Jedes Jahr sterben etwa 25'000 Menschen in Europa an einer Infektion mit antibiotikaresistenten Keimen. Häufig stecken sie sich im Spital an. Doch gewisse Sicherheitsmassnahmen in Spitälern gegen diese «Superkeime» sind «ineffektiv und schädlich», warnen Genfer Mediziner.
Resistente Bakterien sprechen auf eines oder mehrere Antibiotika nicht mehr an. Der Klassiker sind die MRSA-Bakterien (Methicillin resistente Staphylococcus aureus), die sich in den achtziger Jahren rasant auszubreiten begannen. Inzwischen geben auch zahlreiche resistente Darmbakterien Anlass zur Sorge.
«In der Eile, etwas gegen die MRSA-Welle zu tun, wurden Massnahmen eingeführt, die plausibel erschienen, aber nicht ausreichend geprüft wurden», urteilen Stephan Harbarth von den Unispitälern Genf (HUG), Bernard Hirschel, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie, und Gerd Fätkenheuer vom Unispital Köln.
Unnützes und Schädliches
Dabei sei Nützliches und Harmloses mit Unnützem und Schädlichem zusammengeworfen worden. In der Schweiz kommt es laut der Expertengruppe im Bereich Infektiologie und Spitalhygiene (Swissnoso) jährlich etwa zu 70'000 Spitalinfektionen, an denen 2000 Menschen sterben. Wie oft resistente Keime dahinter stecken, ist unbekannt.
Spitäler versuchen, deren Ausbreitung durch sogenannte Kontaktisolation zu verhindern. Dazu gehören je nach Spital - zusätzlich zur (Hand-)Hygiene - unterschiedliche Massnahmen: Isolationszimmer, Handschuhe, Masken, ein Screening auf resistente Keime beim Spitaleintritt oder eine «Dekontamination» mit bakterientötenden Mitteln.
Antibiotikaresistente Keime
Antibiotikaresistente Keime sprechen auf ein oder mehrere Antibiotika nicht mehr an. Infektion mit ihnen lassen sich dann nur noch schwer oder gar nicht behandeln. Solche Keime kommen vor allem in Spitälern vor, da dort sehr viele Antibiotika eingesetzt werden. Am relevantesten für Spitalinfektionen sind derzeit laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) zwei Typen von Keimen:
- MRSA-Bakterienstämme (Methicillin-resistente Staphylococcus aureus). S. aureus-Bakterien besiedeln die Haut von 30 Prozent aller Menschen, ohne dass diese erkranken. Bei Personen mit geschwächtem Gesundheitszustand oder nach schweren medizinischen Eingriffen können sie jedoch schwere Infektionen auslösen.
MRSA-Stämme sind gegen Antibiotika der ersten Wahl (Betalactam vom Typ Methicillin) und oft auch gegenüber weiteren Antibiotikaklassen resistent, was die Behandlung dieser Infektionen schwierig macht.
- Darmbakterien (Enterobakterien), die ein Enzym namens ESBL (Extended-Spektrum Betalaktamasen) bilden. Das Enzym erlaubt es den Bakterien, ein ganzes Spektrum von Betalaktam-Antibiotika zu inaktivieren. Zu den Bakterien, die ESBL bilden können, gehören an sich harmlose Darmbakterien wie E. coli und Klebsiella pneumoniae, die zur normalen Darmflora gehören.
Infektionen mit ESBL-bildenden Bakterien haben weltweit deutlich zugenommen. Bei immungeschwächten Patienten können sie Lungenentzündungen, Harnwegsinfektionen oder Blutvergiftungen hervorrufen. Es gibt nur noch einige wenige Reserveantibiotika, die gegen diese Keime wirken.
ESBL-bildende Keime breiten sich auch durch den Einsatz von Antibiotika in der Viehhaltung aus. Untersuchungen in der Schweiz zeigten, dass jedes zwölfte Schlachtrind und sogar jedes dritte Poulet in der Schweiz solche Keime trägt. Der Bund ist derzeit daran, eine landesweite Strategie gegen Antibiotikaresistenzen (StAR) auszuarbeiten. Federführend ist das Bundesamt für Gesundheit (BAG), das die Strategie zusammen mit den Bundesämtern für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) sowie Landwirtschaft (BLW) ausarbeitet. Sie soll bis Ende 2015 vorliegen. sda
In manchen Ländern wie Grossbritannien sind solche Massnahmen sogar gesetzlich vorgeschrieben. Ihr Nutzen wird jedoch zunehmend hinterfragt. Insbesondere die Wirksamkeit von Eintrittsuntersuchungen und Isolationszimmern sei schlecht belegt, schreiben die drei Infektiologen im medizinischen Fachjournal «Lancet». Sie haben bestehende Studien zur Kontaktisolation durchgesehen. Meist wurden darin ganze Massnahmen-Bündel untersucht. «Wir wissen nicht, ob man einzelne Massnahmen weglassen könnte, ohne dass sich die Übertragungsrate erhöht», schreiben die Autoren.
Handhygiene nützt, Isolation schadet
Allein für gute Handhygiene und Desinfektionsbäder sei ein Nutzen nachgewiesen. Bekannt sei hingegen, dass die Isolation von Patienten zu Depressionen und Ängsten führt. «Isolation ist in allen Kulturen eine Strafmassnahme», erklärte Hirschel auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda.
Zudem sei die Zahl der Besuche durch Ärzte und Pflegende bei isolierten Patienten geringer und die Qualität der Versorgung schlechter, wie Studien belegten.
«Es ist wichtig, die Ausbreitung von multiresistenten Keimen zu verhindern», sagte Hirschel. «Aber man muss dazu Massnahmen wählen, die erwiesenermassen wirken.» Dazu brauche es bessere Studien. Wichtig sei zudem, dass der Einsatz von Antibiotika in Spitälern und der Landwirtschaft überdacht werde.
Derzeit sei die Anzahl der MRSA-Infektionen rückläufig, schreiben die Mediziner. Darum sei nun ein gutes Zeitfenster, um zu prüfen, ob Masken, Handschuhe, Schürzen und Einzelzimmer überhaupt einen zusätzlichen Nutzen bringen - oder nur höhere Kosten.


