Vom Jagdgesetz her gibt es keine Verpflichtung für Landwirte zum Ergreifen von Herdenschutzmassnahmen. Das bedeutet, dass es dem Landwirt grundsätzlich freisteht, ob er seine Nutztiere schützen will oder nicht. Hingegen verlangt der Gesetzgeber, dass vorgängig dem Abschuss eines schadenstiftenden Grossraubtieres die zumutbaren Massnahmen zum Herdenschutz ergriffen worden sein müssen, sofern solche Massnahmen auch umgesetzt werden können.
Das BAFU unterstützt die Landwirte beim Ergreifen von Herdenschutzmassnahmen mit rund 3 Millionen Franken jährlich. Dabei fördert das BAFU die Zucht, Ausbildung, Haltung und den Einsatz von Herdenschutzhunden und das Aufstellen von grossraubtiersicheren Elektrozäunen. Dabei kommen solche Zäune fast nur in der landwirtschaftlichen Nutzfläche zur Anwendung, während sie auf den Alpen kaum anwendbar sind, hier ist die Domäne der Herdenschutzhunde.
Offizielle Prüfung = offiziell registriert
Das BAFU fördert grundsätzlich nur Herdenschutzhunde, die offiziell registriert sind. Das bedeutet, dass sie aus dem Nationalen Programm zum Herdenschutz stammen und dabei fachgerecht ausgebildet wurden, damit sie beim freien Einsatz im öffentlichen Raum keine Gefährdung Dritter darstellen. Jeder offiziell registrierte Herdenschutzhund muss vor seiner Abgabe an die Landwirtschaft seine Gesellschaftsverträglichkeit in einer offiziellen Prüfung nachweisen, damit er vom BAFU registriert wird.
Dieser aufwändige Prozess dient hauptsächlich dazu, dem Landwirt die nötige Rechtssicherheit beim Einsatz solcher Hunde zu geben. Denn grundsätzlich ist jeder Hundehalter verpflichtet, dass sein Hund Menschen und Tiere nicht gefährdet (Art. 77 TSchV) und im Falle eines Vorfalles mit seinem Hund muss er nachweisen können, dass er alles unternommen zur Verhütung des Vorfalles hat. Dieser Nachweis ist für den Halter eines offiziell registrierten Herdenschutzhundes leichter zu erbringen.
Arbeit wird häufig unterschätzt
Es ist nicht immer ganz einfach, Nutztierhalter von Herdenschutzhunden zu überzeugen. "Die Arbeit mit Herdenschutzhunden wird häufig anfänglich unterschätzt. Doch die meisten Nutztierhalter sind nach einer teilweise schwierigen und von Lernprozessen geprägten Anfangsphase von den Hunden überzeugt und würden diese nicht wieder hergeben wollen", sagt Felix Hahn von der Abteilung für Herdenschutz bei der landwirtschaftlichen Beratungszentrale Agridea.
Es gibt jedoch Alpen, die sich nicht für den Einsatz von Herdenschutzhunden eignen. Denn die zu beschützenden Herden müssen relativ kompakt sein, um von den Hunden effizient bewacht werden zu können. "Viele Standweiden müssen in Umtriebsweiden (in Sektoren eingeteilte Weiden, die maximal zwei Wochen am Stück genutzt werden) oder in Weiden mit ständiger Behirtung umgewandelt werden. Das geht aber aus wirtschaftlichen Gründen nicht immer oder zieht Herdenzusammenlegungen nach sich. Diese sind nicht immer möglich oder gewünscht", sagt Hahn. Er glaubt jedoch - wie das BAFU -, dass Herdenschutz ein guter Weg ist, um mit Grossraubtieren besser zurechtzukommen.
"Wichtig ist aber, dass die Landwirte bei Problemen mit Grossraubtieren ausreichend unterstützt werden. Deshalb bieten wir Beratungen an und es werden Beiträge für Herdenschutzhunde gezahlt", sagt Hahn.
"Bei Wolfspräsenz sind Schäden vorprogrammiert"
Für Alwin Meichtry, Präsident des Schweizerischen Schafzuchtverbandes (SZV), bleibt die Wolfpräsenz trotzdem problematisch. "Bei Wolfspräsenz sind Schäden mit oder ohne Herdenschutz vorprogrammiert", sagt er. Er kennt viele Fälle, wo der Herdenschutz auch mit bestem Willen nicht umsetzbar ist und der Aufwand für den Bewirtschafter der Alp unzumutbar ist. "Der Herdenschutz bringt für den Nutztierhalter mehr Probleme mit sich als den daraus erhaltenen Nutzen durch die Schadensminderung", sagt Meichtry. Der Aufwand zur Umsetzung des Herdenschutzes nach Agridea sei für die Schafhalter sehr hoch.
Es klaffe eine grosse Lücke zwischen den Entschädigungen für Schutzzäune und dem Mehraufwand bei Wolfspräsenz. Der momentan gebotene finanzielle Anreiz sei unter 10 Prozent der effektiven Kosten, wobei der Arbeitsaufwand für den wiederholten Auf- und Abbau des Zaunes, Unterhalt, Kontrolle und Transport während der Weidezeit nicht mit eingerechnet sei. "Die effizienteste Unterstützung des Bundes sehen wir in der Schaffung gesetzlicher Grundlagen, zum totalen Schutz der Nutztiere in der Schweiz, sowie die Sicherstellung des Rechts, zur bedingungslosen Bewirtschaftung unseres Eigentums", ist der Schafzuchtpräsident überzeugt.
"Gerissene Schafe können nicht durch Geld ersetzt werden"
"Wir stehen dafür ein, dass der Schutz der Nutztiere aus Tierschutzgründen dem Schutzstatus der wildlebenden Tiere gleichgestellt wird und zwar mit allen Konsequenzen", fügt Meichtry an. Der Tierschutzgedanke werde momentan mit verschiedenen Ellen gemessen. Leid und Schmerz der betroffenen Nutztiere würden ignoriert und die nachfolgend erschwerte Herdendynamik total ausgeklammert. Er betont zudem, dass gerissene Schafe nicht durch Geld ersetzt werden können. Der Verlust der züchterischen Arbeit und der emotionalen Bindung sei unbezahlbar.
"Unersetzbarer Dienst an der Landwirtschaft"
Martin Baumann, stellvertretender Sektionschef Wildtiere und Waldbiodiversität beim BAFU, weiss um das enge Verhältnis des Nutztierhalters zu seinen Tieren und ist gerade deshalb überzeugt vom Herdenschutz. Wer seine Tiere liebt, der schützt sie.
Der Landwirt müsse heute mit der Anwesenheit von Grossraubtieren rechnen und sich genau deshalb vorsehen und dabei die Hilfe des Bundes zum Herdenschutz in Anspruch nehmen. Gerade die Herdenschutzhunde leisten einen unersetzbaren Dienst an der Landwirtschaft. Anstatt sich gegen diese Hunde zur Wehr zu setzen gelte es, sich diese Hunde zum Freund zu machen, so Baumann. Sie sollten respektiert und geschätzt werden.
Kantone sind verantwortlich
Wichtig zu wissen ist, dass der Bund zwar die Massnahmen rund um den Herdenschutz finanziell unterstützt und fördert, dass jedoch letztlich die Kantone für den Herdenschutz verantwortlich sind. Heisst: Der Bund fördert keine Herdenschutzhunde auf einem Alp- oder Landwirtschaftsbetrieb mit deren Einsatz der Kanton nicht einverstanden ist. Somit muss der Kanton der Haltung und Einsatz von Herdenschutzhunden vorgängig erst zustimmen.
Dabei kann ein Kanton beispielsweise aus touristischen Gründen eine Einschränkung des Einsatzes solcher Hunde einem Alpbetrieb vorsehen. Wie Baumann aber betont, sind die Herdenschutzhunde aus dem Nationalen Programm zum Herdenschutz grundsätzlich alle gesellschaftsverträglich ausgebildet und grundsätzlich gegenüber Menschen freundlich.
Freundliche Begegnung
Bedingung ist, dass ihnen die Menschen ebenso freundlich begegnen und deren Einsatz respektieren. "Leider beobachten wir immer wieder Tätlichkeiten Dritter gegenüber diesen Hunden und viele der Schnappvorfälle mit solchen Hunden sind auf ein unangepasstes Verhalten der Menschen zurückzuführen. Aus diesem Grund wird in Zukunft die Schulung der Menschen im korrekten Verhalten gegenüber diesen Hunden einen Schwerpunkt der Arbeit des BAFU darstellen müssen", sagt Baumann.