Die Gesellschaft für Schweizer Tierärztinnen und Tierärzte (GST) warnt auch heuer wieder vor einem Mangel an veterinärmedizinischen Medikamenten (-> 2023: Tierärzte warnen: Immer weniger Medikamente). Auch für Nutztiere seien einige Impfstoffe zumindest knapp, heisst es in einem Bericht der «Berner Zeitung».
Ist Lage so ernst?
Die GST befürchte gar, dass einige Landwirtinnen und Landwirte ihr Vieh deshalb nicht auf die Alp bringen könnten. Denn wenn die Tiere vor dem Alpaufzug nicht geimpft werden, müssten sie später auf der Alp allenfalls öfters behandelt werden, heisst es von Seiten der GST weiter. Und wenn ein ungeimpftes Tier an Rauschbrand erkranke, sei es nicht mehr zu retten. Ist die Lage tatsächlich so ernst?
Nein, bekräftigen landwirtschaftliche Experten. So erkennt Ernst Wandfluh, SVP-Nationalrat und Präsident Alpwirtschaft Bern, zwar, dass es in Einzelfällen zu Problemen kommen könnte. Generell sei der Alpaufzug deshalb aber nicht gefährdet, sagt er zur Zeitung. Auch Erich von Siebenthal, Präsident des Schweizerischen Alpwirtschaftlichen Verbands (SAV), gibt Entwarnung. Die zurzeit suboptimale Versorgung mit Tiermedikamenten würde die Sömmerung nicht beeinflussen.
Warnung vor Rauschbrand und Gämsblindheit
«Es besteht ein Mangel an Tierarzneimitteln», beschreibt die GST die aktuelle Lage in der Schweiz. Dies gilt nicht nur für Haus-, sondern auch für Nutztiere. Für die GST ist dies Grund genug eine Warnung auszusprechen. Tiere müssten prinzipiell vor dem Alpaufzug geimpft werden, so die GST. Ungeimpfte Tiere sollen also nicht gesömmert werden.
Denn die medizinische Versorgung auf der Alp sei anspruchsvoll. Gerade bei Fleischrassen kann es vorkommen, dass einzelne Tier für einige Tage aus dem Blickfeld der Älplerin oder des Älplers verschwinden. Die Tiere könnten währenddessen erkranken. Und bis ein Tierarzt den Weg auf die Alp gefunden hat, vergeht auch wieder wertvolle Zeit .
Nationalrat Ernst Wandfluh (SVP, BE) sieht wegen der Mangellage bei Tiermedikamenten den Alpaufzug nicht gefährdet.
Adrian Haldimann
Die GST warnen besonders vor dem Rauschbrand, der innerhalb weniger Tage zum Tod führen könne. Diese Krankheit wird von einem Virus ausgelöst, das aber nicht überall vorkommt. «Doch in ein Gebiet mit Rauschbrand kann man die Tiere nicht mitnehmen, wenn sie nicht geimpft sind», sagt Wandfluh der «Berner Zeitung».
Verbreiteter sei dagegen die Gämsblindheit. Gemäss Wandfluh würden die wärmeren klimatischen Bedingungen im Sommer dazu führen, dass es mehr Fliegen gibt. Und es sind diese Fliegen, die die Krankheit auf die Augen der Kühe übertragen. Die Krankheit führt dazu, dass die Kühe weniger gut sehen oder sogar erblinden. Die Absturzgefahr erhöht sich dadurch massiv.
Beschaffung nur mit Sonderbewilligung
Für Tierärztinnen und Tierärzte sei es schwieriger geworden und es könne auch einige Monate länger dauern , gewisse Medikamente zu beschaffen. Doch fehlen würden die Medikamente nicht. Ein Tierarzt bestätigt der «Berner Zeitung», dass viele Medikamente zurzeit nicht auf normalen Weg bezogen werden könnten. Doch entgegen der Behauptung der GST würde es in der Schweiz immer noch Kalziuminfusionen, Impfstoffe und Euter-Injektoren für Nutztiere geben.
Die Medikamente könnten mittels einer Sonderbewilligung beschafft werden, so der Tierarzt. Grössere Tierarztpraxen scheinen einen Weg gefunden zu haben, mit dieser herausfordernden Situation umzugehen. Es seien vor allem kleinere Praxen, die auch heute noch Schwierigkeiten hätten, sich mit allen notwendigen Medikamenten abzudecken, heisst es im Bericht.
Forderung nach zentraler Meldestelle
Aufgrund der Mangellage, die sich immer wieder einzustellen scheint, wird die Forderung nach einer zentralen Meldestelle für veterinärmedizinische Medikamente laut, so wie es sie für die Humanmedizin bereits gibt. Der Bund sei entsprechend seit einigen Monaten daran, eine solche Meldestelle zu schaffen, zumindest für die wichtigsten Tiermedikamente. Wenn eine Tierarztpraxis keine oder bald keine Medikamente mehr hat, muss diese nationale Meldestelle darüber informiert werden.
Der Mangel an Tiermedikamenten hat keinen Einfluss auf die Alpwirtschaft, bestätigt auch die GST.
Christoph Waldis
Doch der Hebel müsse auch bei der Herstellung der Medikamente angesetzt werden. Denn auch hier gelte es, den Selbstversorgungsgrad so hoch wie möglich zu halten. Ein entsprechend wirtschaftliches Umfeld würde dies fördern. S o wird im Bericht auf die Berner Firma Graeub verwiesen, die bis Anfang Jahr Tiermedikamente in der Schweiz hergestellt hat, im Februar die Produktion, aufgrund eben jenes wirtschaftlichen Umfeldes, aber ins Ausland verlagert habe. Die Politik scheint hier gefordert.
Die Versorgung mit Tiermedikamenten bleibe zwar angespannt, sei aber nicht so bedrohlich, wie sie von der GST gezeichnet wird, schliesst die «Berner Zeitung» ihren Bericht. Auch die GST bestätigt, dass die Mangellage auf dem Markt für Tiermedikamente keinen direkten Einfluss auf die Alpwirtschaft hat, auch wenn es in Einzelfällen problematisch sein kann.
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