Christian Hürbi sömmert gemeinsam mit seiner Lebenspartnerin Anja Altermatt 240 Schafe auf einer Alp bei Meiringen, oberhalb von Innertkirchen BE. Ihre Herde wurde Opfer von Wolfsangriffen. In diesem persönlichen Erfahrungsbericht schildern sie, wie sie sich beim Anblick ihrer zerfetzten Tiere fühlen und was sie überhaupt nicht nachvollziehen können.
Wer kennt sie nicht – die malerisch-idyllischen Bilder von Schweizer Bergen und Alpen, auf denen friedlich Kühe, Ziegen und Schafe weiden.
Zufrieden grasend oder wiederkäuend machen diese Tiere einen Grossteil des «Schweizbildes» von Touristen und Wanderern aus, sie zieren so manch romantische Postkarte. Dieses Bild wird getrübt durch… eigentlich nichts. Oder?
«Ohne Herzblut geht nichts»
Wir Bauern, die unsere Tiere im Sommer auf die Alpen treiben, investieren so ziemlich alles an Zeit und Geld in unsere Tiere. Den Winter verbringen die Tiere im Stall, auf grossen Weiden oder in der Wanderherde. Egal wie, alles braucht sehr viel Zeit und Energie - und Herzblut.
Ohne Herzblut ist nichts zu machen. Aus «Schöfeler-Sicht» kann ich sagen, es ist unglaublich zeitaufwändig. Sehr schön und bereichernd, aber zeitaufwändig.
Wochenlang gemeinsam unterwegs
Wir waren diesen Winter wochenlang – von Mitte Dezember bis Mitte März – gemeinsam unterwegs, als Wanderherde. Meine 300 Schafe, meine beiden Hunde und ich. Bei Wind und Wetter (und zum Glück auch bei recht viel Sonnenschein) waren wir draussen.
Am Abend, wenn die Herde eingezäunt war, habe ich die trächtigen Tiere im Stall versorgt. Diese haben von April bis Mai «glämmlet» – auch eine sehr intensive Zeit, während dieser man beinahe ausschliesslich im Stall ist, schaut, dass alles gut geht, die Aue gut lammen kann und die Lämmli fit sind.
zvg
Natürlich gibt es immer wieder Tiere, die Mühe haben und Hilfe brauchen oder Lämmer, die aus irgendwelchen Gründen die Schoppenflasche brauchen. Auch das Schöppele ist intensiv – mindestens 3, besser 4 Mal pro Tag sollten die Lämmer einen Schoppen bekommen.
«Wir haben jedes Tier x-Mal in den Händen»
Dann werden alle ausgewachsenen Tiere geschoren, entwurmt, die Klauen werden geschnitten. So haben wir jedes Tier x-Mal in den Händen. Ich kenne jedes meiner Tiere, weiss, wer Zwillinge oder Drillinge geboren hat, welches Mutterschaf bei der Geburt Mühe hatte, welchem Lamm ich eigenhändig auf die Welt helfen musste. Dann ist da die Vorfreude auf die Alp. Das Vorbereiten, Einkaufen, Alp bereit machen, Tiere bereit machen und vieles mehr.
zvg
Ich bringe meine Tiere seit 12 Jahren auf diese Alp. Ich habe nur gute Erfahrungen gemacht mit und auf dieser Alp und weiss, dass meine Tiere gesund und wohlgenährt im Herbst wieder heim kommen. Die Alpsaison ist ein Highlight. Eigentlich.
Tiere aus Sicherheit zuerst Zuhause gelassen
Wir haben Ende Mai alles bereit gehabt. Viele Helfer haben uns geholfen alles vorzubereiten, zu zäunen, zu roden, usw. Am 3. Juni haben wir die Ziegen auf die Alp gebracht, am 4. Juni die Kühe und am 11. Juni hätten die Schafe hoch gehen sollen. 240 Tiere. Doch auf der Nachbaralp hat der Wolf Schafe gerissen – 7 Stück.
Da war die Angst natürlich gross, dass er weiter reissen wird, respektive er auch zu uns auf die Alp kommt. Es blieb nur die Hoffnung, dass er auf der Durchreise ist und weiterzieht. Also blieben die Schafe erst mal noch zuhause.
zvg
Der Wolf blieb unter Beobachtung. Er hat tatsächlich weitere Tiere gerissen und wurde vor etwa 6 Wochen zum Abschuss frei gegeben. Er wurde jedoch nicht erwischt, aber ein paar Tage später gab es in Brienz Risse. So nahmen wir an und hofften, dass er eben doch weitergezogen ist.
Endlich geht es los
Am 20. Juni dann durften auch meine Tiere endlich auf die Alp. Die Vorfreude war gross, auch der Stolz auf meine schönen, gesunden Tiere, die nun den Sommer geniessen und ihre Lämmer «in Freiheit» grossziehen dürfen. Eine natürlichere Aufzucht geht nicht.
Sie waren noch bis am Mittwoch, 6. Juli im unteren Teil der Alp eingezäunt, damit auch dieser sauber abgeweidet wird und wurden dann auf die Alp entlassen. Idylle und Freiheit pur, ganz so, wie es sein sollte.
Helikopter für die Bergung organisiert
Am Dienstag, 12. Juli, kamen Wanderer zur Alphütte und haben uns erzählt, sie hätten ein totes Schaf und ein verletztes Lamm gesehen. Beide wohl abgestürzt. Auf meine Frage, ob es nicht ein Wolfsriss sein könnte, waren sie ganz erstaunt. Ob es denn hier Wölfe gäbe? Wohlgemerkt – die beiden wohnen in Meiringen, einer Nachbarsgemeinde, ein Katzensprung von der Alp entfernt.
Wir organisierten den Helikopter, damit wir das tote Tier vom Berg runterbringen und das verletzte Lamm finden und verarzten können. Ein befreundeter Jäger und Schafbauer hat uns begleitet.
«Bei lebendigem Leibe angefressen»
Was soll ich sagen? Das angeblich abgestürzte Schaf ist nicht abgestürzt. Es wurde vom Wolf gejagt und getötet. Es sah ziemlich grausig aus. Aber es war nicht allein und es war nicht das am übelsten zugerichtete.
Wir haben noch zwei weitere Auen gefunden. Alle stramm und stark und eigentlich gesund. Alle mit prallem Euter, da sie ja ihre Lämmer hätten grossziehen sollen. Nur eine der drei wurde – laut Jäger, der die Schafe im Tal dann genau untersucht hat – sofort durch einen Kehlbiss totgebissen. Die beiden anderen wurden bei lebendigem Leib gefressen und erlagen irgendwann ihren Verletzungen.
Schwerverletztes Lamm sofort erlöst
Wie gesagt – ich kenne alle meine Schafe und habe viel Zeit mit ihnen verbracht. Alle drei Auen hatten Zwillinge. Blieb noch das Lamm. Während der Heli die drei Auen ins Tal geflogen hat, hat der Jäger das Lamm gefunden.
Schwer verletzt, aber lebendig. Die schweren Verletzungen verunmöglichten aber eine Behandlung, so dass es auf der Stelle erlöst werden musste. Also 4 tote Schafe. Idyllische Alpenwelt. Wir haben per Heli nach weiteren toten oder verletzten Tieren gesucht, aber keine mehr gefunden. Vermeintlich.
So viel Unwissen und falsches Wissen
Dann die Nachricht: es sind zwei weitere gefunden worden, beide tot. Die Wanderer, die die beiden Schafe gefunden hatten, haben erzählt, die Schafe seien verhungert in den Felsen. So viel Unwissen, so viel falsches Wissen, obwohl der Wolf (eigentlich) doch recht präsent ist in den Medien.
Und eines, ein Lamm und noch lebendig, war so unglücklich in die Felsen geflüchtet, dass der Jäger sich zu ihm abseilen musste, um es frei zu bekommen.
«Kadaver-Evakuierungsflüge zahlen wir selber»
Und als wäre das nicht genug, haben wir auch noch erfahren, dass an diese Rettungs- respektive Kadaver-Evakuierungsflüge nichts bezahlt wird und ich die selber berappen muss. Aber vom Berg runter bringen muss ich sie.
zvg
Zum einen, weil ich meine Tiere aus ethischen Gründen nicht auf der Alp verwesen lassen will, zum anderen aber auch, weil ich sonst eine Strafanzeige wegen Gewässerverschmutzung am Hals habe.
Wieso ertönt kein Aufschrei?
Wie kann es sein, dass zwar das idyllische Bild gewahrt werden und Touristen und Wanderer in die Berge locken soll, aber der Wolf partout nicht geschossen wird? Wieso soll das Leben dieses Wolfes mehr Wert haben als das unserer Schafe? Wieso müssen unsere Tiere derart leiden, der Wolf aber bleibt unversehrt?
Wie kann es sein, dass kaum ein Aufschrei ertönt, wenn der Wolf in einen Blutrausch kommt, unsere Tiere jagt, ihnen bei lebendigem Leib Stücke aus dem Körper reisst und sie dann liegen lässt, um einem anderen Tier dasselbe anzutun? Denn es ist nicht der Hunger, den der Wolf antreibt, es ist einzig der Blutrausch.
Wie soll ich das weiterhin finanzieren?
Wie soll ich das weiterhin finanzieren? Heli-Flüge kosten ein Vermögen. Die toten Tiere dürfen nicht auf dem Berg liegen bleiben. Wie kann es sein, dass ich das alles selber finanzieren soll?
Wie kann es sein, dass der Wolf, der auf der Nachbar-Alp mindestens 24 Schafe gerissen hat und deshalb zum Abschuss frei gegeben wurde, auf meiner Alp, die er in einem vielleicht fünfzehnminütigen Spaziergang erreichen kann, nicht geschossen werden darf, weil er sich in einem anderen Perimeter befindet und «erst» 6 und noch nicht 10 Tiere getötet hat? Wie kann es sein, dass ich jetzt warten muss, bis er mindestens 4 weitere meiner Tiere getötet hat, bis (vielleicht) etwas unternommen wird?
24faches Leid
Wie kann es sein, dass die beiden Mutterkühe, die in den letzten Wochen gerissen wurden – schlimm, kein Thema, und mein Mitgefühl den betroffenen Bauern – grosses Entsetzen in der Bevölkerung auslösen, in den Medien geschrieben wird, nun sei eine Grenze überschritten, über unsere gerissenen Schafe aber kein Wort verloren geht? 6 Schafe entsprechen einer Grossvieheinheit, sprich: 6 Schafe = 1 Kuh.
zvg
Bei mir wurden 6 Schafe gerissen. Sechsfaches Leid. Auf der Nachbaralp sicher 24 Schafe. 24faches Leid. Ich würde mir wünschen, dass auch dies auf so grosses Interesse stösst. Wie kann es sein, dass wir Bauern nur hingehalten und vertröstet und – seien wir ehrlich – einfach auch für blöd verkauft werden?
Tote und schwerverletzten Tieren bergen
Ich habe am Anfang dieses Briefes vom Zeitaufwand berichtet, vom Herzblut, dass wir Bauern in unseren Beruf stecken, von der Energie, die alles braucht. Das alles machen wir gerne und aus Leidenschaft.
Aber die Energie, die ich hier verbrauche, die Bilder, die ich sehe, die Energie, die meine Freunde und Kollegen, die Jäger, die Wildhüter, die Flughelfer und Heli-Piloten verbrauchen und die Bilder, die sie sich ansehen müssen, wenn sie tote oder schwerstverletzte Tiere stundenlang suchen und dann bergen müssen. Denkt man als Wolfsbefürworter und –schützer auch darüber nach?
Vor 100 Jahren war es anders
Ich kann tatsächlich nichts unternehmen, um dem Wolf Einhalt zu gebieten. Und nein, diese Alp ist nicht einzäunbar. Sie gilt als «nicht zumutbar schützbar». Und nein, der Wolf war nicht zuerst da, dieses Argument kann nach 100 Jahren so einfach nicht mehr ernst genommen werden.
Vor 100 Jahren war alles anders, auch die Dichte der Bevölkerung. Über die Konsequenzen, wenn wir Bauern unsere Tiere nicht mehr auf die Alp geben können, weil die Gefahr für sie einfach zu gross ist, wird und wurde schon viel geschrieben.
Unter solchen Qualen ist Zusammenleben nicht möglich
Ich bin riesig enttäuscht. Resigniert habe ich nicht – mein Beruf ist meine Berufung und ich will weiter machen. Aber ich werde dem Wolf meine Tiere nicht auf dem Präsentierteller servieren. Was ich mit diesem Brief bezwecken will? Ich möchte den einen oder die andere zum Nachdenken anregen. Wölfe sind wunderschöne und sehr intelligente Tiere, kein Zweifel.
Aber unter solchen Umständen, unter solchen Qualen ist ein Zusammenleben schlicht nicht möglich. Und eben – das Leben des Wolfes hat nicht mehr wert als das meiner Schafe. Und meine Schafe haben die Qualen, die sie durch ihn erleiden müssen, nicht verdient.
Schafe und Alp
Christian Hürbi (Pächter der Alp und Schafhalter) und Anja Altermatt bewirtschaften die Schafalp bei Meiringen, oberhalb von Innertkirchen. Die Alp wird mit 240 eigenen Schafen, mehrheitlich Kreuzungstiere aus verschiedenen Rassen, bestossen. Seit 12 Jahren werden die Tiere in diesem Gebiet gesömmert, bisher habe er und befreundete Schafbauern nur gute Erfahrungen mit Schafen auf der Alp gemacht.
Lieber die Hände im Sack stecken und zuschauen wie unsere Schafe und Ziegen ja sogar Kühe von Wolf gerissen werden,das traurige kommt dazu der Wolf darf x viele Tiere kaputt reißen bis vielleicht ein paar Franken als Entschädigung bezahlt wird .Der Wolf ist bei uns fehl am Platz .
Hoffen wir noch auf den Herbst und die Revision des Jagdgesetzes.
Wolfbeführworter zu fressen, dann wollen
wir sehen wie lange es noch so viele Wölfe
noch bleiben dürfen
Wir müssen,
wir sollen,
wir hätten,
Mit jeder neuen Forderung, mit jedem Ignorieren schwindet die Motivation.
Es wird ja immer schlimmer mit den Vorstellungen der "hinterdemvorhanglebendenvorlauterPCwissenmöchtegernprofisundspezialisten"
Wenn wir Bauern verschwinden, die Tierhaltung aufhört, Kulturpflege erlischt, werden sie sich alleine dem Wolf stellen müssen, alle Bergsportfans und naturbadenden Wochenendturistenie.
So traurig es ist, ich befürchte dass diese verblendeten Leute erst dann merken würden, wie gefährlich der Wolf ist, wenn er eines ihrer eigenen Kinder angreiffen würde.
Ich hoffe, dass ich mich irre und die Leute vorher zu Verstand kommen.
Unsere Vorfahren hatten ihre Gründe, den Wolf zu bekämpfen.