Getreidefeld in der Slowakei
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Seit der Wiederwahl vom slowakischen Regierungschef Robert Fico im Herbst 2023 mehren sich die Anzeichen, dass die Slowakei in Sachen Rechtsstaatlichkeit den politischen Rückwärtsgang eingelegt hat. Nach Recherchen von AGRA Europe betrifft das zumindest den Umgang mit Agrarsubventionen der Europäischen Union.
Aus dem landwirtschaftlichen Berufsstand wird berichtet, dass die Brüsseler Fördergelder nun wieder vermehrt von einem korrupten politischen Netzwerk abgegriffen würden. Kleinbetriebe sollen beim Zugang zu Land systematisch benachteiligt werden. Das konnte AGRA Europe in Gesprächen mit mehreren Personen erfahren, die in unterschiedlichen Funktionen mit dem Thema befasst sind. Sie wollen aus Sorge um ihre persönliche und wirtschaftliche Sicherheit anonym bleiben.
Nicht auf Vorwürfe reagiert
Laut den Berichten werden Teile der slowakischen Landwirtschaft von der Regierung unter Druck gesetzt. Grossbetriebe sollen durch unlautere und systematische Bevorteilung übermässig von den EU-Agrarbeihilfen profitieren. Neben einfachen Beamten in den zuständigen slowakischen Agrarbehörden richten sich die Vorwürfe auch direkt gegen Landwirtschaftsminister Richard Takáč. Er gilt als enger Vertrauter von Fico. Beide sind Mitglieder der als linkspopulistisch bis linksnational geltenden Partei SMER-SD.
Das slowakische Landwirtschaftsministerium hat trotz mehrtägiger Bedenkzeit bis zur Veröffentlichung des Textes nicht auf die Vorwürfe reagiert. Auch die Europäische Kommission war zu einer Stellungnahme bislang nicht bereit.
Mord von Journalist
Zum Hintergrund: Im Februar 2018 hatte der Mord an dem Investigativ-Journalisten Ján Kuciak und seiner Lebensgefährtin Martina Kušnírová die Slowakei aufgeschreckt. Umfangreiche Proteste der Zivilgesellschaft – darunter auch Vertreter der Landwirtschaft – waren die Folge. Kuciak hatte unter anderem zu Verwicklungen der sogenannten Agrarmafia und dem Einfluss der italienischen ’Ndrangheta und ihren Verbindungen zu den politischen Eliten der Slowakei recherchiert.
Die Ergebnisse wurden nach dem Tod des Journalisten von seinen Kollegen veröffentlicht. In der Folge trat Fico nur wenige Wochen später von seinem Amt als Regierungschef zurück. Berater aus seinem direkten Umfeld waren mutmasslich in den Skandal verwickelt. Im Jahr 2023 gewann der Linkspopulist allerdings die Parlamentswahl erneut und wurde zum vierten Mal Regierungschef in Bratislava.
Willkür bei den Kontrollen
Wie AGRA Europe berichtet wurde, werden seit der Wiederwahl Ficos kleinere Betriebe – in der Regel unter 200 Hektar – gezielt unter Druck gesetzt. Offenbar mit dem Ziel, sie mindestens von Teilen der EU-Fördermittel abzuschneiden. Vor allem Gelder der Zweiten Säule sollen vielfach seit Herbst 2023 zurückgehalten werden. Auch die Direktzahlungen der Ersten Säule sollen in Teilen betroffen sein.
Begründungen der Behörden bleiben aus oder sind aus Sicht der Betroffenen vorgeschoben. Beklagt wird zudem das Fehlen von standardisierten Prüfvorgängen und daraus resultierende Willkür bei den Kontrollen. Aussenstände der slowakischen Zahlstellen gegenüber Landwirten in Höhe von rund 35’000 Euro (32’592 Franken) je Betrieb sollen keine Seltenheit sein.
Slowakische Grossbetriebe sollen durch unlautere und systematische Bevorteilung übermässig von den EU-Agrarbeihilfen profitieren.
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Erschwert wird die Lage der Landwirte durch unverhohlene Korruption. So berichtet ein Betroffener von der Forderung eines Zahlstellenmitarbeiters: «Wenn du mir 5’000 Euro (4656 Franken) überweist, dann sorge ich dafür, dass du die ausstehenden Zahlungen bekommst.»
Werden Betriebe in die Insolvenz getrieben?
Darüber hinaus verfestigt sich bei den Betroffenen der Verdacht, dass die beschriebenen Vorgänge auch politisch befeuert und vor allem gegen kleinere Betriebe und Junglandwirte gezielt eingesetzt werden. Vermutet wird ein von hohen Kreisen geplantes systematisches Vorgehen. Demnach würden kleineren Betrieben die ihnen zustehenden Beihilfen systematisch vorenthalten, um sie finanziell auszutrocknen.
Damit soll es Grossbetrieben erleichtert werden, weiter zu wachsen, indem sie die nach Insolvenzen freigewordenen Flächen günstig erwerben können. Profiteure sollen vor allem grosse Agrarholdings mit direkten Kontakten in slowakische Regierungskreise sein. Dies wäre eine klassische Form des Landgrabbings und deckt sich unter anderem mit Darstellungen der vormaligen Vorsitzenden des Haushaltskontrollausschusses im Europaparlament, Monika Hohlmeier, im Interview mit AGRA Europe.
Drohung mit Gerichtsverfahren
Das Vorgehen gegen die kleineren Betriebe wird zudem als Versuch verstanden, sie von vorneherein von der Beantragung von Beihilfen abzuhalten. «Der Kuchen der Agrarbeihilfen für die Agrarholdings soll möglichst grossbleiben», heisst es.
Auch wurde gegenüber AGRA Europe berichtet, dass bestimmte ethnische Gruppen gezielt von der Beantragung von EU-Agrarbeihilfen abgeschreckt werden. Dies würde sich mit dem politischen Programm der an der Regierung beteiligten Slowakischen Nationalpartei (SNS) decken. Die von Beobachtern als rechtsradikal eingestufte Partei ist in der Slowakei bekannt für ihre Agitation gegen Sinti und Roma sowie die ungarische Minderheit im Land.
Widerstand gegen die beschriebenen Missstände wird nach Informationen von AGRA Europe von höchster politischer Stelle erschwert. Berichtet wird von direkten Einschüchterungsversuchen des slowakischen Agrarministers Takáč. Er soll Organisatoren von Protesten unmittelbar mit gerichtlichen Klagen und der Einbehaltung der ihnen zustehenden EU-Agrarbeihilfen gedroht haben.
Unklare Besitzverhältnisse
Eine wesentliche Rolle bei den Vorgängen dürfte Schwächen im System zur Landregistrierung zukommen. Darauf hatten Mitglieder des EU-Haushaltskontrollausschusses bereits wiederholt in Gesprächen mit AGRA Europe hingewiesen. In der Slowakei soll über einen signifikanten Anteil der Agrarflächen Unklarheit über die Besitz- und Bewirtschaftungsansprüche bestehen.
Zudem befindet sich ein grosser Anteil der Agrarflächen in Staatshand und soll nicht transparent verwaltet werden. Die Verantwortung für die staatlichen Flächen liegt in den Händen eines eigenständigen Gremiums. Dessen Mitglieder sollen in erster Linie aus Vertretern der Politik sowie der großen Agrarholdings bestehen.
Kritisiert werden auch die äusserst niedrigen Preise, zu denen Agrarholdings Staatsland pachten können. Details dazu sind indes nicht öffentlich zugänglich. Die Pachtpreise in der Slowakei gehören laut Eurostat allerdings zu den niedrigsten in der Europäischen Union. Forderungen nach einer Reform des Vergabeprozesses wurden den Betroffenen zufolge vom slowakischen Agrarminister Takáč bisher zurückgewiesen.