Vom Dorfkern Entlebuch LU gehts zwei Kilometer Richtung Glaubenberg und schon gelangt man etwas höher gelegen auf den Betrieb der Familie Angela und Markus Bieri. Auf dem gepflegten Hof leben sie mit ihren Kindern Sarina (7), Ariane (5), Vanessa (3) und Silvan (1) im vor wenigen Jahren neu gebauten Wohnhaus neben dem Ökonomiegebäude. Im Wohnhaus auf der anderen Seite des Stalles sind die Eltern Bernadette und Franz Bieri zuhause.
Konsequente Betriebsstrategie
Der bald 65-jährige Franz Bieri ist die erste Person, die beim Ankommen um die Ecke kommt. Und er hat später einiges zu erzählen, wie sich der Betrieb und die Milchviehherde im Laufe der Jahre entwickelt hat. Schliesslich ist er wesentlich für den Holstein-Meisterzüchtertitel mitverantwortlich. Seit der Betriebsübergabe im Jahr 2016 ist er zu 100 Prozent auf dem Betrieb angestellt.
Die Bauernfamilie Bieri, die auf gut 900 m ü.M. in der Bergzone II 40 ha LN bewirtschaftet (Flächen in Höhenlage zwischen 800 und 1300 m ü. M.), verfolgt seit Jahrzehnten eine konsequente Betriebsstrategie, die zum Erfolg führte und an der auch zukünftig festgehalten werden soll. Professionelles und fortschrittliches Arbeiten steht im Vordergrund. Deshalb ist der Holstein-Meisterzüchtertitel kein Zufall – im Gegenteil. Man hätte ihn schon länger erwarten können, obschon Meisterlandwirt Markus Bieri bescheiden sagt, dass er nicht damit gerechnet hat.
Hohe Leistungen mit silofreier Fütterung
Die Betriebszahlen 2023 der 40-köpfigen Holsteinherde mit silofreier Fütterung und regelmässigem Auslauf im Freien (Raus) sprechen für sich. Durchschnittliche 9’635 kg Laktationsleistung mit 3,84 % Fett und 3,35 % Eiweiss bei einem Anteil Erstlingskühen von 50 Prozent, dazu durchschnittliche Einstufungen in der 1. Laktation mit G+ 81, in der zweiten Laktation mit VG 85 und ab der dritten Laktation mit VG 89. Man könnte meinen, Bieri setze in der Zucht bei diesen Einstufungen vor allem aufs Exterieur. Das stimmt aber nicht.
Der 39-Jährige, der selbst 12 Jahre bis im Jahr 2019 als Einstufer tätig war, hat ein klares Zuchtziel: «Ich will eine effiziente, mittelgrosse und leistungsfähige Kuh mit viel Körperbreite, positivem BCS, das führt zu weniger Stoffwechselproblemen, einem top Fundament , einem guten Euter und einer hohen Nutzungsdauer. Meine Kühe müssen robotertauglich sein», sagt er, der aber selbst im Melkstand melkt. Denn pro Jahr verkauft er rund 25 Kühe, davon gehen 80 Prozent in Roboterbetriebe.
Betriebsspiegel
Angela und Markus Bieri bewirtschaften in der Gemeinde Entlebuch auf dem Betrieb Unteregg einen Grünlandbetrieb mit 40 ha LN und einen Sömmerungsbetrieb mit 21 ha Sömmerungsweiden am Glaubenberg. Dazu kommen 6,5 ha Wald. Der Tierbestand setzt sich aus 40 Milchkühen, rund 60 Stück Jungvieh (davon werden 35 Stück zuhause aufgezogen) und 120 Mastschweinen zusammen. Jährlich werden rund 370’000 kg Milch produziert. Der grösste Teil wird an die Biosphäre Berg-Käserei Entlebuch AG verkauft. Der Rest wird an die Kälber vertränkt.
Bieri’s betreiben auch eine 100 kW-Fotovoltaikanlage. Für 60 Prozent der Leistung beziehen sie die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV). Angela Bieri ist gelernte medizinische Praxisassistentin, sie hilft draussen aus, wenn Not an Frau ist. Vater Franz Bieri ist mit einem Vollzeitpensum angestellt. Seit der Betriebsübernahme durch den Meisterlandwirten Markus Bieri werden Lernende ausgebildet. Im Sommer ist eine Person mit einem Pensum von 30 Prozent auf dem Sömmerungsbetrieb angestellt.
Stiereneinsatz
Die Milchviehherde ist homogen, das funktionelle Exterieur sticht ins Auge. Mehrere gute Riveting-, Captivating-, Taos- und Hulk-P-Töchter gibt es zu sehen. Weniger überzeugt ist Bieri von Chief. Dieser habe oft zu gerade Beine gezüchtet. Immer mehr Tiere tragen das hornlosgen, weil auch dies auf dem Markt gefragt sei. Aktuell werden Stiere wie Alvin, Gordon, Dyson, Parbo RDC, Solo P, Adorable, Mitchell, Eveready PP RDC und Letsgo eingesetzt.
Er habe vor einigen Jahre fast 100 Prozent Jungstiere eingesetzt, heute liege der Anteil bei noch 70 Prozent. «Bei etwas älteren Kühen setze ich hauptsächlich nachzuchtgeprüfte Stiere aus. Denn aus diesen Tieren ist das Potenzial für hohe Zuchtwerte gering und wir haben eine noch höhere Sicherheit bei den Zuchtwerten», erläutert er.
Im Spitzensegment angelangt
Dass er aktuell an der Zuchtwertspitze mitmischelt, zeigen mehrere vielversprechende Kälber. Bieri’s Blakely Olissa bringt haushohe 1683 ISET. Das zweimonatige Kalb stammt aus einer Taos-Erstlingskuh und würde in der Dezember-Top-Liste auf Platz fünf liegen. Ebenfalls sehr interessant ist die hornlose Solo-P-Totcher Bieri’s Solo P Etl Veilana P. Sie bringt einen Gesamtzuchtwert von 1627 ISET und präsentiert ein ausgeglichenes Exterieurprofil.
Solche Kälber haben Stierenmutterpotenzial. «Wenn Interesse besteht, werden wir von einem solchen Rind Embryonen spülen», sagt er, obschon er bis jetzt nicht auf diese Zuchttechnik gesetzt hat. Bereits mit dem Einsatz von gesextem Samen habe er den Zuchtfortschritt deutlich steigern können, meint er. Mit seinen 95 Tieren, die in der Zählung im Jahr 2023 drin sind, wird ein durchschnittlicher ISET von 1305 erreicht. Der Rassenschnitt bei Holstein Switzerland liegt bei 1185.
Markus und Franz Bieri mit den hohen Zuchtwertkälbern Bieri’s Blakely Olissa (l.) und Bieri’s Solo P Etl Veilana P.
Adrian Haldimann
«Zucht muss rentabel sein»
Bieri, der sich seit über 20 Jahren über die Zeitschrift «Holstein International» informiert, hat die moderne Holsteinzucht längst auch für sich entdeckt. «Wir wollen mit den Kühen Geld verdienen sowohl mit der Milchproduktion auf dem Betrieb als auch mit dem Tierverkauf», sagt Bieri bestimmt. Deshalb könne er zum Teil nicht verstehen, weshalb die Holsteinkuh mit sehr viel Typ und Körpergrösse in der Schweiz immer noch so gepusht wird. Obschon er seine KB-Stiere gut aussuchen muss, findet er sie. Und das sei das Wichtigste.
«Man war ein Exot»
Dieses genetisch hohe Niveau ist bewundernswert, wenn man bedenkt, dass Bieri’s ihre Herde selbst entwickelt haben mit einer Braunviehherde im Hintergrund. Zukäufe gab es nur wenige. Vater Franz Bieri erzählt: «Mein Vater, der rund 20 Braunviehkühe hatte, rief in den 70er-Jahren die Viehschauexperten für die Punktierung zu sich auf den Hof. Diese wollten aber strikt den Viehschauplatz nicht verlassen.» Dies habe er nicht verstanden, stattdessen habe er dank guten Kontakten ins Bernbiet in Freiburger-Holsteinkühe investiert.
Man sei dazumal ein Exote gewesen, erzählt Franz Bieri weiter, der den Betrieb später im Jahr 1989 übernahm und der Holsteinherde den Stempel aufdrückte. «Wir setzten zuerst vor allem Schweizer-Holsteingenetik wie Castel Riostar ein. Den Amerikanern vertrauten wir nicht so recht.» Dies änderte sich aber nach wenigen Jahren. Stiere wie Outside, Gibson, Mr Sam und Goldwyn trieben die Herde vorwärts. «Der Zuchtfortschritt in den letzten Jahren ist gewaltig», sagen die beiden Züchter heute übereinstimmend.
Ein Unternehmer
Heute ist Markus Bieri der Verantwortliche auf dem Betrieb. Das professionelle Management lernte er auch auf Betrieben in Kanada kennen. So arbeitete er im Jahr 2006 auf dem Betrieb des ausgewanderten Zuger Josef Speck. Speck war beim Syndikat Pursuit involviert und züchtete den weltbekannten Rotfaktorstier Pursuit September Storm.
Solche Erfahrungen motivierten ihn, Neues zu wagen und unternehmerisch zu sein. So führte er in der Folge neben seinem Job als Einstufer Lohnarbeiten durch und wurde im Handel von Grassamenmischungen aktiv. So verkaufte er in seinen Spitzenjahren bis zu zehn Tonnen eigene Mischungen. Dieses Geschäft führt mittlerweile sein Bruder Christoph Bieri.
Holstein-Meisterzüchter
Die neuen Holstein-Meisterzüchter wurden im Januar bekannt. Es sind 2024:
• die Familie Karl Ammann in Schwarzenbach SG mit dem Herdennamen Amman’s;
• die Familie Markus Bieri in Entlebuch LU mit dem Herden-namen Bieri’s;
• der Schulbauernhof Grangeneuve in Posieux FR mit dem Herdennamen Hauterive;
• Francis und Jérôme Jaquet in Estavannens FR mit dem Herden-namen Jaquet;
• die Familie Claude Fleury in Courcelon JU mit dem Herden-namen Team Fleury.
Der Meisterzüchtertitel wird laut Holstein Switzerland an Zuchtherden vergeben, die aussergewöhnliche Resultate während langer Dauer aufweisen. Die Züchter wurden aufgrund des Herdennamens selektioniert, wobei sie während einer 16-jährigen Periode von 2005 bis 2020 mindestens 80 weibliche Tiere und jährlich mindestens drei weibliche Kälber im Herdebuch registrieren mussten. Die Punkte werden nur an Tiere vergeben, die den Herdennamen tragen und die besten Leistungen für Produktion und Exterieur sowie eine sehr gute Nutzungsdauer aufweisen. Der Meisterzüchtertitel belohnt somit ausgezeichnete Resultate, die mit bestmöglicher Langlebigkeit erzielt wurden, was den aktuellen Zuchtzielen voll entspricht und die Krönung einer ganzen Züchterkarriere darstellt.
Fütterung optimiert
Die Produktion von Top-Grundfutter bezeichnet Bieri als einen Erfolgsfaktor, der zum Titel Holsteinmeisterzüchter beigetragen hat. Auf seinen Naturwiesen macht er regelmässig Überaaten, striegelt die Wiesen und setzt auf eigene Mischungen. Bei der Dürrfutterernte wird auf eine Schnitthöhe von mind. 10 cm und eine schonende Bearbeitung des Futters viel wert gelegt. Seit mehreren Jahren wird zudem ein Kammschwader zum schonenden Schwaden des Futters eingesetzt.
So wiesen die letzten Dürrfutterproben einen tiefen Erdbesatz mit einem Rohaschegehalt von 70 g auf. Eine gute Belüftung – wenn nötig mit Warmluft – sei ebenso wichtig. Er strebt mit seinen eigenen Grasmischungen eine hohe Verdaulichkeit an. Der TS-Verzehr habe deutlich gesteigert werden können und liegt heute bei hohen 27 kg Trockensubstanz pro Kuh und Tag.
2010 neuer Laufstall
Auch der Bau eines neuen Laufstalls im Jahr 2010 mit viel Platz, Licht und Luft hat dazu geführt, dass die Standardlaktationsleistung von rund 7500 kg Milch auf heute eben 9635 kg Milch gesteigert werden konnte. Und Bieri ist zuversichtlich, dass die Leistung weiter gesteigert werden kann, vor allem dank der neuen automatisierten Fütterung. Seit wenigen Monaten ist ein stationärer Futtermischer in Betrieb, dieser befüllt über einen Abwurfkanal den schiebegeführten Fütterungsroboter.
Dieser soll ganzjährig im Einsatz stehen, eingegrast wird nicht. Dank der Futterkrippe, die vor allem wegen der silofreien Fütterung montiert wurde, brauchts keinen Zuschieberoboter. Die Tiere haben so immer zu fressen. Während der Vegetationszeit wird zudem geweidet. Mit einer Zwischenkalbezeit von 390 Tagen kommt Bieri trotz vielen Erstlingskühen auf eine durchschnittliche Lebtagleistung von 15,6 kg Milch.
Oben sieht man den Abwurf in den schienengeführtn Fütterungsroboter. Dank der Krippe steht die silofreie Mischung auch ohne Zuschieberoboter den Kühen immer zur Verfügung.
Adrian Haldimann
Der stationäre Futtermischer.
Adrian Haldimann
Galtphase optimiert
Dank dem Futtermischer kann Bieri auch die Galtfütterung optimieren und setzt dabei unter anderem auf saure Salze. Er erwartet mit dieser neuen Fütterung noch weniger Stoffwechselprobleme rund ums Abkalben.
Im oberen Stallgebäude sind Galtkühe in einem grosszügigen Stall untergebracht.
Adrian Haldimann
Kuhdusche
Während der Vegetationsperiode werden die Kühe morgens auf die Weide gelassen. Wenns ihnen draussen zu warm wird, kommen sie in den Stall. Dort geniessen sie ein angenehmes Klima. Bieri hat im Fressbereich in eine Kuhdusche investiert. Diese kommt in den Einsatz, wenn die Belüftung im Stall durch Ventilatoren auf Grund anhaltender Hitze oder auch kurzfristigen Temperaturanstiegen nicht mehr ausreicht.
Die beiden Systeme, also die Lüftungsanlage und die Kuhdusche arbeiten gemeinsam und verstärken so ihre Wirkung und den Nutzen. Die Benetzung durch die Kuhdusche und die Belüftung arbeiten kombiniert, um die Wärmeabgabe der Tiere durch vordefinierte Zyklen zu maximieren. Es wird knapp eine Minute «geduscht», dann wird wenige Minuten belüftet.
«Wir haben uns für die Kuhdusche und gegen eine Verneblungsanlage entschieden, weil wir so in Kombination mit der Lüftung nicht eine zu hohe Luftfeuchte im Stall haben», erklärt Bieri. Dies sei vor allem auch wichtig, weil er den Kühen eine «trockene» Ration und keine Silage vorlege. Die Ration will er nicht feucht haben. Bieri zeigt sich sehr zufrieden mit diesem System.
Proaktiv bleiben
Meisterzüchter Bieri testet neue Dinge gerne aus. So setzte er beispielsweise früh vermehrt auf A2-Stiere. Er schliesst es nicht aus, dass A2-Milch in Zukunft stärker nachgefragt wird. Ebenso offen ist er, wenn es um das Slick-Gen geht und hofft, dass er damit eine noch hitzetolerantere Herde entwickeln kann. Bereits steht aus einer Riveting-Kuh ein Stierkalb vom Slick-Stier Aviator SL (Bei Select Star erhältlich) in der Kälberbox. Er wartet auf den Genomtest und weiss deshalb noch nicht, ob er das Gen erhalten hat.
In Zukunft erhofft er sich verlässliche Zuchtwerte für die Futterverwertung. «Mit Angaben zu diesem Merkmal könnten wir noch profitabler wirtschaften», sagt Bieri. Proaktives Handeln – das ist bei Bieri’s ein Schlüssel für den Erfolg. «Ich bin dankbar, dass bereits mein Grossvater in die Rasse Holstein investiert hat. Die heutigen Resultate bestätigen, dass sich der damalig mutige Schritt gelohnt hat», freut sich der Meisterzüchter.