Nach Einschätzung des Berliner Agrarökonomen Harald von Witzke wird die Konkurrenz zwischen „Teller und Tank“ quantitativ vollkommen überschätzt. Weltweit würden nur auf drei Prozent der Ackerfläche Nutzpflanzen für die Bioenergie-produktion angebaut.
Aus der Biogasenergieproduktion resultiere ein Anstieg der Agrarpreise seit dem Jahr 2000 um 10 Prozentl. Die Agrarpreise seien seither aber um mehr als 100 Prozent gestiegen, stellt der Fachgebietsleiter für internationalen Handel und Wirtschaftsentwicklung an der Humboldt Universität zu Berlin im aktuellen Interviewin der Septemberausgabe der Deutschen BauernKorrespondenz (dbk) fest.
Produktion von Bioenergie auf Stilllegungsflächen
Zudem verweist von Witzke darauf, dass gerade in den USA oder der Europäischen Union die Produktion von Bioenergie auf Stilllegungsflächen erfolge, so dass sich insofern in Wirklichkeit keine Konkurrenz eingestellt habe.
Hinzu komme, dass die bei der Bioenergieproduktion anfallenden Nebenprodukte für die Tierhaltung in der Bilanz Teller oder Tank nicht berücksichtigt würden. Dass dennoch immer wieder ethische Bedenken in die Diskussionen um die Bioenergie eingebracht werden, führt der Wissenschaftler schlicht auf Unwissenheit zurück.
Der Beitrag Deutschlands zur weltweiten Bioenergieproduktion liege bei nur fünf Prozent. Das bedeute, der Anteil Deutschlands an den Preissteigerungen bei Lebensmitteln betrage rund 0,2 bis 0,5% seit der Jahrtausendwende.
Ganz natürliche Konkurrenz gegeben
Von Witzke gibt auch zu bedenken, dass es eine ganz natürliche Konkurrenz um die knapper werdenden Ressourcen für die Nahrungsgüterproduktion einerseits und die „Nicht“-Nahrungsgütererzeugung andererseits gebe. Diese Ressourcenkonkurrenz gelte nicht nur für die Bioenergie, sondern für alle Nicht-Nahrungsgüter.
So werde auch Baumwolle weltweit auf etwa genauso viel Fläche angebaut wie Pflanzen zur Herstellung der Bioenergie. Für den Agrarökonomen steht fest, dass nur eine produktivere Landwirtschaft „die Herausforderungen unserer Zeit bewältigen kann“, und zwar in Deutschland, EU- und auch weltweit: Mehr Nahrungsmittel, mehr Bioenergie, mehr Klimaschutz und mehr Biodiversität.
Sinkendes Produktivitätswachstum
„Wenn es uns gelingt, auf den vorhandenen Flächenmehr zu produzieren, können wir uns mehr Biodiversität leisten“, so von Witzke. Das Produktivitätswachstum der Landwirtschaft sei nicht nur in der EU vernachlässigt worden. Weltweit sei der Produktivitätszuwachs von 4 auf 1 Prozent zurückgegangen, in der EU auf nur noch 0,6 %.
Ursache sei die Vernachlässigung der Agrarforschung seit Ende der siebziger Jahre. Dies habe schliesslich dazu geführt, dass die EU 2008 zum grössten Nettoimporteur von Agrarprodukten geworden sei.
Produktivitätssteigerung entscheidend
Die Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft sieht der Berliner Agrarökonom auch als Schlüssel zur Bekämpfung des Hungers in der Welt. „Wir müssen die Nahrungsmittelproduktion bis zum Jahr 2050 gegenüber der Jahrtausendwende aufgrund des rasanten Wachstums der Weltbevölkerung mehr als verdoppeln. Neueste Studien prognostizieren 10 Milliarden Menschen für das Jahr 2050“, so von Witzke.
Hinzu kämen sich verändernde Einkommens- und Ernährungsgewohnheiten in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Die damit verbundene, rasch wachsende Nachfrage sei nur zu befriedigen, indem eine Produktivitätssteigerung auf den schon heute landwirtschaftlich genutzten Flächen erfolge.
Kein Verständnis für Greening
Deshalb habe er auch kein Verständnis für den Greening-Vorschlag des EU-Agrarkommissars. Der Boden sei eine begrenzte Ressource, weshalb es keinen Sinn mache, produktive Böden aus der Produktion zu nehmen, unterstreicht der Agrarwissenschaftler.
Ebenso wenig mache es Sinn, in naturnahen Lebensräumen, wo es ohnehin schon viel Biodiversität gebe wie zum Beispiel in Mittelgebirgslagen, zusätzlich Flächen stillzulegen.