Drei Wochen vor Beginn der WTO-Verhandlungsrunde in Bali halten die Meinungsverschiedenheiten zwischen den 159 Mitgliedstaaten der Welthandelsorganisation an. WTO-Chef Roberto Azevedo rief am Dienstag dazu auf, die Bemühungen zu verstärken, um eine Einigung zu erzielen.
«Es besteht immer das Risiko, dass die Verhandlungen scheitern. Trotz grosser Eisberge, die noch auf uns warten, kann uns die Überfahrt gelingen», sagte der Direktor der Welthandelsorganisation (WTO) vor einem Ausschuss, welcher die Verhandlungen beaufsichtigt. Azevedo berichtete dem Ausschuss über die Fortschritte der letzten Tage, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass über gewisse Themen noch keine Einigkeit herrsche.
Kein Konsens
«Das ist sehr enttäuschend. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt besteht kein Konsens. Aber ich habe das Gefühl, dass die Mitglieder weitermachen möchten, und dass wir zu nah an einem Durchbruch sind, um ein Scheitern akzeptieren zu können», sagte Azevedo. «Wir müssen unsere Anstrengungen verdoppeln», fügte der WTO-Chef hinzu.
Er forderte die Mitgliedstaaten dazu auf, einen letzten Versuch zu unternehmen, um ihre Positionen in den nächsten Tagen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die Ministerkonferenz findet zwischen dem 3. und dem 6. Dezember in Bali (Indonesien) statt. Die Verhandlungsführer werden dort drei Themen behandeln: Handelserleichterungen, die Landwirtschaft und sowie wirtschaftliche Entwicklung.
Einigung in Zollfragen
In Sachen Handelserleichterungen konnte am vergangenen Wochenende eine wichtige Hürde überwunden werden: Die Unterhändler einigten sich nach vierwöchigen Verhandlungen auf die grossen Linien eines Abkommens über Zollerleichterungen, wie Azevedo bekannt gab.
Uneinigkeit bestünde hinsichtlich der Aufgaben einer Expertengruppe mit Schlichtungskompetenzen. Das Gremium soll den Auftrag erhalten, zu schlichten, wenn sich Entwicklungsländer nicht in der Lage sehen, die Abkommen über mehr Transparenz bei den Zollformalitäten umzusetzen.
Zankapfel Agrar-Subventionen
Im Landwirtschaftsdossier sei etwa der Vorschlag der sogenannten Entwicklungsländer (G33) betreffend Ernährungssicherheit insgesamt auf Anklang gestossen, so der WTO-Direktor. Diskutiert würden hingegen weiterhin die Voraussetzungen zur Ausrufung der WTO-Schutzklausel.
Auch die Forderung von Schwellenländern und Exporteuren von Landwirtschaftsprodukten aus der G20-Gruppe, dass die Industriestaaten ihre Subventionen auf Agrar-Ausfuhren um 50 Prozent senken müssten, trifft bei den reichen Staaten weiterhin auf heftigen Widerstand - so auch bei der Schweiz. Bei den Entwicklungsländern wird eine Reduktion der Subventionen um lediglich 25 Prozent verlangt. Insbesondere die USA und Japan wollen diese Frage auf die Zeit nach der Bali-Konferenz verschieben. Die G20 hat eine Einigung in diesem Punkt jedoch zur Bedingung für das Zustandekommen einer breiteren Einigung in Bali gemacht.
Was hingegen das Dossier zur wirtschaftlichen Entwicklung betreffe, wurden bezüglich Herkunftsregelung für Industrieprodukte Fortschritte erzielt. Hier sei man den am wenigsten entwickelten Ländern in ihrer Forderung nach einer Bevorzugung gegenüber den besser entwickelten Ländern entgegengekommen, sagte Azevedo. Streitpunkte seien aber immer noch die Abkommen zu Baumwolle und zu Zollfrei-Produkten.
Drohende Lähmung der WTO
Die Textvorlagen für eine Einigung in Bali müssen dem höchsten Entscheidungsgremiums der WTO, dem Allgemeinen Rat (General Council), spätestens nächste Woche überreicht werden. Azevedo forderte deshalb alle Unterhändler auf, endlich zu einem Entschluss zu kommen.
Diplomaten warnen vor einer Lähmung der Organisation für längere Zeit, sollten die Verhandlungen in einer Sackgasse enden. Die grossen Verlierer wären in dem Fall die ärmsten Länder, die anders als die reichen Staaten weniger von bilateralen und regionalen Abkommen profitieren.


