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«Rund 68 Millionen Tiere können nie nach draussen»

Nur jedes siebte Nutztier in der Schweiz sieht regelmässig den Himmel. Die neue Auslauf-Initiative will das ändern – und den Zugang ins Freie zum Standard machen. Naomi Rey, Co-Kampagnenleitung, nimmt Stellung zu der kritischen Stellungnahme des «Schweizer Bauernverbandes».

Anja Tschannen |

«Schweizer Bauer»: Können Sie kurz erklären, worum es bei der Auslauf-Initiative genau geht?

Naomi Rey: Die Auslauf-Initiative fordert, dass alle landwirtschaftlich gehaltenen Tiere regelmässig ins Freie gelangen, um ihren Grundbedürfnissen nach Bewegung und frischer Luft nachzukommen . Die Umsetzung soll sozialverträglich erfolgen, und auch Importe sollen denselben Standards entsprechen. Ziel ist eine Landwirtschaft, die den Tieren gerecht wird.

Weshalb braucht es Ihrer Meinung nach eine solche Initiative in der Schweiz?

In der Schweiz gelangen nur rund 15 % der Tiere regelmässig ins Freie, was für viele überraschend ist. Die Initiative ist nötig, um der kollektiven Erwartung an eine tiergerechte Landwirtschaft gerecht zu werden.

Drei Jahre nach der klaren Ablehnung der Massentierhaltungsinitiative durch Volk und Kantone eine neue Tierhaltungsinitiative zu lancieren, erachtet der «Schweizer Bauernverband» als fehlenden Respekt vor dem Volkswillen. Was sagen Sie dazu?

Die Auslauf-Initiative verfolgt ein anderes Ziel als die Initiative gegen Massentierhaltung. Es geht einzig um den regelmässigen Auslauf der Tiere, nicht um weitere Bereiche wie Futter, Schlachtung oder Transport. Die Ablehnung der vorherigen Initiative bedeutet also nicht automatisch, dass das Anliegen Auslauf abgelehnt wurde. Im Gegenteil, laut einer Nachbefragung war Auslauf die am breitesten unterstützte Forderung.

Der SBV schreibt in einer Stellungnahme: «Die Schweiz hat eines der strengsten Tierschutzgesetze der Welt. Es besteht zudem ein grosses Angebot an tierischen Lebensmitteln aus der Labelproduktion mit Anforderungen, die über den bereits guten gesetzlichen Standard hinausgehen, inklusive den von der Initiative geforderten Auslauf ins Freie.»

Das Bild, das der SBV zeichnet, stimmt nur teilweise: Zwar gibt es strenge gesetzliche Vorgaben und zahlreiche Labelangebote, tatsächlich können rund 68 Millionen Tiere in der Schweiz nie nach draussen. Deshalb dürfen wir uns die Frage stellen: Was ist es uns Wert, unserem Selbstbild tatsächlich zu entsprechen

«Die Initiative setzt deshalb auf einen verbindlichen Mindeststandard, der gesetzlich verankert ist. So wird sichergestellt, dass tiergerechte Haltung nicht von wechselnden Marktbedingungen oder Konsument:innenpräferenzen abhängt.»

Naomi Rey

Laut dem SBV fehlt aktuell «die ausreichende Nachfrage nach Lebensmitteln, die aus besonders tierfreundlicher Haltung stammen. Der Wurm steckt also nicht in der Produktion, sondern im Konsum. Die Initiative setzt folglich am falschen Ort an». 

Tierwohl lässt sich auf zwei Wegen stärken: über freiwillige Marktinitiativen oder über verbindliche politische Regeln. Wir wählen den politischen Weg. Freiwillige Labels funktionieren nur bedingt, da Anreize und Transparenz oft fehlen und Standards stark variieren. Die Konsumierenden finden sich im Labeljungel oft nicht zurecht. Die Initiative setzt deshalb auf einen verbindlichen Mindeststandard, der gesetzlich verankert ist. So wird sichergestellt, dass tiergerechte Haltung nicht von wechselnden Marktbedingungen oder Konsument:innenpräferenzen abhängt.

Was unterscheidet diese Initiative von bisherigen Tierschutzprogrammen wie RAUS?

Der zentrale Unterschied liegt darin, dass die Initiative einen verbindlichen Mindeststandard schafft, während Programme wie RAUS freiwillig sind. Sie verankert den Auslauf gesetzlich, statt auf freiwillige Umsetzung zu setzen, wodurch Verwässerungen vermieden werden.

Wie soll der verpflichtende Auslauf für alle Nutztiere praktisch umgesetzt werden?

Die Initiative als allgemeine Anregung gibt einen allgemeinen Rahmen vor, die konkrete Umsetzung liegt bei der Bundesversammlung. Unsere Vorstellung ist, dass der Auslauf an die Bedürfnisse der Tiere und die örtlichen Gegebenheiten angepasst wird. Wichtig sind eine sozialverträgliche Umsetzung, realistische Übergangsfristen und finanzielle Unterstützung der Betriebe.

«Bei Masthühnern haben bisher rund 90 % keinen Auslauf, bei Schweinen etwa 50 %.»

Naomi Rey

Gibt es bestimmte Tierarten oder Haltungsformen, bei denen die Umsetzung besonders herausfordernd ist?

Besonders herausfordernd wäre die Umsetzung bei Masthühnern und Schweinen. Bei Masthühnern haben bisher rund 90 % keinen Auslauf, bei Schweinen etwa 50 %.Die Initiative ist als «Allgemeine Anregung» formuliert.

Welche Vorteile sehen Sie in dieser eher offenen Form gegenüber einer konkreten Gesetzesformulierung?

Die offene Form fördert den Dialog, da das Volk die Richtung vorgibt und die Politik die Details ausarbeiten kann. So werden die Grundbedürfnisse der Tiere abgedeckt, Übergänge können schrittweise erfolgen und notwendige Anpassungen finanziell unterstützt werden.

Welche wissenschaftlichen oder praktischen Erkenntnisse belegen den Nutzen von regelmässigem Auslauf für Nutztiere?

Regelmässiger Auslauf wirkt sich sowohl physisch als auch psychisch positiv auf Tiere aus. Tiere, die Zugang ins Freie haben, sind gesünder, zeigen normales Sozialverhalten und können artgerechten Kontakt zu Artgenossen pflegen. Der Nutzen ist zudem leicht nachvollziehbar, da er auch für uns Menschen intuitiv einleuchtet.

«Entscheidend ist, welchen Wert wir einer tiergerechten Landwirtschaft beimessen und welchen Preis wir als Gesellschaft bereit sind zu tragen.»

Naomi Rey

Wie reagieren Sie auf Kritik, dass solche Regelungen die Produktionskosten für Landwirt:innen erhöhen könnten?

Die grössten Produktionskosten für echten Auslauf entstehen bei der Umstellung der Betriebe. Deshalb fordern wir dort klare Unterstützung vom Bund – etwa durch finanzielle Hilfen und fachliche Beratung. Gleichzeitig existieren heute versteckte Kosten, etwa durch Antibiotikaresistenzen, die nicht im Preis enthalten sind. Entscheidend ist, welchen Wert wir einer tiergerechten Landwirtschaft beimessen und welchen Preis wir als Gesellschaft bereit sind zu tragen. Solange sich daran nichts ändert, bleiben es die Tiere, die den Preis bezahlen

Was würden Sie Landwirt:innen sagen, die befürchten, die Initiative sei nicht praxisnah?

Die Initiative gibt lediglich den Rahmen vor und überlässt die konkrete Umsetzung dem Bund, wodurch sie praxisnah und dialogoffen bleibt. Sozialverträglichkeit ist im Text verankert, und es geht darum, ein Zeichen für eine tiergerechte Landwirtschaft zu setzen, ohne den Betrieben Vorgaben aufzuzwingen. So kann die Schweiz ihrem Selbstbild gerecht werden und stolz auf ihre Landwirtschaft sein.Es wird befürchtet, dass das RAUS-Programm abgeschwächt werden könnte.

Wie reagiert Ihre Initiative auf diese politische Entwicklung?

Der Initiativtext ist verbindlich und final, sodass eine Abschwächung wie beim RAUS-Programm vermieden wird. Gerade weil freiwillige Programme verwässert werden können, ist ein gesetzlicher Mindeststandard wichtiger denn je – das zeigt die Notwendigkeit der Initiative.

«Tierwohl ist zwar vielen Menschen wichtig, rückt aber oft in den Hintergrund, wenn andere Themen dominieren.»

Naomi Rey

Welche Chancen sehen Sie, dass das Parlament die Initiative annimmt, und wie gehen Sie mit einem möglichen Widerstand um?

Es ist schwer vorherzusagen, wie das Parlament entscheidet, da die Initiative eine spezielle Form hat. Durch diese besondere Form schätzen wir die Chancen auf eine Annahme höher ein als bei einer gewöhnlichen Initiative. Gleichzeitig wissen wir, wie das aktuelle Parlament in der Regel über progressive Forderungen entscheidet. Für uns bleibt spannend, wie die erste Abstimmung über Form und Forderung verläuft.

Welche Rolle spielt die Bevölkerung in diesem Prozess, und weshalb sind Unterstützende so wichtig?

Die Bevölkerung spielt eine zentrale Rolle, da für die Initiative 100’000 Unterschriften gesammelt werden müssen, was viel menschlichen Einsatz erfordert. Die Unterstützenden sind wichtig, um die Kampagne zu starten, Aufmerksamkeit zu erzeugen und finanzielle Ressourcen zu sichern. Dass vielen Menschen das Wohl der Tiere am Herzen liegt, stimmt uns zuversichtlich.

Welche persönlichen Erfahrungen oder Beobachtungen haben Sie motiviert, diese Initiative zu starten?

Tierwohl ist zwar vielen Menschen wichtig, rückt aber oft in den Hintergrund, wenn andere Themen dominieren. Gleichzeitig haben rund 80 Millionen Tiere in der Schweiz keinen regelmässigen Auslauf. Mir ist es wichtig, dass die Bedürfnisse der Tiere in unserem System ernst genommen werden. Persönlich sehe ich den politischen Weg als den effektivsten, um hier wirkliche Veränderungen zu erreichen.

«Die Auslauf-Initiative ist ein Weg, den Tieren ein artgerechtes Leben zu ermöglichen.»

Naomi Rey

Was wäre für Sie ein Erfolg: die Annahme der Initiative, die konkrete Umsetzung oder ein gesellschaftlicher Bewusstseinswandel?

Ein Erfolg wäre für mich vor allem, wenn wir den politischen Dialog fördern können. Der Graben zwischen Stadt und Land ist in den letzten Jahren gewachsen, und wirklicher Fortschritt für die Tiere gelingt nur, wenn wir zusammenarbeiten und zu einem besseren, konstruktiven Austausch kommen.

Beenden Sie die Sätze…

Die Auslauf-Initiative ist … ein essenzieller Schritt, um das Tierwohl in der Schweiz verbindlich zu stärken.… eine Chance für eine tierfreundlichere Landwirtschaft in der Schweiz.… ein Weg, den Tieren ein artgerechteres Leben zu ermöglichen.

Landwirtschaft ist … nur tragbar, wenn sie das Wohl der Menschen und der Tiere berücksichtigt.… ein wichtiger Bestandteil der Schweizer Identität und muss im Respekt zu den Tieren erfolgen.… ein essenzieller Bestandteil unserer Lebensgrundlage und darf nicht auf Kosten der Tiere erfolgen.

Kommentare (5)

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  • Ketzer | 24.10.2025

    Es wird nie aufhören!

  • Wälchli Urs | 24.10.2025
    Kann dann garantiert werden das das Fleisch welches vom Ausland eingeführt wird, diese Tiere alle Auslauf hatten! Egal ob von Importeuren oder Einkaufstouristen!
  • Freidenker | 23.10.2025
    Illusorisches Wunschdenken und der Bund solls dann richten; oder:
    Lieber Weihnachtsmann, ich wünsche mir.........................
  • Student | 23.10.2025
    Wenn man die Fliegen und Mücken im Stall noch dazuzählt haben sogar über 95% der Tiere in der Schweiz keinen Auslauf. Noch dazu die ganzen Regenwürmer und Feldmäuse, praktisch ohne Tageslicht, schweinerei
    • Sobo | 25.10.2025
      Traurig dass man um so etwas kämpfen muss. Die Bauernschaft liebt doch ihre Tiere,oder? Dann wollen sie ja bestimmt auch das Beste für ihre geliebten Tiere, oder? Oder nur wenn der böse Wolf kommt? Oder liebt die Bauernschaft ihre Tiere nur bis sie nix mehr einbringen und 'nutzlos' sind? Hmmm... viiiiele Fragen. Wer kann da eine Antwort geben?
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