Statt verbrannt zu werden, findet Schweizer Wolle Verwendung in Jacken, Matratzenauflagen oder als Isolationsmaterial.
In Buchs herrscht viel Betrieb. Internationale Züge und viele Fahrzeuge verlassen das Land im Dreiländereck Schweiz, Liechtenstein und Österreich. Hoch über dem hektischen Treiben bewirtschaftet Martin Keller und seine Familie einen Hof. Sie geniessen dabei einen fantastischen Blick auf die Ebene sowie auf die Burg des liechtensteinischen Fürsten.
Fehlende Bundesmittel
Doch vor drei Jahren war der Blick für die Schweizer Wolle und der Inlandwollzentrale (IWZ) massiv eingetrübt. Die finanzielle Unterstützung für die Schafwollverwertung wurde auf den 1. Januar 2009 an neue Auflagen geknüpft. Diese Vorschriften des Bundesamtes für Landwirtschaft verunmöglichten der IWZ die weitere Übernahme der Wolle. Martin Keller, Verwaltungsrat des IWZ und Vorstandsmitglied des Schweizerischen Schafzuchtverbandes (SVZ), war das Ende der IWZ ein Dorn im Auge. «Da muss es doch eine Alternative geben», dachte sich Keller. Denn das drohende Verbrennen der Wolle würde sich negativ auf das Image des Schafes auswirken, war er sich sicher. «Zudem ist die Wolle einer der wenigen Rohstoffe der Schweiz», argumentiert der Besitzer von rund 300 Schafen.
Anruf aus Deutschland
Keller erhielt einen Tipp, dass eine Wollewäscherei im Tirol Potenzial für die Verarbeitung von Schweizer Wolle haben soll. Er fuhr umgehend nach Österreich, besichtigte den Betrieb, hinterliess seine Angaben und reiste ergebnislos nach Hause. Einen Tag später erhielt er einen Anruf. Martin Keller traf mit sich seinem Gesprächspartner, dem grössten Wolleverarbeiter Deutschlands. Friederich Baur, Besitzer der Baur Vliesstoff GmbH in Dinkelsbühl (liegt zwischen Stuttgart und Nürnberg), und kam rasch ins Geschäft, da die Zeit drängte.
Baur schlug vor, die Wolle direkt vom Bauern zu beziehen und diese in regionalen Sammelstellen zweimal pro Jahr, im Frühling und Herbst, abzuholen. Diese Vorgehensweise ermögliche eine schlanke Administration und käme den Bauern zugute, betont Keller. Baur gründete in der Folge die Nawarotec GmbH mit Sitz in Buchs SG, welche die Wolle für das Mutterunternehmen in Deutschland aufkauft.
Bereits im Frühling 2009 wurde an acht Sammelstellen im Wallis und der Innerschweiz Wolle eingesammelt, heute wird dies an 26 Orten praktiziert. Auch die Menge stieg stetig an: Waren es im vergangenem 300 Tonnen, sollen es in diesem Jahr sogar 400 Tonnen werden, betont Keller. Die Wolle wird anschliessend zu Rundballen gepresst, um den Weitertransport zu vereinfachen. An den Sammelstellen wird die Wolle taxiert. «Der Schafhalter erhält sein Geld sofort. Das schätzt er sehr», hebt Keller hervor.
Preise gelten halbes Jahr
Zum Erfolg beigetragen haben die seit zwei Jahren steigenden Welmarktpreise. «Viele Bauern in Neuseeland stellten auf Hirschhaltung um, in Australien kam es zu Dürren und Überschwemmungen, in Argentinien brach ein Vulkan aus, und in Pakistan wurden die Baumwollfelder überflutet», erklärt Keller. Zudem seien Naturfasern wieder gesucht. Der Preis für reinfarbige Wolle liegt nun bei 80 Rappen pro Kilo, für Mischschur werden 35 Rappen ausbezahlt, weisse Biowolle ist sogar 120 Rappen wert.
Die Preise legen Keller und Bauer gemeinsam fest. Diese sind für ein halbes Jahr garantiert. Doch sie sind den Weltmarktpreisen ausgesetzt. «Wir zahlen die höchsten Produzentenpreise der Schweiz, dies ohne Subventionen. Das schaffen wir aber nur über das Generieren von Wertschöpfung», macht er deutlich.
Vielseitig einsetzbar
Die Wolle lässt die Nawarotec in Österreich und Belgien waschen. Bei Bauer in Deutschland wird die weisse Wolle zu Vlies verabreitet. «Die Schweizer Wolle ist im Vergleich zu niederschlagsärmeren Gebieten gröber. Zudem ist sie für Textilien zu kurz, aber beim Vlies spielt das keine entscheidende Rolle», hält er fest. Das Vlies wird in der Schweiz für Duvets, Kissen, Matratzenauflagen oder in Textilien verwendet. Zwei Drittel der einheimischen Matratzenhersteller verwendeten das Produkt bereits, hebt er hervor.
Mithilfe des innovativen Ingeo-Verfahrens, bei Zugabe einer Faser aus Maisstärke, wird das Vlies thermisch verfestigt. Es besitzt den Vorteil, dass es bis 60 Grad waschbar ist und nicht verfilzt.
Die mischfarbige Wolle hingegen wird zu Isolationsmaterial verarbeitet, das beim Hausbau Verwendung findet. Aus der braunen Wolle entstehen Wolldecken oder Sattelauflagen.
From Sheep to Shop
Um die Wertschöpfung weiter zu steigern, werden die Produkte unter dem Label Swisswool vermarktet. «Die Wolle ist regional und kommt direkt vom Bauer. Die Transportwege sind dank der Produktion in Süddeutschland kurz und deshalb umweltschonend», erklärt der umtriebige Familienvater. Das Interesse seitens der Industrie sei gross, die hauptsächlich über die Website auf das Label stosse. Mittlerweile findet das Vlies sogar Verwendung als Fütterung in Jacken. Die Montair AG aus Kriessern SG konnte bereits mehrere Käufer gewinnen.
Sorgenfalten macht ihm der tiefe Eurokurs. Keller reizen aber herausfordernde Situationen. «Man muss Verhandlungsgeschick, Neugierde und eine gewisse Offenheit an den Tag legen. Um Erfolg zu haben, muss man seine Strategie aber konsequent verfolgen», betont er.