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Sie wird höchste Schweizerin

 

Der Nationalrat wählt am kommenden Montag die Grünen-Nationalrätin und Vizepräsidentin Irène Kälin aus dem Aargau wohl zur höchsten Schweizerin für das Jahr 2022. Die 34-jährige Kälin ist eine engagierte Linkspolitikerin, die sich im bürgerlichen Aargau durchsetzte. In der Landwirtschaft wurde sie bekannt durch die Forderung für ein Verbot des Zitzen-Versiegelns.

 

Sie ist studierte Islamwissenschaftlerin und hat einen Master in Religionskulturen. Sie setzt sich ein für eine menschliche Asyl- und Sozialpolitik, für Klimaschutz, für starke Rechte von Arbeitnehmenden sowie für mehr Krippenplätze ein. Und sie kämpft gegen Atomkraftwerke.

 

Sorgte für rote Köpfe

 

Das sind Positionen, die im bürgerlich geprägten Mittellandkanton Aargau für rote Köpfe sorgen. Aber Kälin hat es mit ihrer Hartnäckigkeit geschafft, in Bern als Stimme des «anderen Aargaus» wahrgenommen zu werden. Mutig vertrat sie ihre Meinung schon im Kantonsparlament. Und sie schlug sich in mehr als einer Diskussionsschlacht im TV-Regionalsender tapfer gegen SVP-Exponenten.

 

«Ich habe mich einfach für meine politischen Überzeugungen eingesetzt und meinen Kompass – grün, sozial und solidarisch – nie aus den Augen verloren», betont Kälin gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA: «Manchmal war ich damit erfolgreich oder zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Manchmal nicht.»

 

Sie sei habe eigentlich nie politische Karriere machen wollen. «Ich wollte mich einfach dafür einsetzen, dass unsere Kinder und Enkelkinder eine lebenswerte Zukunft haben – auf und mit unserem Planeten.» Es liege an ihr, authentisch zu bleiben.

 

Nachrücken in Bern

 

Der politische Aufstieg der in Lenzburg aufgewachsenen Politikerin verlief zwar schnell – aber nicht wie am Schnürchen. Ab 2014 gehörte sie dem Kantonsparlament an; zuletzt war die Fraktionspräsidentin. Bei den eidgenössischen Wahlen 2015 kandidierte sie dann auf dem Spitzenplatz der Grünen Liste und gleichzeitig trat sie zur Ständeratswahl an. Das volle Programm. Der Wahltag endete ohne Erfolg.

 

In den Nationalrat gewählt wurde Jonas Fricker, der auf dem zweiten Listenplatz kandidiert hatte. Die Grünen eroberten keinen zweiten Sitz. Und bei der Ständeratswahl landete Kälin abgeschlagen auf dem fünften Platz. Aber eine Niederlage muss nicht das Ende sein. Im November 2017 – vor nur vier Jahren – kam Kälin im Nationalrat an. Sie ersetzte Fricker. Dieser trat zurück, nachdem er im Parlament Schweinetransporte mit der Deportation von Juden verglichen hatte. Die Wiederwahl von Kälin im Oktober 2019 war reine Formsache.

 

In vier Jahren an die Spitze

 

Kälin ist auch eine Politikerin mit einem gewissen Promifaktor. Als sie schwanger war, posierte sie für die «Schweizer Illustrierte» im Bundeshaus. Und später nahm sie ihren Sohn auch mal in einer Babytrage mit in den Nationalratssaal. Das sind News abseits der harten Politik. Sie lebt zusammen mit ihrem Sohn und ihrem Partner Werner De Schepper, einst «Blick»-Chefredaktor, im ländlichen Schenkenbergertal im Bezirk Brugg.

 

Die 34-jährige Kälin wird eine der jüngsten Nationalratspräsidentinnen der Geschichte sein. Nur gerade vier Jahre nach ihrem ersten Tag im Nationalrat dürfte sie zur Ratspräsidentin gewählt werden. Aus dem Aargau kam übrigens die jüngste Präsidentin: Bei der Wahl 2009 war die damalige SP-Nationalrätin Pascale Bruderer 32 Jahre alt.

 

«Vereinbarkeit» mit neuer Bedeutung

 

Als höchste Schweizerin will Kälin das Thema «Vereinbarkeit» ins Zentrum stellen. «Es ist mir ein grosses Anliegen, die Vereinbarkeit unterschiedlicher Lebensrealitäten und Perspektiven zu fördern», betont sie.

 

Und es gibt auch die Vereinbarkeit von verschiedenen Meinungen – vor allem in Zeiten der Corona-Pandemie. «Wir haben ja eine politische Kultur der Einbindung möglichst aller Meinungen», weiss Kälin.

 

Vom Licht am Ende des Tunnels

 

«Trotzdem komme ich zum Schluss, dass wir die Vereinbarkeit von verschiedenen politischen Meinungen und Positionen nicht immer so gut hinbekommen, wie wir es sollten. Denn Vereinbarkeit würde hier bedeuten, dass wir Lösungen und Kompromisse ausarbeiten, die die Probleme lösen und vor dem Volk Bestand haben.»

 

«Ich hatte viel Hoffnung, dass ich die Präsidentin sein werde, die zurück in die Normalität führen darf. Aber wenn ich in unsere Nachbarländer schaue und unsere Kurven anschaue, dann bin ich nicht mehr so sicher, ob das Licht am Ende des Tunnels schon zu sehen ist», gibt Kälin zu bedenken: «Das erfüllt mich mit ebenso tiefer Sorge wie die Sorge um den Corona-Graben, der quer durch unser Land verläuft.»

 

Viehschauen im Visier

 

Irène Kälin hat sich auch mit der Landwirtschaft befasst, unter anderem mit Viehschauen. Mit einer Motion wollte sie 2019 das Versiegeln von Zitzen verbieten. «Der Bundesrat wird ersucht, die Tierschutzverordnung dahingehend anzupassen, dass bei Rindern das Verschliessen von Zitzen jeglicher Art zu Schau- und Präsentationszwecken verboten wird.» So lautete der Text der Motion. 

 

«Meine Motion möchte das Verschliessen der Zitzen der Kühe an Viehschauen verbieten, weil ein total überladenes Euter ein fragwürdiges Schönheitsideal ist, weil Kühe heute für dieses Schönheitsideal leiden, weil sie an Viehschauen absichtlich leiden gelassen werden, weil mit dem Leiden der Kühe die Tradition der Viehschauen zunehmend in Verruf gerät und weil es nicht angeht, dass mit Bundesgeldern Viehschauen finanziert werden und man beim Tierwohl einfach ein Auge zudrückt oder wegschaut», sagte Kälin im Parlament.

 

Sie habe nichts gegen Schauen. Sie seien eine wichtige Plattform für die hiesige Viehzucht. Wenn der Bund die Viehschauen subventioniere, so soll er darum besorgt sein, dass diese ohne tierquälerische Praktiken über die Bühne gehen. «Genau das will meine Motion: Viehschauen Ja, Zitzen verschliessen Nein», sagte sie. Mit ihrem Vorstoss fand sie im Nationalrat keine Mehrheit. 96 Personen drückten den Nein-Knopf, zugestimmt haben 76 Nationalrätinnen und Nationalräte.

 

Enthornverbot für Ziegen

 

Weiter forderte Kälin 2019 auch ein Verbot für das Enthornen von Ziegen. Das Enthornen von Ziegen und Zicklein sei ein heikler, unnötiger und tierquälerischer Eingriff, der ohne negative Folgen für die Besitzer oder die Tiere verboten werden könne. Praxis und Forschung würden belegen, dass die Laufstallhaltung von behornten Ziegen kaum zu Unfällen zwischen Mensch und Ziege führe. 

 

Der Nationalrat lehnte die Motion von Kälin mit 99 Nein- zu 76 Ja-Stimmen ab. 

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