auf der Suche nach Weideplätzen legt sie oft lange Märsche und knifflige Kletterpartien zurück.
Thomas Schwenter
Fahrt ins Unterengadin
Für die Vermarktung seiner Gitzi ist Meuli froh um das Projekt Bündner Bioberggitzi , das vor drei Jahren mit Coop und dem Bündner Ziegenzuchtverband lanciert wurde. Dafür nimmt er auch den Aufwand in Kauf, seine Gitzi einmal pro Saison selbst in einem Anhänger ins Unterengadin zu fahren, weil die für diesen Kanal vorgesehenen Gitzi nur von der Metzgerei Zanetti in Ramosch GR geschlachtet werden.
Um innert sieben bis acht Wochen das ideale Schlachtgewicht zu erreichen, legt Meuli grossen Wert darauf, seine Gitzi selbst zu tränken – also ohne einen Tränkeautomaten. Wenngleich er betont, dass dafür genau genommen Ehefrau Erika zuständig ist, stellt er gleichzeitig klar, dass auch er beim Tränken stets dabei sei, um die Gitzi zu beobachten. So sehe man gleich, wenn ein Gitzi nicht sauge und könne sich umgehend darum kümmern. Gitzi seien zwar meist schnell wieder gesund, würden aber nicht selten genauso schnell krank, weshalb das aufmerksame Beobachten für ihn sehr zentral sei, sagt der Bauer.
Mast mit Kuhmilch
Die ersten zehn Tage bekommen seine Gitzi reine Ziegenmilch. Dann beginnt er, die Ziegenmilch langsam durch Kuhmilch zu ersetzen, weil die Ziegenmilch bis zu 45 Rappen teurer ist.
Meili hat Freude an seinen Tieren. Besonders auch an den Gitzi. Es gebe keine anderen Tiere, die so lebendig, neugierig und kletterfreudig seien wie sie, sagt er.
Coop-BioBerggitzi
Das vor drei Jahren von der Coop Patenschaft für Berggebiete in enger Zusammenarbeit mit Ziegenzüchtern und dem Plantahof lancierte Projekt «Pro Montagna»-Bioberggitzi aus den Bündner Bergen entwickelt sich erfolgreich. So sollen dieses Jahr rund 250 «Pro Montagna»-Gitzi geschlachtet werden. Das entspricht rund 1’750 Kilo Gitzifleisch oder etwa zehn Prozent des von Coop verkauften Gitzifleischs. Der Produzentenpreis beträgt derzeit 20.80 Fr./kg SG, Abzüge gibt es keine. Allerdings werden die Gitzi nur angenommen, wenn die Anforderungen an die Qualität und das Schlachtgewicht erfüllt sind.
Dadurch kostet ein Mischpaket bei Coop, das aus Gigot, Ragout und Doppelkoteletten besteht und damit einem halben Gitzi entspricht, 125 Franken. Angeblich ist es ein Geheimtipp unter Spitzengastronomen und Hobbyköchen. Für Bruno Cabernard von der Coop Patenschaft für Berggebiete, der das Projekt mitinitiiert hat, schliesst sich mit dem Bioberggitzi ein Kreislauf. Cabernard: «Wenn Coop Ziegenkäse verkauft, müssen wir auch die Gitzi zum Verkauf anbieten, weil es ohne Geburten keine Milch für die Käseproduktion gibt.» czb