Rudolf Haudenschild, Chefredaktor des «Schweizer Bauer», blickt in seinem Leitartikel zum Jahreswechsel zurück und voraus.
Im zu Ende gehenden Jahr ist die Welt nicht besser geworden. Humanitär und landwirtschaftlich. Von Nordafrika über den Nahen Osten bis nach Afghanistan und Pakistan haben sich viele Staaten und Gemeinschaften weiter destabilisiert und in Konflikte gegen innen und aussen verstrickt. Viele junge Menschen sind arbeitslos und hoffnungslos. Ohne Perspektiven auf Besserung. Diese Konflikte führen zu humanitären Katastrophen und züchten Terror bis vor unsere Haustüren. Die Ursachen sind nicht nur religiöser und kultureller, sondern auch wirtschaftlicher und geopolitischer Art.
Die Einflusssphären in der Welt verschieben sich. Die Vereinigten Staaten als bisherige Weltpolizisten mit Führungsanspruch in Sachen Weltwirtschaft und Demokratie verspielen durch Widersprüche laufend ihre Glaubwürdigkeit. Dies nicht zuletzt, weil sie ihre politischen und moralischen Ansprüche ständig dem eigenen «Business» und den Interessen ihrer global tätigen Konzerne unterordnen.
Der unter Führung des Westens mit allen Mitteln vorangetriebene Freihandel zeigt inzwischen Wirkung. Profitieren konnten vor allem die aus kommunistischen Zeiten straff organisierten und geführten asiatischen Länder. In den meisten andern Entwicklungsländern wurden kaum neue Arbeitsplätze geschaffen. Im Gegenteil. Durch billige Importware werden weiter lokale Strukturen zerstört und Arbeitsplätze vernichtet. Freihandel fördert so die Landflucht und vergrössert die Probleme in Megastädten.
Dass inzwischen viele Arbeitsplätze im Westen auch gefährdet sind und der Steuern zahlende Mittelstand in Gefahr ist, wurde im Wahlkampf in den USA erstmals deutlich.
Dass gerade die enorm unter Druck stehende bäuerliche Landwirtschaft in Europa weitere Liberalisierungsschritte mit neuen Freihandelsabkommen kaum verkraften könnte, haben dieses Jahr die Diskussionen um ein neues transatlantisches Freihandelsabkommen (TTIP) deutlich aufgezeigt. Dies nicht zuletzt auch, weil die Konsumenten erwacht sind und nicht alles schlucken wollen, was die durchindustrialisierte Landwirtschaft Nordamerikas billig auf die Teller bringt.
Die europäischen und indirekt auch die Schweizer Bauern leiden enorm unter dem Diktat der USA. So müssen vor allem sie die von den USA gegen Russland durchgesetzten Sanktionen und russischen Gegenmassnahmen mit historisch tiefen Milchpreisen ausbaden.
Der Führungsanspruch der USA im Solde von global tätigen nordamerikanischen Konzernen wirbelt die Welt unter ungleichen Voraussetzungen kräftig durcheinander. Die liberalen Wirtschaftstheoretiker unterstellen ihren Modellen stets gleich starke Partner. Was so nie stimmt. Zu unterschiedlich sind die Marktkräfte zwischen den vielen unorganisierten Produzenten und den wenigen organisierten Abnehmern. Zu unterschiedlich sind die natürlichen Voraussetzungen und Infrastrukturen.
Freihandel ist das bisher unangefochtene «Recht des Stärkeren». Und macht so nicht alle reicher und glücklicher, wie dies die Theorie bisher behauptete. Es gibt Gewinner und Verlierer.
Der grenzenlose Verkehr und die vermehrte Auslagerung neu auch von Dienstleistungen zerstören zunehmend auch Arbeitsplätze im Westen. So droht neu im kaufmännischen Bereich die Auslagerung von sehr vielen Dienstleistungen nach Osteuropa und Asien. Diese Volkswirtschaften konnten sich mit dem Freihandel und der Wirtschaftshilfe aus dem Westen Fachwissen aneignen. Wenn sie zuerst mit unterdrückten Massenarbeitskräften vor allem billig produzierten und sich damit stetig Kaufkraft schufen, haben sie inzwischen die neusten Technologien von internationalen Konzernen im eigenen Land, verfügen über wichtige Rohstoffe und sichern sich diese gezielt auf der ganzen Welt.
So will China beispielsweise nicht nur im In- und Ausland dafür sorgen, dass alle Chinesen täglich genug zu essen haben. China will auch in den 50 wichtigsten Schlüsselindustrien die globale Führungsrolle übernehmen. Aktuellstes Beispiel ist die geplante Übernahme von Syngenta durch Chem China. Neue Verfahren und Züchtungsmethoden wie CRISPR/Cas versprechen ungeahnte Fortschritte. So will China in der Welt vermehrt wirtschaftlich, politisch und militärisch Einfluss nehmen und sich die Grundlagen für eine sichere Nahrungsmittelversorgung und anhaltenden Wohlstand sichern.
Mit solcher Willens- und Wirtschaftskraft und staatlich gezielt geförderter Forschung und Entwicklung in Asien werden im Westen Arbeitsplätze abgebaut werden müssen. Unser Wohlstand wird auch ausserhalb der Landwirtschaft bald unter Druck geraten.
Hierzulande glauben zu viele noch daran, dass in unserem exportabhängigen Land der Wohlstand für Jahrzehnte gesichert sei. Doch unsere Exporteure plagen sich schmerzhaft mit der Frankenstärke, die Margen erodieren, und Investitionen können kaum noch gemacht werden, um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben.
Einzig die Pharmaindustrie scheint imstande zu sein, unter Patentschutz ihre Pülverchen und Pillen zu hohen Preisen im Ausland abzusetzen.
Wer in der Schweiz keinen Schutz geniesst, ist unter wachsendem Druck. Hoch geschützt sind die Schweizer Löhne. Dieser politische Schutz ist viel stärker als der Agrarschutz. Mit hohen Schweizer Löhnen im Ausland einzukaufen, ist für viele verlockend. Volkswirtschaftlich ist dies aber eine Sackgasse. Nicht nur die eigene Landwirtschaft und damit die Versorgungssicherheit gehen so kaputt, sondern auch viele weitere Arbeitsplätze und Lehrstellen. Wir zerstören uns selbst.
Gerade in Zeiten von wachsendem Nationalismus, weltweiter Aufrüstung, Konflikten und Terror vor der Haustüre täte die offizielle Schweiz gut daran, zu ihren Bauern Sorge zu tragen. Ob nun die Ernährungssicherheit auf Verfassungsstufe verankert ist oder nicht, ändert noch nichts. Die Ernährungssicherheit im Ausland anzustreben, wie im Gegenvorschlag des Ständerates ausdrücklich festgehalten, kann aber auf keinen Fall der Weg eines souveränen Landes sein, das sich nicht in fremde Händel einmischen will.
Wer Ja sagt zu Schweizer Löhnen, und das wollen wir alle, muss deshalb auch Ja sagen zu einem massvollen Agrarschutz! Die Schweizer Bauern können dafür auch etwas bieten, nämlich einen nachhaltigen Umgang mit Boden, Tieren und Ressourcen im Rahmen einer sowohl auf Produktion wie Nachhaltigkeit ausgerichteten Landwirtschaft. Dies mit berechtigtem Berufsstolz.
Die Schweizer Bauern wollen und können qualitativ ehrliche, hochstehende, frische Nahrungsmittel, die Freude und Genuss bereiten, in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihren Konsumenten produzieren.
Dafür verdienen sie aber auch ein vergleichbares Schweizer Einkommen, Respekt und Anerkennung. Denn die Geschichte der Landwirtschaft seit 1950 ist eine Erfolgsgeschichte über eine unglaubliche Produktivitätssteigerung. Die Bevölkerung hat sich in diesem Zeitraum fast verdoppelt, die bewirtschaftete Fläche aber nicht. Dennoch konnte die wachsende Bevölkerung stets zu fast zwei Dritteln ernährt werden.
Im Ackerbau haben sich die Erträge bei vielen Kulturen verdoppelt. Auch in der Milchproduktion haben sich die Leistungen verdoppelt, und in der Fleischproduktion konnte der Futterverbrauch dank Zucht und klug ergänzten Futterrationen gesenkt werden.
Wenn 1950 ein Landwirt erst 10 Menschen ernähren konnte, waren es 1970 deren 25, und heute sind es weit über 100 Menschen. Und der Bedarf an Nahrungsmitteln wird sich bis 2050 noch verdoppeln.
Wie ist dies zu schaffen? Mit technischem Fortschritt, modernsten Maschinen, Satelliten, GPS, Digitalisierung, Informationsverarbeitung, ausgeklügelten Wirkstoffen aus Biologie und Chemie, Zucht und Genetik und einem hohen Ausbildungs- und Beratungsniveau, Können und Leidenschaft. Und dabei ist der Verbrauch an Treibstoff und der Ausstoss von CO2 je produzierte Einheit gesunken. Schön und Balsam für den zu oft verletzten Berufsstolz wäre es, wenn ein Konsument einem Bauern einmal dafür DANKE sagen würde, wenn er ihn beim Arbeiten sieht.
Gerade dieses Jahr machte das Wetter der Landwirtschaft sehr zu schaffen. Auf einen zu kühlen und zu nassen Frühling mit viel Staunässe und Pilzbefall folgte ein zu heisser und zu trockener Spätsommer. Die Bauern waren gefordert wie noch nie. Trotzdem litten Erntemengen und Qualität. Da die Preise in der Branche meist im Voraus fixiert werden, waren die Erlöse miserabel. Bei historisch tiefsten Milchpreisen waren dank Grenzschutz immerhin die Schlachtkuhpreise lange sehr gut. Wo bei vielen Anbietern und wenigen Abnehmern die wahre Marktmacht liegt, zeigte sich neben dem Milchsektor dann im Spätsommer bei den Schlachtkühen. Innerhalb weniger Tage fiel entgegen allen Fakten der Preis um 1 Franken. Nur dank einer von erbosten Produzenten orchestrierten Aktion konnte ein weiterer Preiszerfall verhindert werden. Schlachtkühe wurden zurückgehalten. Die rar gemachten Schlachtkühe waren auf den überwachten Schlachtviehmärkten gesucht und wurden höher gehandelt. Die Schlachthöfe mussten nachziehen. Zu Rekordimporten brauchten sie auch Schlachtungen. Der schöne Herbst half dabei den Bauern mit viel Gras, ihre Schlachtkühe dosiert zu liefern.
Nebst strenger Arbeit und den Wetterkapriolen leiden viele Betriebsleiter aber unter weiter wachsenden, komplizierten Vorschriften und Auflagen. Schlimm empfunden und mit viel psychischem Druck verbunden sind die strengen Kontrollen, stehen die Bauern heute doch vorweg unter Generalverdacht. Sie stehen auch unter Beweispflicht, alles richtig gemacht zu haben, und riskieren bei kleinsten Unregelmässigkeiten oder nachlässigem Ausfüllen von Formularen, die Kürzung überlebenswichtiger Direktzahlungen.
Auch die Marktmacht ihrer Abnehmer ist eine tägliche Herausforderung und weitere Quelle von Ohnmachtserfahrungen. Solidarität wird mehr und mehr zum Fremdwort. «Den Schweizer Bauer» gibt es heute so nicht mehr. Zu unterschiedlich sind die Betriebe und die Produktionsweise. Gemeinsamkeiten werden ständig weniger. Jeder kämpft für sich in immer dünner werdender Luft. Immer mehr fragen sich, wie es weitergehen soll, und setzen auf ein sichereres Standbein ausserhalb des Betriebs. Darunter leidet aber eine professionelle Produktion hochwertiger Nahrungsmittel.
Gerade deshalb müssen die Produzenten verstärkt versuchen, ihre wertvollen Produkte in Erzeugergemeinschaften mit Vermarktern und Konsumenten zu differenzieren und unter einer eigenen Marke zu kostendeckenden Preisen anzubieten.
Viele Labels sind da auf gutem Wege. Schade, dass wir die Dachmarke «Suisse Garantie» aber immer noch verschenken.
Zum Jahresende wünschen wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, erholsame Zeit und im neuen Jahr die nötige Kraft, um die privaten und beruflichen Herausforderungen mutig anzupacken. Unsere wichtigste Aufgabe als unabhängige Landwirtschaftszeitung ist und bleibt es, Ihnen auch 2017 wichtige Informationen und Hintergründe für die täglichen Entscheide zu liefern und mit Berichten und Reportagen über gelungene Veränderungen Mut zu machen.
Gute Gesundheit, Glück und Segen in Familie, Hof, Stall, Feld, Wald und auf Märkten!
Rudolf Haudenschild
Chefredaktor
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