In der Westschweiz könnten bis zu 70 % der Weinberge in den nächsten fünf Jahren verschwinden, so schätzt die Winzervereinigung «Les raisins de la colère». (Symbolbild)
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In vielen Schweizer Weinregionen sind die Trauben inzwischen geerntet. So auch im Waadtland, dem zweitgrössten Weinbaukanton nach dem Wallis. Doch selbst wenn der Jahrgang des letzten Jahres schwach ausfiel, sind die Tanks noch gefüllt von den zwei guten Vorjahren.
So auch bei Claude Blanchard in Bougy-Villars (VD): Er hat den Betrieb vor einem Jahr von seinem Vater übernommen und muss nun ausserhalb des Kellers Tanks aufstellen, um den Saft zu lagern. Normalerweise würden sich im Frühling Grosskellereien melden, um ihr Interesse an der nächsten Ernte anzumelden. In diesem Jahr sei der Anruf jedoch ausgeblieben, wie der Jungwinzer kürzlich dem «Bund» erzählte.
Mit dem Traktor nach Bern
«Es gibt viele Winzer, die bald im Traktor nach Bern fahren wollen. Ich verstehe sie», sagt Blanchard. Er selbst aber bleibe lieber im Keller, statt zu demonstrieren. Trotzdem: «Ich schlafe öfter schlecht», verrät der 25-jährige Winzer der Zeitung.
Besonders die Winzervereinigung «Les raisins de la colère» («Trauben des Zorns») schlägt Alarm ob der Situation in den Westschweizer Kellereien. Im Juli trafen sich rund 150 Winzerinnen und Winzer aus Waadt, Genf und Wallis zu einer ausserordentlichen Runde in Gilly (VD), um auf die Lage aufmerksam zu machen.
Düstere Zukunft
Alexandre Fischer, Winzer im Lavaux und Gründer der Gruppe, kritisiert beim Anlass gegenüber RTS: «Wir haben deutlich höhere Kosten. Es gibt heute Weine, die zu 0,40 Euro (37 Rp.) pro Liter in die Schweiz kommen. Der Detailhandel macht mit diesen Billigweinen höhere Margen als mit Schweizer Weinen.»
Auch Xavier Challandes, Winzer im Wallis, meldete im Beitrag Sorgen über seine Zukunft: «Ich lasse mir noch ein paar Monate zur Überlegung, aber vielleicht gehe ich in einen anderen Beruf, weniger anstrengend und mit fixem Einkommen. Man weiss, dass wir eine Zukunft haben, aber aktuell ist sie sehr düster.» Laut RTS waren am Anlass kaum Deutschschweizer Winzer und Winzerinnen anzutreffen.
Ab Weingut verkauft
Das liegt auch daran, dass die Deutschschweizer gemäss Martin Wiederkehr, dem Präsidenten des Branchenverbands Deutschschweizer Wein (BDW), weniger vom Konsumrückgang betroffen sind. Er führt dies auf die Vermarktungsstruktur zurück: «Über zwei Drittel der Deutschschweizer Weine werden direkt ab Weingut verkauft», erklärte Wiederkehr gegenüber dem «Schweizer Bauer».
In der Westschweiz könnten bis zu 70 % der Weinberge in den nächsten fünf Jahren verschwinden, so schätzt die Winzervereinigung «Les raisins de la colère». Branchenkreise sprechen von einem Drittel der Winzer, denen der Konkurs drohe. Auch Blanchard kennt Kollegen, die bereits aufgeben mussten, wie er gegenüber dem «Bund» verriet.
Auch die Politik warnt
Die Weinbranche ist in der Westschweiz politisch gut vernetzt, das auch darum, weil dort rund 73 Prozent der Schweizer Rebflächen liegen. Politiker wie FDP-Fraktionschef Damien Cottier, Präsident des Schweizerischen Weinbauernverbands, und Mitte-Präsident Philippe Bregy, Leiter des Verbands Schweizer Reben und Weine, setzen sich für die Branche ein. Auch Landwirtschaftsminister und Ex-Winzer Guy Parmelin ist involviert.
Die politische Vernetzung zeigt Wirkung, wie der «Bund» berichtet: Im August traf sich eine Arbeitsgruppe der Branchenvertreter mit dem zuständigen Bundesrat. Das Ziel sei klar: Die Branche will Importbeschränkungen für ausländische Konkurrenz, etwa dass für jeden importierten Liter Wein ein Liter Schweizer Wein abgesetzt werden muss.
Kantone greifen ein
In der Waadt arbeitet man an einem Massnahmenpaket, der Kanton Wallis investiert in den nächsten 15 Jahren rund 170 Millionen Franken, u. a. zinslose Darlehen und Genf bietet Direktzuschüsse für Weinkäufe in der Gastronomie und Prämien für die Rodung ungeeigneter Rebanlagen.
Auch Blanchard denkt laut dem Bericht im «Bund» darüber nach, wenig ertragreiche Parzellen aufzugeben, will aber vor allem den Direktverkauf seines Weins ausbauen. Letztes Jahr hat er mit der Schaumweinproduktion in Flaschengärung begonnen, «weil das im Markt ankommt». Zudem möchte er mehr Deutschschweizer Kundschaft erreichen: «Wer die Genfersee-Weinberge bewundert, soll beim nächsten Vorbeifahren kurz anhalten, einen Apéro nehmen und etwas Wein kaufen.»