«Iistiige bitte», tönt es aus dem Lautsprecher. Die Seilbahn aufs Haldi fährt los – mit einem illustren Publikum. Ein junger Mann mit Schlafmatte und Rucksack. Eine Frau mit Pudel. Zwei thailändische Touristinnen. Und eine Einheimische mit ihrem Sohn. Alle stehen sie in der kleinen Kabine, die sie auf die Urner Sonnenterrasse bringt, einen der magischsten Orte der Innerschweiz. Hier, auf 1080 bis 1500 Metern über Meer, mit Blick aufs Reusstal und auf den Urnersee, lässt sich durchatmen. «Die meisten sind hin und weg, wenn sie dieses Panorama sehen», sagt Nadine Bless.
Aussicht vom Haldi.
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Von Zürich aufs Haldi
Sie selbst lebt seit 18 Jahren hier oben. Man kennt sich, man grüsst sich. Und trotzdem war sie einst die Fremde hier. Bless ist aus Zürich. Von der Stadt hatte sie aber schnell einmal genug. Bereits nach der Matura zog sie ins Tessin, wo sie bei einer Bauernfamilie arbeitete. Dort entdeckte sie ihre Faszination für Ziegen. Irgendwann fand sie aufs Haldi – und begegnete Olivia Wiederkehr. Heute bieten die beiden unter dem Namen «Shavina Auszeit mit Tieren» Ausritte und Ziegentrekkings in die Urner Berge an, züchten New-Forest-Ponys, bringen auf ihrem Hof auch Tiere und Menschen mit Beeinträchtigung zusammen.
Nadine Bless in der Ziegenweide.
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Betrieb im Tal
Mit der Seilbahn oben angekommen, geht es im Minibus von Nadine Bless weiter. Auf dem Haldi leben etwa 270 Einwohner, es gibt nebst vielen Höfen auch einen Skilift, einige Wanderwege und natürlich viel Weidelandschaft. Politisch gehört das Haldi zu zwei Gemeinden – Schattdorf und Bürglen.
Erster Halt: die Ziegenweide. Zwei junge und drei ausgewachsene Geissen begrüssen uns. Die Tiere sind sehr zutraulich. Nicht alle Geissen eignen sich für Touren mit Familien. «Sie müssen ausgeglichen sein und Freude am Zusammensein mit Menschen haben», sagt Bless. Etwa 40 Gruppen, Familien oder auch Schulklassen empfangen sie und die Ziegen pro Saison. Die Routen fürs Trekking plant sie meist nicht gross im Voraus, nach all den Jahren hier oben kennt sie die Wege in- und auswendig und entscheidet spontan, welche Runde sich am besten eignet. Die ersten fünf Minuten seien oft ein bisschen turbulent: Die Ziegen und ihre Mitläufer müssten sich erst einmal aneinander gewöhnen. Nach drei Stunden auf Wanderschaft aber seien Ängste und Unruhen immer verflogen.
Olivia Wiederkehr mit Tochter Laura bei den Pferden.
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Es geht weiter zur Pferdeweide. Auch Olivia Wiederkehr mit ihrer Tochter Laura ist dabei. Wiederkehr hat es vor zehn Jahren in diese Region verschlagen. Gemeinsam mit Kari, Lauras Vater, führte sie während einiger Jahre einen Bauernbetrieb. Als sich die beiden trennten, erwarb sie als Bäuerin mit Fachausweis einen Hof in Silenen, im Urner Talboden. Der Betrieb umfasst nebst durchschnittlich zehn Pferden eine Hektare Land und etwas Pachtland, das sie zum Bezug von Direktzahlungen berechtigt. Ein paar der Pferde sind im Sommer auf dem Haldi oder auf der Alp. Die Zuständigkeiten haben die beiden Frauen klar aufgeteilt. Wiederkehr schaut zum Hof und zu den Pferden in Silenen, Bless versorgt die Tiere auf dem Haldi.
Individuell und einmalig
Die drei Pferde auf dem Haldi – ein Araber und zwei New Forest Ponys – stehen auf dem Land von befreundeten Bauern. Heute dürfen sie eine Weide abgrasen, auf der vorher Kälber frassen. Wie die Ziegen sind auch die Pferde äusserst zutraulich, der Umgang mit vielen verschiedenen Menschen ist ihnen anzumerken. Die fünfjährige Laura steht unbekümmert zwischen den grossen Pferden und streichelt sie.
Auf Karis Alp: Hier können Gäste im Tipi übernachten.
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Olivia Wiederkehrs Pferdetouren im Berggebiet sind in der Innerschweiz einzigartig – entsprechend beliebt ist das Angebot. Von Frühling bis Herbst ist sie mit ihren Pferden an zwei bis drei Wochenenden pro Monat unterwegs. Die Ausritte sind und sollen persönlich bleiben, mehr als vier bis sechs Leute nimmt sie in der Regel daher nicht mit. «So kann ich mich besser auf die einzelnen Reiter einlassen und ihren Bedürfnissen gerecht werden», sagt Wiederkehr. Reitanfänger führt sie am Strick durch die Landschaft. Wer mehr Erfahrung hat, kann selbstständig reiten.
Das Geheimnis für den Erfolg der beiden Frauen ist Individualität. Auf ihrer Website findet man zwar Tourenbeschriebe, doch: «Wer Lust hat, tritt mit uns in Kontakt, und wir stellen etwas exklusiv für diese Gruppe zusammen», erklärt Bless. Ein Picknick mit regionalen Produkten während eines Ziegentrekkings. Oder eine Nacht im Tipi auf Karis Alp auf einer Tour mit den Pferden – die Auszeit auf der Urner Sonnenterasse hilft Alltagsstress hinter sich zu lassen.