Am 5. März begehen die USA den Tag des Absinth. Kuriose Thementage sind in den Vereinigten Staaten eine junge, aber heiss geliebte Tradition - vom «Umarm-den-Briefträger-Tag» bis zum «Geh-im-Pyjama-zur-Arbeit-Tag». Aber wie kam ein Schweizer Schnaps zu dieser Ehre?
Noch dazu einer, der angeblich blind, blöd und blutrünstig macht? Der den Maler Van Gogh dazu getrieben haben soll, sein Ohr abzusäbeln? Und einen Familienvater dazu, seine Babys zu erschiessen? Ein vermeintlich giftiger Hochprozentiger, der 100 Jahre lang verboten war?
Nur im kleinen Val de Travers im Neuenburger Jura, wo der Heilkräuter-Schnaps mit dem Kosenamen «Grüne Fee» im 18. Jahrhundert erfunden worden war, wurde er auch nach dem Verbot von 1910 unverdrossen gebraut, gehandelt und getrunken.
Ovomaltine war Codewort
Als an der legendären Schwarzbrennerin Berthe Zurbuchen in den 1960er Jahren ein Exempel statuiert und sie zu 3000 Franken Busse verurteilt wurde, fragte sie den Richter, ob sie gleich bezahlen solle? Oder ob sie ihm das Geld geben könne, wenn er nächstes Mal sein «Fläschli» abholte?
Während der Absinth-Prohibition 1910-2005 wunderten sich Touristen manchmal, dass im Val de Travers in Beizen so viel Ovomaltine getrunken wurde. In einer Gegend, die für Kräuterschnaps bekannt war, schien Malzmilch nicht gerade das Getränk der Wahl. Was die Fremden nicht wussten: Die weissen Ovomaltine-Becher cachierten die Grüne Fee, «Ovomaltine» war einer der Codes für «Absinth».
Teuflisches Thujon
Das nach der Volksabstimmung 1908 in der Verfassung verankerte Absinthverbot wurde in der Schweiz erst 2005 aufgehoben. In den USA und anderen Ländern war die «Grüne Fee» schon in den 1990ern wieder erlaubt. Denn 1991 war nachgewiesen worden, dass das Nervengift Thujon im Absinth nur in geringer Menge vorhanden ist, zu wenig, um psychoaktiv zu wirken.
Thujon war der Steigbügelhalter für den Rufmord am Absinth gewesen. In Generalverdacht geriet die Substanz, nachdem am 28. August 1905 der Arbeiter Jean Lanfray in Commugny VD nach zwei Gläsern Absinth seine schwangere Frau und die 2- und 4-jährigen Töchterchen Rose und Blanche erschossen hatte. Lanfray hatte vor dem Absinth vorgeglüht und sieben Glas Wein, sechs Cognac, zwei Kafi-Schnaps und zwei Crème de Menthe gekippt.
Komasaufen war damals in der Arbeiterklasse verbreitet. Da Absinth - namentlich der gefälschte - ein preisgünstiger Alkohol war, entstand der Absinthismus als Sonderform des Alkoholismus'. Hirnschäden und Blindheit waren dafür charakteristisch.
Dies war vor allem dem Industriealkohol zuzuschreiben, mit dem geldgierige Schnapsbrenner - welche sich nicht an die strengen Produktionsstandards des Val de Travers hielten - ihre Absinth-Fälschungen panschten.
Eigentlich sehr gesund
Der schlechte Ruf des Absinth war auch den Kupferverbindungen zu verdanken, mit denen minderwertige Schnäpse eingefärbt wurden. Der Original-Absinth erhält seine grüne Farbe durch eine zweite Mazeration, bei der das Chlorophyll aus den Pflanzen gelöst wird. Kupfer war wie Methanol eine billige, aber äusserst schädliche Alternative.
Dabei enthält echter Absinth lauter gesunde Sachen: Wermut, Fenchel, Engelwurz und Zitronemelisse sind gut für Magen und Darm, Anis wirkt schleimlösend bei Husten, Ysop entzündungshemmend. Erfunden haben soll den Absinth der in Couvet im Val de Travers praktizierende französische Arzt Dr. Pierre Ordinaire. Aber man geht heute davon aus, dass er das Rezept der ortsansässigen Henriette Hesiod abkaufte.
Absinth war ursprünglich nicht dazu gedacht, sich einen auf die Lampe zu giessen, sondern um gesund zu bleiben. Französische Soldaten in Algerien bekamen täglich ihre Ration Absinth zur Vorbeugung gegen Verdauungsprobleme und Infektionen. Das Allheilmittel schmeckte ihnen und sie brachten es in ihre Heimat. Ende des 19. Jahrhunderts konsumierten 90 Prozent der Franzosen Absinth.
Johnny Depp machte Absinth-Werbung
Ein Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Alkoholen war neben der Farbe das Trinkritual: Auf Pariser Kneipentischen standen zur «grünen Stunde» hübsche Glasfontänen mit kleinen Wasserhähnen, aus denen man Eiswasser ins Getränk tröpfeln liess, das sich dadurch «louche», milchig färbte. Auf dem Weg ins Glas floss das Wasser durch ein Stück Würfelzucker hindurch, das auf einem kunstvoll gelochten Löffel lag.
Anders als viele meinen, ist das sogenannte «böhmische Trinkritual», bei dem der mit Schnaps getränkte Zucker angezündet wird und dann caramelisiert ins Getränk fällt, nicht traditionell. Die Methode wurde in den 1990er Jahren von tschechischen Schnapsbrennern in Londoner Szenelokalen eingeführt, um den bitteren Geschmack von minderwertigem Pseudo-Absinth zu übertünchen.
Bekannt machte das Feuerritual Johnny Depp im Film «From Hell». Ein weiteres filmisches Denkmal setzte dem Absinth Kylie Minogue als leicht geschürzte grüne Fee im Film «Moulin Rouge».
Die Kunst hatte dem Absinth von jeher Gratis-Reklame beschert, nach der sich heutige Werber die Finger lecken würden: Paul Gauguin, Vincent van Gogh, Henri de Toulouse-Lautrec, Picasso und auch Albert Anker malten Absinthtrinker. Und Charles Baudelaire, Ernest Hemingway, Arthur Rimbaud und Oscar Wilde besangen den inspirierenden Zauber des Absinthrauschs.
Futterneid der Winzerbranche
Doch Absinth hatte auch mächtige Feinde. Nicht nur die Frauenvereine, welche den grassierenden Arbeiter-Alkoholismus bekämpften, sondern vor allem die Winzer, deren Weine der Absinth konkurrenzierte. In den USA wurde die Feindschaft noch verschärft durch einen Rebenschädling, welcher den Wein empfindlich verteuerte.
Heute ist der charakteristisch prickelnde Absinth wieder ein Trendgetränk. Fans behaupten, er beflügele die Kreativität. Unter dem Einfluss von Absinth fühlt sich manch einer wie ein kleiner Oscar Wilde, wie ein verhinderter Van Gogh. Wunschdenken?