Der Förderverein Sbrinz-Route organisiert jährlich eine spezielle Wanderwoche mit einem historischen Saumzug. Redaktorin Anja Tschannen war mit ihrem Freibergerpferd Teil des Saumzuges und berichtet in ihrem Blogtagebuch über die Erlebnisse auf der 150 Kilometer langen Sbrinz-Route von Stansstad NW bis nach Domodossola (I).
«Es ist 5 Uhr», ertönt die liebevolle und doch so verhasste Stimme meines Weckers. Noch während ich mich umdrehen will, stupst mich die Hundenase meines Appenzeller Sennenhundes Max auffordernd an.
Wird wohl nichts mit Snoozer-Modus. Ich quäle mich aus den Federn. Auf dem Weg ins Badezimmer leuchtet vor meinem geistigen Auge meine To-do-Liste auf: Pferde füttern, mit Hund spazieren, Enten und Gänse rauslassen.
Das Abeteuer beginnt
Mit Hund spazieren und Pferdefüttern gehen in einem Zug, denn der Pferdestall liegt an der morgendlichen Gassiroute. Währenddem ich durch den Wald schlurfe, treffen meine Lebensgeister Schritt für Schritt ein, und noch bevor ich zurück bin und die Enten und Gänse pünktlich zu den ersten Sonnenstrahlen in ihre Freilandanlage lasse, bin ich so weit wach, dass ich auch gesellschaftstauglich bin.
Gut so, denn wie abgemacht fährt Tanyas Bruder um 6:45 Uhr mit dem Pferdeanhänger vor. Das Verladen von Haydo klappt 1 A. Ohne zu zögern, läuft mein schwarzer Wallach in den Hänger. «Wenn du wüsstest, was dich erwartet», denke ich und schmunzle. Nun noch das Gepäck laden, sich von der Familie verabschieden und los geht das Abenteuer Sbrinz-Route. Voller Vorfreude sitze ich im Auto, unterhalte mich mit Tanyas Bruder und dessen Freundin. Die Zeit vergeht wie im Flug und schon stehen Tanya und Tina vor uns.
"Wir sind zu spät"
Vom Emmental geht es über Land nach Sursee. Vor der Autobahnauffahrt machen wir eine Kaffee- beziehungsweise Warme-Schokoladen-Pause, wir liegen gut in der Zeit. Nach der Stärkung, die irgendwie doch länger gedauert hat als geplant, geht es weiter auf der Autobahn Richtung Luzern mit dem Endziel Stansstad. Es kommt, wie es kommen muss. Wir stecken im Stau und unser Zeitpuffer rinnt dahin.
Erst um 10:45 Uhr treffen wir ein. Kurz kommt Hektik auf. Tiere ausladen, durchbürsten und satteln. Schnell noch in das weisse Säumerhemd schlüpfen, den schwarzen Säumerhut aufsetzen, und los geht es. Um 11 Uhr beginnt der offizielle Einmarsch der Saumtiere am Säumermarkt Stansstad und somit unser Säumerleben. Ich freue mich.
28 Säumer und 18 Saumtiere
Zwei Runden drehen wir auf dem Markt, dann werden die Tiere der Reihe nach an der Anbindevorrichtung festgebunden, abgesattelt und mit Heu versorgt. Anschliessend wird es administrativ. Tanya und ich sind selbstverständlich nicht die einzigen Säumer auf der Sbrinz-Route. Insgesamt sind wir 28 Säumer und 18 Saumtiere.
Dieser bunte Haufen unterschiedlichster Menschen will organisiert sein. Unser Leiter ist Daniel Flüehler, an ihm orientieren wir uns auf der ganzen Route. Wir Säumer versammeln uns beim Säumerzelt gegenüber der Anbindevorrichtung unserer Tiere. Sachen wie Unterkunft, Verpflegung, Auftreten - ganz wichtig, denn wir sind mit dem Einmarsch in den Säumermarkt zu Botschaftern geworden und viele Objektive und Handys werden auf uns gerichtet sein - werden thematisiert.
Nachtwache muss sein
Für die erste Nacht in Stansstad ist die Nachwache bereits organisiert. Tanya und ich tragen uns für die dritte Nacht, auf der Engstlenalp, ein. Aus rein taktischen Überlegungen, da wir ja hoffentlich Anfang Route noch nicht unter akutem Schlafmangel leiden werden. Apropos Schlaf. Unsere erste Nacht sind wir im Gemeindehaus von Stansstad in einem Massenlager mit Hochbetten untergebracht, alle Säumer in einem Raum.
Dann heisst es sich verabschieden, unser Fahrer und seine Freundin treten den 120 Kilometer langen Heimweg an und wir - Tanya und ich - schlendern über den Säumermarkt. Allerlei Kuriositäten laden zu spannenden Bildern ein. Ein richtiges kleines Wunderland mit zahlreichen Schätzen. Zum Glück sind meine Koffer so voll, dass wirklich nichts mehr reinpasst.
Bewundernde Blicke für unsere Tiere
Um 16 Uhr drehen wir mit den Saumtieren noch einmal zwei Runden über das Festgelände. Dabei wird immer in der gleichen Reihenfolge losmarschiert, und zwar so, wie die Tiere an der Anbindevorrichtung stehen. Haydo und ich laufen also an der vierten Position, vor uns drei Haflinger und ein kleiner Esel hinter uns ein zweiter Freiberger namens Vipee und sein Besitzer Andi, anschliessend Simone und Stephan mit Georgio aus dem Säumerkurs und dann die restlichen, kleineren Saumtiere, sprich Maultiere, Maulesel, Esel und Minishetty Tina.
Unsere Tiere sind Botschafter und machen diesen Job hervorragend. Dafür kassieren sie neben Streicheleinheiten und bewundernden Blicken auch das eine oder andere Leckerli. Trockenes Brot, Äpfel und sogar Karotten.
Ich konnte es nicht lassen
Punkt 18 Uhr stehen wir am Buffet mit Seesicht und schöpfen Älplermakkaronen in unsere Teller. Nach einem kurzen Schwatz mit den Mitsäumern und der Nachtwache verziehen wir uns in die Unterkunft. Es ist 19:30 Uhr, wir hängen, geduscht und bereits in unseren Schlafanzügen, herum.
Tanya neben der Steckdose mit dem Natel, ich am kleinen Tisch. Ok, ich gebe es zu: Ich konnte es gestern Abend einfach nicht lassen, mein Paparazzi-Gen hat überhandgenommen und in einem Augenblick der Unaufmerksamkeit hat es mein Laptop, inklusive Maus und Ladekabel in meinen randvollen Koffer geschafft. Und der steht nun aufgeklappt vor mir.
Fix und foxi nach einem Tag
Als Erstes werden die Fotos des heutigen Tages hochgeladen und sortiert. Das nimmt mehr Zeit in Anspruch als gedacht. Langsam trudeln mehr Säumer ein, um sich für die Nacht fertig zu machen und sich auf Ohr zu hauen. Das Licht wird gelöscht, und ich beschliesse meine Arbeit draussen weiter zu führen, erstens will ich nicht stören und zweitens kann ich ohne Licht nicht gut schreiben.
Dumm nur, dass es nirgends einen Tisch gibt und so verziehe ich mich auf die Treppe. Ich schreibe los: «Ich weiss eigentlich gar nicht, wo ich anfangen und welche Bilder ich euch als erste zeigen soll. So viele Eindrücke am ersten Tag. Ich bin fix und foxi - obwohl wir noch keinen Kilometer marschiert sind.
Ich klappe den Laptop zu. Endlich. Es ist kurz vor Mitternacht. Die meisten werden wohl schon schlafen. Ich stelle mich auf eine ruhige Nacht ein, während ich auf Zehenspitze ins Zimmer husche, meinen Laptop möglichst leise auf den Tisch stelle und im Halbdunkel ins Doppelbett klettere.
Nastücher in den Ohren
Ich liege auf dem Rücken. Von wegen alle schlafen und eine ruhige Nacht. Erstens brennt direkt vor mir eine Notlampe, nur schwach, aber hell genug, um zu stören, zweitens ist es laut. Aus jeder Ecke schnarcht es, und unten herrscht ein ständiges Geläuf. Noch sind längst nicht alle Säumer «zu Hause», immer wieder geht die Türe auf.
Neben mir wirft sich Tanya von einer Seite auf die andere, sie ist hellwach und ihre äusserst gute Laune ist bis zu mir spürbar. Ich öffne ein Pack Nastücher. Reiche ihr eines und stopfe mir selbst die Ohren voll. Danach drehe ich mich auf die Seite. Bedecke meine Augen mit meinem Schlaf-Halstuch und versuche meinen Kopf abzuschalten.