Im Kanton Graubünden wurden bis am 4. August 61 Wolfsangriffe gezählt. Die Raubtiere haben insgesamt 243 Nutztiere getötet, darunter ein Lama sowie zwei Mutterkühe. Bauern in Untervaz GR haben ihren Kühen beim Alpabzug einen schwarzen Trauerflor umgebunden. Sie wollen die Bevölkerung zum Nachdenken anregen. Ein Bericht von Erica Hartmann.
Es ist unsere Tradition das Alp Vieh nach einem langen Sommer geschmückt zurück ins Tal zu treiben. In Stunden langer Arbeit werden die Blumengestecke mit viel Liebe zum Detail hergerichtet.
Der Tag des Alpabzugs bringt Hirten, Bauern und die Bevölkerung für einmal einander näher. Mit Stolz trägt das Vieh die allerschönsten Glocken und Trichlen. Eine Tradition die nicht nur Heimatgefühle auslöst. Auch Emotionen, und die Freude darüber, der gesund zurückkehrenden Kühen, Ziegen oder Schafe nach einem langen Sommer. Doch diese Kühe hier setzen still ein Zeichen. Auch dies ist ein Zeichen von grossen Emotionen, jedoch auch Wut und Hass.
Sie alle tragen ein schwarzes Band um den Bauch. Ein Trauerband. Das klingt etwas merkwürdig, da ein Alpabzug etwas Schönes und Freudiges repräsentiert. Aber das idyllische Alpdasein wird von dunklen Wolken überschattet. Nach und nach nehmen die Übergriffe von Wölfen auf unsere Nutztiere zu. Und all die Massnahmen, die getroffen werden, nützen nichts. Aufwändige Zäune, Blinklampen, Herdeschutzhunde, all das hält den Wolf von unseren Tieren auch nicht fern.
Natürlich kommen jedes Jahr auf den Alpen Tiere ums Leben. Sei es durch Blitz oder Steinschlag. Was sich nicht vermeiden lässt, das kann jedoch nicht verglichen werden. Der Wolf hetzt die Tiere in den Tod oder zerfleischt sie bei lebendigem Leibe. Im Blutrausch wird wahllos getötet, die überlebenden Tiere sind lebenslänglich traumatisiert. Die Anzahl solcher Wolfsmassaker auf unseren Alpen nimmt rasant zu. Landwirte und Hirten müssen dieses Leid immer öfters ertragen. Sie sind psychisch und physisch am Ende ihrer Kräfte.
Die heutige Bevölkerung ist zu weit von der Landwirtschaft entfernt, um die Wichtigkeit der Alpnutzung und die Bindung zu den Tieren zu verstehen. Unsere Tiere sind für uns nicht nur Fleisch oder Milchlieferanten. Sie werden in unseren Ställen geboren, manchmal gar unter Mithilfe des Bauern. Werden aufgezogen, gepflegt und gehegt. Dank dem Schweizer Tierschutzgesetz, das wohl das Strengste weltweit ist, hat jedes unserer Tiere genügend Futter, frisches Wasser, wenn nötig medizinische Unterstützung und genügend Platz. Wieviel Platz eine Tiergattung im Minimum zur Verfügung haben muss, ist genau festgeschrieben. Das ist Tierschutz.
Doch bei den Wölfen ist die Anzahl Tiere für die Fläche längst überschritten. Wo bleibt da der Tierschutz? Der Wolf an und für sich macht nur was in seiner Natur ist. Er jagt, leider nicht nur für den Hunger. Der Wolf ist ein sehr intelligentes Tier. Auch wenn es dafür nicht viel Intelligenz benötigt, hat er längst entdeckt, dass es viel einfacher ist, gut genährte, eingezäunte Nutztiere zu reissen, als im Unterholz ein Reh zu jagen. Die Rechnung des Forstes ist nicht aufgegangen, das mit dem Einzug der Wölfe die Hirsche und Rehe reduziert werden, um Wildverbiss zu minimieren. Das Leid tragen die Landwirte und ihre Tiere.
Erica Hartmann
Was dem grossen Teil der Bevölkerung ebenfalls nicht bewusst ist, welche Wichtigkeit das Abweiden von Alpen ist. Die Hege und Pflege der Alpen, aber auch der Wiesen und Weiden in den Siedlungsgebieten, erhalten nicht nur eine Vielfalt von Kleinlebewesen, Pflanzenvielfalt und Organismen, sie schützen uns auch vor Lawinen und Erosionen. Der Bauer ist nicht nur der Ernährer der Bevölkerung, er ist auch der Landschaftspfleger unserer schönen Natur. Biodiversität und Kultur werden durch ihn erhalten. Dem müssen wir Sorge tragen. Es darf doch nicht sein, dass ein nicht grundlos ausgerottetes Tier leben und Existenzen vernichten darf und das ohne Konsequenzen.
Wir leben in einem dichtbesiedelten Gebiet. Die kleine Schweiz ist nun mal nicht Kanada mit unendlichen, menschenleeren Gebieten. Und nur weil auf Bildern die Bergregionen dunkel aussehen, heisst das nicht, das dort niemand wohnt. Menschen, die tagsüber arbeiten, sind am Abend müde und Schlafen in der Nacht, dazu benötigen sie kein Licht.
Mit dieser stillen Geste soll ein Zeichen gesetzt werden, ohne Provokation. In der Hoffnung das sich die Bevölkerung Gedanken darüber macht, wie die Situation für Betroffene und deren Tiere ist. Mit diesem schwarzen Band gedenken die Kühe an ihren Artgenossen und anderen Tiergattungen, die den Sommer nicht wie sie mit einem Alpabzug abschliessen können.
Es sind keine Kuscheltiere, sondern Nutzvieh und somit auch kein Lebendfutter für irgend welche wild gewordenen Bestien.